28.01.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 206 / Zusatzpunkt 3

Marco BuschmannFDP - Stärkung des Parlaments in epidemischen Lagen

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundeskanzler Willy Brandt gab seiner Regierung ein Leitmotiv. Er sagte: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Wir Freien Demokraten knüpfen heute an diesen Gedanken wieder an.

(Zuruf der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Mit unserem Gesetzentwurf sagen auch wir: Wir wollen mehr Demokratie wagen, mehr parlamentarische Demokratie in der Pandemie, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der FDP)

Dass das Parlament in der Pandemie gestärkt werden muss, hat die letzte Plenarwoche bewiesen. Der Gesundheitsminister hielt hier eine Regierungserklärung.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Na eben!)

Während er sprach, plante das Kanzleramt bereits tiefgreifende Grundrechtsbeschränkungen auf infektionsrechtlicher Grundlage.

(Hilde Mattheis [SPD]: Man kann das auch anders darstellen!)

Diese Dinge wollte die Kanzlerin dann in einer Besprechung mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, also in einer MPK, durchsetzen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vorher mit den Fraktionsvorsitzenden! Die werden vorher nämlich informiert, die Fraktionsvorsitzenden!)

Dazu verlor der Minister hier im Plenum kein Wort, die Kanzlerin auch nicht. Stattdessen ließ sie am Donnerstag in einem Parteigremium die Katze aus dem Sack. Das wurde an Medien durchgestochen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Glauben Sie nicht alles, was Sie in der Presse lesen!)

Ab Donnerstagabend gab es dann eine Berichterstattung dazu. Der Freitag war als Sitzungstag abgesagt. Später legte die Kanzlerin ihre Beweggründe nicht hier im Parlament, sondern in der Bundespressekonferenz dar.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Genauso ist es gewesen!)

Der Journalist Robin Alexander kommentierte die Vorgänge in der Tageszeitung „Die Welt“ vom 22. Januar dieses Jahres wie folgt – ich zitiere –:

Blamiert ist der Bundestag ...

Und weiter:

... das grenzt an Selbstaufgabe.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist Unsinn!)

Meine Damen und Herren, das Parlament ist die Herzkammer unserer Demokratie. Behandelt wurde es in den letzten Wochen aber wie ein Wurmfortsatz.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es sollte die gemeinsame Überzeugung aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier hier sein, das nicht länger hinzunehmen! Und dem dient unser Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung verschärft mit ihrem neuerlichen Vorgehen ein altes Problem. Die Gewaltenteilung wird schon seit Jahren durch ein Phänomen untergraben, das der CDU-Kollege Thomas de Maizière in seinem sehr lesenswerten Buch „Regieren – Innenansichten der Politik“ wie folgt beschreibt – ich zitiere –:

Zentrale wichtige Entscheidungen verlagern sich zu sehr weg von Bundesregierung oder Koalitionsausschuss, Bundestag oder Bundesrat hin zu den Besprechungen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder.

Und seine Empfehlung ist – ich zitiere weiter –:

Die Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten darf nicht zur Hauptinstanz der politischen Willensbildung in Deutschland werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Meine Damen und Herren, der Kollege de Maizière hat recht. Aber das genaue Gegenteil betreibt diese Bundesregierung. Sie macht aus der MPK die „Hauptinstanz der politischen Willensbildung“ in der Pandemie. Das geht jetzt schon ein Jahr lang so. Wie lange wollen wir das eigentlich hier noch hinnehmen, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN – Karin Maag [CDU/CSU]: Wollen Sie den Föderalismus abschaffen?)

Bei der Stellung des Parlaments geht es nicht nur um demokratische Legitimation und um Gewaltenteilung, es geht auch um die Qualität der Beschlüsse, die am Ende dabei rauskommen. Die MPK ist auf Dauer kein gutes Entscheidungsformat. Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sind in der Coronakrise dauergestresst. Sie sind durchweg Generalisten, keine Spezialisten. Das Phänomen des Gruppendenkens setzt ein. Es führt selbst bei kompetenten Personen zu schlechteren und realitätsferneren Entscheidungen. Das hat die Wissenschaft immer wieder gezeigt. Zudem lassen mehr und mehr Aufmerksamkeit und Konzentration dort nach. Der Ministerpräsident Bodo Ramelow hat das erst vor wenigen Tagen in seinem Candy-Crush-Geständnis zugegeben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

So wundert es auch nicht, dass viele Ministerpräsidenten in der MPK immer wieder Beschlüssen zustimmen, von denen sie sich dann wenige Stunden später in Teilen wieder lossagen. Das ist doch verrückt! Und so wundert es auch nicht, dass nach solchen Sitzungen Novemberhilfen verkündet werden, die gegen das Beihilferecht der EU verstoßen, die dann erst wieder nachgebessert werden müssen mit der Folge, dass viele Betroffene heute immer noch auf diese Hilfen warten. Meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger haben Besseres als das verdient! Und dem dient unser Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP)

Die Lösung für mehr parlamentarische Demokratie in der Pandemie sieht wie folgt aus: Möchte die Bundesregierung in der MPK eine bundesweit einheitliche Pandemiepolitik durchsetzen, dann braucht sie dafür auch eine Zustimmung des Deutschen Bundestages.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wofür die Länder zuständig sind!)

Denn bundesweite Angelegenheiten bedürfen einer bundespolitischen Legitimation.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was ist denn mit dem Bundesinfektionsschutzgesetz?)

Wenn nämlich die Bundesregierung mit bundesweiter Wirkung jenseits der technischen Kompetenzen des Bundes tätig wird, dann muss sie der Bundestag dabei auch politisch effektiv kontrollieren und steuern können. Und genau das ermöglicht unser Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP)

Der Bundestag ist auch schnell handlungsfähig; das hat er immer wieder bewiesen.

(Karin Maag [CDU/CSU]: Aber in Teilen nicht zuständig, Herr Kollege!)

Die Bundeskanzlerin kann auch jederzeit eine Sondersitzung verlangen, schon von Verfassungs wegen.

(Zuruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])

Und deshalb frage ich mich, was man als Parlament überhaupt dagegen haben können sollte, seine Steuerungs- und Kontrollfunktion in dieser Weise effektiv auszuüben, meine Damen und Herren. Das sollte unser gemeinsames Interesse sein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ist es auch! Wir ersetzen die Regierung nicht, wir kontrollieren sie!)

Dass man das Parlament in der Pandemie stärken kann, zeigt heute Morgen übrigens das Land Nordrhein-Westfalen: Die Koalition aus Union und FDP unter der Führung von Armin Laschet

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der kann’s einfach!)

und Joachim Stamp bringt in diesen Stunden ein „Gesetz zur parlamentarischen Absicherung der Rechtsetzung in der COVID-19 Pandemie“ ein.

(Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, die sind ja auch zuständig!)

Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt über diese Initiative, dass sie unter einem Motto von Willy Brandt stehen könnte:

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach, du meine Güte!)

„Mehr Demokratie wagen“. Wir wollen heute auch im Bund mehr Demokratie wagen, mehr parlamentarische Demokratie in der Pandemie wagen. Und genau dem dient unser Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Na ja! Da hakt es noch an vielen Stellen!)

Nächster Redner ist der Kollege Rudolf Henke, CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7499022
Wahlperiode 19
Sitzung 206
Tagesordnungspunkt Stärkung des Parlaments in epidemischen Lagen
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