Stephan BrandnerAfD - Normenkontrolle Bevölkerungsschutzgesetz
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Deutschland kennen wir zwei gesetzlich normierte Ausnahmezustände: zum einen den Verteidigungs-, zum anderen den Seuchen-, Pandemie- oder Infektionsfall.
Im Vorfeld der Regelungen des einen Ausnahmezustandes fanden etwa zehn Jahre lang hitzige Debatten im Parlament und in den Medien statt. Am Ende gab es eine höchst streitige Abstimmung im Deutschen Bundestag. Studenten, Intellektuelle, Gewerkschaften, aber auch SPD und FDP – man höre und staune! – gingen damals gegen diese Grundgesetzänderung vor. Sie fürchteten eine Demokratiegefährdung, und sie erinnerten an die Machtergreifung Adolf Hitlers.
Die Regelung des anderen Ausnahmezustandes ging ganz flott: wenige Tage Debatte, Verunglimpfung der Gegner durch Altparteien und Medien bei gleichzeitiger Unterstützung der Regierenden, ein paar Wasserwerfereinsätze gegen friedliche Demonstranten
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Sehr friedlich waren die!)
und dann nahezu einstimmige Zustimmung der ganz großen Koalition aus CDU, CSU, SPD und Grünen.
(Beifall bei der AfD)
Meine Damen und Herren, der eine Ausnahmezustand sieht im Verteidigungsfall die Möglichkeit vor, in fünf Grundrechte einzugreifen: Enteignungen, Freiheitsentziehungen, Dienstpflicht für Frauen, Einschränkungen der Artikel 10 und 11. Im Seuchen- und Pandemiefall kann es zu zeitlich unbegrenzten Eingriffen in nahezu sämtliche Grundrechte kommen: angefangen bei der Menschenwürde, Artikel 1, über das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Artikel 2, den Gleichheitssatz, Artikel 3, die Religionsausübung, die Wissenschafts-, Forschungs- und Versammlungsfreiheit, Artikel 4, 5, 8, die Rechte von Familien, Artikel 6, die Freizügigkeit, Artikel 11, die Berufsausübungsfreiheit, Artikel 12, die Unverletzlichkeit der Wohnung, Artikel 13, bis hin zu Eingriffen in das Recht auf Eigentum, Artikel 14.
(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Vorlesen können Sie! Das ist aber auch alles!)
So sieht das dann konkret aus: § 28a Infektionsschutzgesetz. Möglich sind: Anordnung von Abstandsgeboten, Maskenpflicht, Untersagung von Freizeitveranstaltungen, Untersagung des Betriebs von Freizeiteinrichtungen, Untersagung von Kultur- und Sportveranstaltungen, Untersagung von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen, religiösen Zusammenkünften, Untersagung von Reisen, Untersagung von Übernachtungsangeboten, Untersagung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen, Schließung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel,
(Zuruf des Abg. Ansgar Heveling [CDU/CSU])
Untersagung des Besuchs von Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens, Schließung von Hochschulen, Anordnung von Ausgangsbeschränkungen, Untersagung des Betretens von Alten- oder Pflegeheimen und Krankenhäusern. – Das war nicht einmal abschließend, meine Damen und Herren. So weit, so schlecht.
Übrigens das einzige Grundrecht, in das nicht eingegriffen wird, ist das Grundrecht auf Asyl. Man sperrt also ein ganzes Volk ein
(Lachen bei Abgeordneten der FDP)
und verbietet Reisen; einreisen und bleiben darf aber jeder. Das verstehe wer will.
(Beifall bei der AfD)
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt zwei Ausnahmezustände verglichen, und ich frage Sie: Für welchen der beiden muss man höhere Voraussetzungen erfüllen? Für den einen Fall, den Verteidigungsfall, wo zeitlich begrenzt in fünf Grundrechte eingegriffen werden kann, oder für den Seuchenfall, in dem die Möglichkeit besteht, zeitlich unbegrenzt in alle Grundrechte, die ich Ihnen gerade genannt habe, mit allen Schikanemaßnahmen, die ich Ihnen gerade genannt habe, einzugreifen?
(Zuruf des Abg. Stefan Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Also: Für welchen muss man höhere Voraussetzungen erfüllen? – Es weiß keiner. Ich sage es Ihnen: Der Seuchenfall ist viel einfacher festzustellen als der Verteidigungsfall. Für ihn reicht die einfache Mehrheit im Bundestag, um alle Grundrechte abzuschaffen. Für die Feststellung des Verteidigungsfalls braucht man eine qualifizierte Mehrheit im Bundestag und sogar die Zustimmung des Bundesrates.
Ob und wann Grundrechte dann wieder eingeräumt werden, steht in den Sternen. Sie kennen ja die Diskussionen, vor allem auch betrieben von Frau Lambrecht – Wo ist die Gute eigentlich? Gar nicht da – und Herrn Maas, dass es sich um Privilegien handeln würde, wenn man Grundrechte hat.
Meine Damen und Herren, ich sage hier ganz klar: Für uns sind Grundrechte keine Verfügungsmasse.
(Beifall bei der AfD)
Für uns sind Grundrechte keine Privilegien. Grundrechte gelten immer und überall, auch und vor allem in Krisenzeiten. Das schreiben Sie sich hinter die Ohren.
(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Wollen Sie denn alles laufen lassen?)
Wir stellen fest: Es besteht erheblicher verfassungsrechtlicher Klärungsbedarf. Für uns liegt die Verfassungswidrigkeit geradezu auf der Hand. Wenn schon Ausnahmezustand, dann Normierung im Grundgesetz. Das nennt man Vorrang der Verfassung.
Aber auch die einfachgesetzliche Regelung, meine Damen und Herren, ist verfassungswidrig, da unbestimmt. Es reicht die Ausbreitung einer „bedrohlichen übertragbaren Krankheit“, um diesen Ausnahmezustand festzustellen. Was diese bedrohliche übertragbare Krankheit sein soll, ist nicht weiter definiert. Es reicht also im Zweifel jede Grippewelle, wie sie in nahezu jedem Winter auftaucht, um ein ganzes Volk einzusperren und zu drangsalieren. Wie praktisch für die Regierenden, die sich ja seit Jahren an millionenfachen Verfassungs- und Rechtsbruch gewöhnt haben!
(Beifall bei der AfD – Zurufe von der CDU/CSU)
Das Infektionsschutzgesetz – meine Damen und Herren, das sage ich ganz klar – ist ein bewusst vage gehaltenes Unterjochungs- und Freiheitsberaubungsgesetz. Die Lösung wäre so einfach. Warum definieren Sie die „bedrohliche übertragbare Krankheit“ in § 5 nicht einfach so wie in § 6? Nur einen Paragraf später sind bedrohliche Krankheiten konkret aufgelistet. So könnte man ein Gesetz bestimmtheitsmäßig korrekt fassen, sodass keine Probleme mit der Rechtmäßigkeit bestünden. Aber Sie wollen es vage haben. Sie wollen frei schalten und walten können, zulasten der Bürger.
Warum? Der Schikanekatalog in § 28a, den ich gerade vorgelesen habe, ist an alle Bürger gerichtet. Sie stellen alle Bürger unter Generalverdacht. Das ist ein Bruch mit den bisherigen Grundsätzen des Polizeirechts, nach denen grundsätzlich nur Störer Adressat staatlicher Maßnahmen sein dürfen.
(Beifall bei der AfD)
Es sind also schwere Verstöße gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.
Wenn Sie sich dann noch mal das Manipulationspotenzial anschauen, was die Inzidenzwerte angeht – willkürlich festgelegte Inzidenzwerte –: Wenn Sie den Ausnahmezustand wollen, testen Sie einfach mehr; dann haben Sie auch mehr Infizierte, wobei wir ja inzwischen alle wissen: „Infiziert“ heißt zwingend weder erkrankt noch zwingend in der Lage, zu übertragen. Also, Sie können da schalten und walten, und genau das wollen Sie. Willkür ist Tür und Tor geöffnet.
(Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU])
Hinzu kommen dann noch Verstöße gegen den Föderalismus, also die Durchbrechung der Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist greifbar verfassungswidrig und hätte nie in Kraft treten dürfen. Die Merkel-Koalition hat es aber mit Unterstützung der Grünen durchs Parlament gepeitscht und verabschiedet. Die Opposition, hier mal nicht nur allein in Gestalt der AfD, sondern unterstützt durch die FDP und durch die Linken, konnte auf parlamentarischem Wege leider nicht verhindern, dass dieses Gesetz in Kraft tritt; deshalb dieser Antrag, über den gleich möglicherweise namentlich abgestimmt wird und mit dem wir als AfD allen echten Demokraten und Verfassungsfreunden
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
hier im Hause die Möglichkeit geben, mit uns vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.
(Beifall bei der AfD)
Und ich verspreche Ihnen: Wir werden vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich sein. So wahr ich hier stehe: Wir werden diesen Prozess gewinnen, wenn wir ihn denn gemeinsam als Oppositionsparteien führen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der AfD)
Bewusst haben wir auf die Vorlage – das kommt ja dann gleich – einer ausformulierten Antragsschrift verzichtetet, damit Sie sich in der Debatte auch einbringen können. Wir formulieren dann gemeinsam die Antragsschrift.
Also – ich komme zum Schluss, Herr Präsident –: Mit uns von der AfD gemeinsam für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte – das ist doch was! Ich lade Sie alle herzlich dazu ein.
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Da müssen Sie selber lachen, weil das so ein Schwachsinn ist, den Sie da erzählen! – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Kasperletheater!)
Seien Sie herzlich willkommen!
Vielen Dank.
(Beifall bei der AfD)
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Marco Luczak, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7499261 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 207 |
Tagesordnungspunkt | Normenkontrolle Bevölkerungsschutzgesetz |