Johannes VogelFDP - Westbalkanregelung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, der hier vorliegende Antrag der AfD ist ein Akt politischer Ehrlichkeit. Denn von manchen AfD-Vertretern wurde und wird ja immer wieder behauptet – in einem Akt von politischer Camouflage, möglicherweise um sich gegenüber den Wählern der Mitte zu tarnen –, man sei ja gar nicht gegen Migration an sich, sondern man sei ja nur für mehr Ordnung bei der Migration, man sei ja zum Beispiel auch für das kanadische Einwanderungssystem. Das steht ja angeblich auch im Programm der AfD. Mit diesem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen die Kollegen von der AfD die Maske fallen und machen sich politisch ehrlich; denn sie sind einfach gegen jede Form von Migration. Das können wir hier und heute schwarz auf weiß lesen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das sollten wir der Bevölkerung auch sagen.
(Beatrix von Storch [AfD]: Was für eine Hassrede! – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Schauen wir mal auf das, was hier konkret beantragt wird. Mit der Westbalkanreglung wird Menschen vom Westbalkan, die ein Arbeitsplatzangebot haben, nach einer Vorrangprüfung mit Blick auf Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt hier die Möglichkeit gegeben, zuzuwandern. Diese Regelung ist übrigens auch sehr gut evaluiert. Mit Wissenschaft haben Sie es ja nicht so, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD; das wissen wir. Wir haben eben auch gemerkt, dass Sie zum Beispiel nichts von Forschung über zirkuläre Migration verstehen. Aber das sollten Sie zumindest mal nachlesen. Und was da drinsteht, ist ganz eindeutig: Beschäftigungsstabilität der Menschen, die da kommen: hoch. Verdienste der Menschen, die da kommen: hoch. Sozialleistungsbezug: praktisch nicht vorhanden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht Ihnen nicht um Steuerung, es geht Ihnen einfach darum, dass Sie hier Ihre Ressentiments gegen Bosnier oder andere Menschen vom westlichen Balkan ausleben können; und das sollten wir auch ganz klar sagen.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der Kollege Biadacz hat ja zu Recht darauf hingewiesen: Nahezu wortgleich, mit schlechtem Copy-and-paste, haben Sie uns vor wenigen Wochen einen nahezu identischen Antrag vorgelegt. Da ging es darum, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Großen Koalition abzulehnen. Also ich erinnere mich gut an die Diskussionen und die Anhörungen zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Koalition. Alle Migrationsexperten – da müsst ihr jetzt durch, liebe Kolleginnen und Kollegen – haben gesagt: Ja, das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber der große Wurf ist das noch nicht. Die Kanadier machen es uns vor; die haben nämlich nicht nur eine gesteuerte Migration, sondern die haben vor allem mehr Fachkräfteeinwanderung.
(Beifall bei der FDP)
Wenn man sogar ein solch kümmerliches Fachkräfteeinwanderungsgesetz ablehnen und abschaffen will,
(Zurufe von der AfD)
dann muss man sich ehrlich machen: Es geht Ihnen nicht um Steuerung, es geht Ihnen darum, dass Sie Ihre völkischen Ressentiments ganz generell ausleben wollen. Sie wollen einfach gar keine Migration mehr nach Deutschland; und das wäre fatal, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD.
(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Warum wäre das fatal?
Erstens: weil es unsere Geschichte negiert. Von den Anfängen Preußens – bei den Hugenotten – über die sogenannten Gastarbeiter zur Einwanderung aus der EU in den letzten Jahren: Immer schon haben Einwanderer unsere Gesellschaft bereichert, unser Wirtschaftswunder mitgeschrieben, und sie bezahlen übrigens mit ihren Steuern auch Ihre Diäten, damit Sie hier Hass und Hetze im Plenum verbreiten können.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)
Zweitens. Mit Blick auf den demografischen Wandel brauchen wir in den nächsten Jahren ganz dringend mehr Fachkräfteeinwanderung. Wo sollen denn die IT-Fachkräfte und andere herkommen, die dann zusätzliche Arbeitsplätze in unserem Land schaffen? Das geht nur über qualifizierte Einwanderung und mehr Einwanderung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD.
(Beifall bei der FDP)
Drittens brauchen wir Einwanderung auch für Innovationen. Mit neuen Köpfen kommen auch neue Ideen, und das kann man dieser Tage in der Krise sehen. Ginge es nach der AfD, die schwarz auf weiß einfach gar keine Einwanderung nach Deutschland haben will, und hätten Sie in der Vergangenheit in diesem Land irgendetwas zu sagen gehabt, dann gäbe es auch die BioNTech-Gründer, die Kinder türkischer Einwanderer sind, nicht.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Dass Innovatoren wie Özlem Türeci und Ugur Sahin in diesem Land uns helfen können, die Coronakrise zu bewältigen – mit das Beste bereitstellen, was wir aktuell in der Krisenbewältigung haben –, verdanken wir qualifizierter Einwanderung.
Ginge es nach Ihnen, gäbe es all das in Deutschland nicht. Danke, dass Sie uns das hier heute so ehrlich vorlegen. Für unser Land wäre es eine fatale Politik. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Das Wort geht an Daniela Kolbe von der SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7501624 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 208 |
Tagesordnungspunkt | Westbalkanregelung |