Johannes SchrapsSPD - Aktuelle Stunde zu den jüngsten Entwicklungen in Russland
Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat schade, dass diese wichtige Thematik – und das hat die Rede des Kollegen Krischer gerade auch gezeigt – von den Grünen ganz offensichtlich nicht aufgrund der in der Tat vorhandenen Notwendigkeit für Diskussionen, sondern ausnahmslos für durchsichtige politische Spielchen aufgesetzt wurde. Das wird der gebotenen Ernsthaftigkeit bei dieser Thematik leider nicht gerecht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen die Richtigen! – Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Denn bei jedem, der die aktuelle Situation in Russland verfolgt, muss sich momentan das Gefühl einstellen, dass wir schon wieder in einer neuen, schwierigeren Phase angekommen sind. Alexej Nawalny, der erst vergiftet wurde, diesen Anschlag auf sein Leben nur mit viel Glück überlebt hat und nun ohne jegliche Legitimation in ein Arbeitslager gesteckt wurde, ist ja nur das leuchtende Symbol dafür. Als er nach seiner Rückkehr und der sofortigen Festnahme zu Protesten aufgerufen hatte, da kam es in so gut wie allen größeren und kleineren Städten Russlands zu Kundgebungen. Auch für viele Beobachter war es eher überraschend, dass mit der jüngsten Protestwelle eben auch in zahlreichen Provinzstädten viele Leute auf die Straße gingen im Einsatz für Bürgerrechte und für einen demokratischen Wandel Russlands. Das waren keine einzelnen, lokalen oder nur auf Moskau bezogenen Proteste, nein, das waren landesweite Proteste, und so etwas war in Russland in diesem Umfang lange nicht vorgekommen.
(Zuruf des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])
Beispiellos war jedoch auch – leider – der Einsatz der Sicherheitskräfte; denn so brutal waren sie vorher selten gegen friedliche Teilnehmer einer Demonstration vorgegangen. Dazu gleichen sich die Berichte aus vielen Städten. Das russische Regime geht gegen seine Gegner mit kaum vorstellbarer Gewalt vor. Mittlerweile ist von über 11 000 Verhaftungen die Rede.
Das Vorgehen gegen Nawalny persönlich ist also nur das Symbol für die allgemeine Situation in Russland; er steht symbolisch für viele Tausend Menschen, die auf die eine oder andere Art und Weise für ihre politischen Überzeugungen bestraft werden, mit körperlicher Gewalt oder mit Freiheitsentzug.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein solches Vorgehen widerspricht fundamental den freiheitlichen, rechtsstaatlichen Werten, auf die wir uns hier in der Europäischen Union verständigt haben. Deshalb – und das hat Außenminister Heiko Maas zum Glück deutlich gemacht – kann es auf diese Vorkommnisse auch nur eine europäische Reaktion geben und keine nationalen Reaktionen.
Eine einheitliche EU-Linie im Umgang mit Russland hat es in den letzten Jahren – das müssen wir uns eingestehen – leider nicht immer gegeben. Diese Uneinigkeit hat dazu geführt, dass die EU in Russland als politischer Akteur offensichtlich nicht immer ganz ernst genommen wird. Wie die Situation ausschaut, mussten wir beim Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in der vergangenen Woche in Moskau leidvoll beobachten. Die Ausweisung von EU-Diplomaten aus Deutschland, Schweden und Polen während der Pressekonferenz von Borrell mit dem russischen Außenminister Lawrow ist ein diplomatischer Affront, der ganz bewusst herbeigeführt wurde. Das russische Regime weiß ganz genau, dass es darauf eine Reaktion der EU geben muss; es provoziert damit eine Eskalation der Beziehungen und verkauft dies der eigenen Bevölkerung dann als ein Zeichen, dass Nawalny ein Agent des Westens sei und dass Russland von ach so vielen Feinden umgeben sei.
Nils Schmid hat zu Recht auf die Situation und auf den Zustand des Landes hingewiesen. Nur mit diesen antiwestlichen Narrativen und mit immer neuen außenpolitischen Provokationen können die Schwierigkeiten im eigenen Land, die sich eben auch in diesen landesweiten Protesten widerspiegeln, zumindest zeitweise überdeckt werden. Außenpolitik ist vor allem in Russland immer auch Teil der Innenpolitik, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU] und Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Doch deshalb sollten wir aus meiner Sicht dort, wo wir es können, nicht auf Dialog verzichten. Er wird auf parlamentarischer Ebene von Kollegen wie Frank Schwabe im Rahmen des Europarates oder auch von mir im Rahmen der Ostseeparlamentarierkonferenz intensiv gepflegt, wo es geht; denn Dialog ist die Grundlage jedes demokratischen Miteinanders.
Aber man redet besser auf Augenhöhe, wenn man sich der eigenen Stärke auch bewusst sein kann. Deswegen muss die Stärkung der europäischen Sicherheitspolitik, unter anderem im Bereich Cybersecurity, eine große Priorität sein, die Stärkung der Europäischen Verteidigungsunion ebenso, und auch bei der Diskussion um weitere zielgerichtete Sanktionen sollte die EU meines Erachtens klare Kante zeigen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Stärke besteht hier aber vor allem in europäischer Einigkeit. Einigkeit innerhalb der EU zu erzielen, muss deshalb das Ziel unserer europäischen Aktivitäten sein.
Mit einer baldigen Verbesserung der EU-Russland-Beziehungen – das muss man ehrlich eingestehen – ist aktuell nicht zu rechnen. Aber: Wir verurteilen das Regime von Putin, nicht das Land Russland und auch nicht die Menschen, die dort leben. „ Putin ist nicht Russland“, verehrte Kolleginnen und Kollegen; das müssen wir immer wieder deutlich sagen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Deshalb geht es auch um Zeichen an die russische Zivilgesellschaft, so schwer es uns die Gesetzgebung „gegen ausländische Agenten“ auch macht. Ein starkes Signal wäre für mich dabei eine Visaliberalisierung für junge Russinnen und Russen; denn dann verteilt nicht mehr das Regime die Genehmigung, über den eigenen Horizont, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und den eigenen Horizont zu erweitern, sondern dann würden wir vielen jungen Menschen die Möglichkeit einräumen, dies zu tun.
Eine Kombination aus einheitlicher EU-Strategie, klar fokussierten Sanktionen, einer Fortsetzung des Dialogs über bestehende Kanäle und der Unterstützung der russischen Zivilgesellschaft, das ist die richtige Vorgehensweise. Sie wird uns – damit komme ich zum Schluss – wahrscheinlich keinen schnellen Erfolg bringen. Beim Ziel der Verbesserung der EU-Russland-Beziehungen sollten wir uns nicht auf einen Sprint, sondern auf einen Marathon einstellen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen Hardt [CDU/CSU])
Vielen Dank. – Das Wort geht an Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7501616 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 208 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den jüngsten Entwicklungen in Russland |