Daniela De RidderSPD - Aktuelle Stunde - Strategien zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Die Fernsehbilder vom Sturm auf das Kapitol haben viele von uns erschreckt. Und einen Moment lang stellte ich mir vor dem Fernseher vor, wie es wohl für uns sein würde, wenn uns bewaffnete Sicherheitskräfte mit Pistolen vor einem wütenden Mob hier in diesem Plenarsaal, hier an diesen Türen würden schützen müssen.
(Beatrix von Storch [AfD]: Ich denke, das ist schon passiert?!)
– Ruhe! Jetzt rede ich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
Wer die Erstürmung des Kapitols, an deren Ende fünf Tote, darunter zwei Polizisten, zu beklagen sind, nur mit der Persönlichkeit Trumps erklären will, übersieht eben leider viel zu viel. Wer also die Irrungen und Wirrungen, die in den USA zum Alltag geworden zu sein scheinen, in ihren bizarren Auswüchsen verstehen will, muss mehr als nur vier Jahre zurückblicken, der muss sich mit dem Waffenbesitz und der Nation Rifle Association befassen und sich die Kriegstreiberei anschauen, die keineswegs erst mit dem Irakkrieg unter Bush senior begann, und muss verstehen, welche Rolle die frommen und homophoben, gar rassistischen – ja – Republikaner/-innen zuweilen in diesem Powerplay übernommen haben
(Stephan Brandner [AfD]: Also, Trump ist schlecht! – Weiterer Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
Wir sollten uns daran erinnern, dass Trump an der mexikanischen Grenze Mauern und Internierungslager für geflüchtete Kinder baute. Ja, wir sollten eine bessere, eine humanere Migrations- und Flüchtlingspolitik machen. Aber davon verstehen Sie ja nichts.
(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
Herr Braun, können Sie einfach mal eine Minute ruhig sein? Das wäre schon eine ziemliche Errungenschaft, weil jetzt eine Rednerin dran ist.
(Widerspruch des Abg. Jürgen Braun [AfD])
– Ich sage nichts zu Zwischenrufen; aber Sie haben permanent, die ganze Debatte über, Zurufe gemacht. Jetzt ist Frau Daniela De Ridder dran. Ich werde mir auch nachher die emotionalen Zwischenrufe im Protokoll noch mal genauer anschauen.
(Jürgen Braun [AfD]: Das sollten Sie, ja!)
– Ja, das werde ich tun. Das werde ich tun, ja.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau De Ridder, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Das war notwendig. – Trump mag eine gestörte, eine narzisstische Persönlichkeit sein, ein Egomane, ein Bauernfänger, allerdings einer, der sich für zahlreiche Bevölkerungsgruppen wunderbar als Projektionsfläche anbietet. Und Sie haben gerade bewiesen, dass Bauernfänger auch in diesem Hause sitzen. Trump ist und bleibt ein Phänomen, weil es ihm als Repräsentanten des Establishments gelungen ist, die Wut auf jenes Establishment zu befördern, und ähnlich tun das die Populisten in Europa und leider eben auch hier.
Ja, Trump hat nicht nur die US-amerikanische Demokratie lädiert und empfindlich getroffen. Er hat auch offenbart, wo ihre Schwächen liegen. Er hat Hass und Hetze, Rassismus und Sexismus bedient und in den USA leider salonfähig gemacht, einen Politikstil propagierend, liebe Kolleginnen und Kollegen, den wir hier nie – nie! – zulassen dürfen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Trump kann auf die republikanische Parteistruktur bauen, auf die Vasallentreue eines Vizepräsidenten Mike Pence und eines Außenministers Mike Pompeo. Auch daraus haben wir viel zu lernen. Wäre ihm nicht die Pandemie dazwischengekommen – da bin ich sicher –, sein untaugliches Krisenmanagement und Abertausende Tote und Erkrankte, deren Schicksal ihn wenig berührt zu haben scheint, hätte er vermutlich erneut die Wahl gewonnen.
Trump war und ist allerdings auch Hoffnungsträger im Rust Belt, dort, wo die Deindustrialisierung hohe Arbeitslosigkeit beschert hat, dort, wo sich die Menschen abgehängt fühlen, wo die Stahlindustrie bereits seit Langem in der strukturellen Krise steckt, und überall dort, wo sich Arbeitslosigkeit, Kriminalität und urbaner Verfall manifestieren, ebenso im frömmelnden Bible Belt. In den ländlichen Regionen des Mittleren Westens scheint Trump die Rolle des Messias zugewachsen zu sein.
„This is not America“, hat Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, gesagt. Aber ich fürchte, da hat er sich geirrt; denn auch dies ist Amerika.
Biden und Harris werden ein Gegengift gegen eine Politik der Tea Party entwickeln müssen, die bereits Obamas Wirtschaftspolitik absurderweise kommunistisch nannte, gegen White Pride und sämtliche grassierende Verschwörungstheorien. Sie werden um Glaubwürdigkeit und Integrität ringen müssen, nicht nur in Charlottesville, wo Trump offen Rassisten und Neonazis unterstützt hatte. Sie werden ökonomisch und arbeitsmarktpolitisch Reformen einleiten und damit erfolgreich sein müssen.
Und wir sollten sie darin unterstützen, dass sie nicht nur die Protestierenden einbinden müssen, sondern auch diejenigen, die sie gewählt haben. Für all diese, aber auch uns gilt: „This land is your land and this land is my land … This land was made for you and me“, wie es der Gewerkschafter Woody Guthrie sang. Auch dies ist uns Auftrag, Losung und Warnung für die transatlantischen Beziehungen und die transatlantischen Freundschaften.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Dr. Daniela De Ridder. – Der letzte Redner in dieser sehr emotionalen Aktuellen Stunde: Thomas Erndl für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7495934 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 204 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Strategien zur Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit |