11.02.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 6

Dennis RohdeSPD - Haushalt 2021 - Schuldenbremse

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Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben den Bundeshaushalt 2021 sehr intensiv diskutiert. Allein 17 Stunden Bereinigungssitzung! Wir haben zwei ganze Sitzungswochen von Dienstag bis Freitag gehabt, um über die einzelnen Punkte des Bundeshaushalts zu diskutieren. Wir haben hier auch sehr intensiv über die Frage der Ausgestaltung von Artikel 115 Grundgesetz und die Ausnahme von der Schuldenbremse diskutiert. Ich hätte mir gewünscht, dass wir, nachdem dieser Bundeshaushalt nicht mal anderthalb Monate in Kraft ist, an einem Donnerstagvormittag in der Kernzeit im Deutschen Bundestag die Dinge diskutieren, die gerade zur Bekämpfung der Pandemie wirklich wichtig sind, statt uns hier zu einem Begrüßungskomitee für irgendwelche AfD-Wünsche degradieren zu lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich bin dem Kollegen Otto Fricke ausdrücklich dankbar, weil er noch mal klargestellt hat, dass wir natürlich unterschiedliche Vorstellungen zur Ausgestaltung eines Bundeshaushalts, auch in Krisenzeiten, haben, und noch mal dargestellt hat, dass wir als Sozialdemokraten im Kern sicherlich andere Vorstellungen haben als die FDP-Fraktion, dass die FDP-Fraktion im Haushaltsausschuss Dinge beantragt hat, die ich aus vollster Überzeugung abgelehnt habe,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)

und dass sie andersherum auch Dinge abgelehnt hat, die wir beantragt haben. Aber das ist nun mal die parlamentarische Demokratie, so wie sie gelebt wird, und hierhin gehört die Debatte und nicht zur Judikative, nicht nach Karlsruhe. Lassen Sie uns hier streiten, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich will auch deutlich machen: Ich finde, es ist vollkommen zweifelsfrei, dass wir in einer außergewöhnlichen Notsituation sind, die sich der Kontrolle des Staates entzogen hat. Wir haben 2,3 Millionen mit dem Coronavirus Infizierte in Deutschland. Wir haben über 63 000 Menschen, die an diesem Virus verstorben sind.

(Johannes Huber [AfD]: Mit!)

Wir haben viel, viel mehr Menschen, die in Krankenhäusern gelitten haben, die beatmet wurden, die in Intensivstationen waren. Und es ist unsere Aufgabe als Staat, die Menschen vor diesem Virus zu schützen. Wir haben keinen Einfluss auf das Virus, und deshalb können wir auch diese Pandemie nicht einfach händeln, wie man vielleicht andere Herausforderungen im Staatswesen händeln kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Weil wir diese außergewöhnliche Notsituation haben, mussten wir intervenieren, mussten wir eingreifen. Wir haben das gemacht, was Jurastudenten im ersten Semester lernen, nämlich Grundrechte gegeneinander abgewogen und dafür gesorgt, dass jedes Grundrecht möglichst gut noch zur Geltung kommt. Das nennt man in der juristischen Lehre „praktische Konkordanz“.

(Beifall des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])

Wir mussten einzelne Grundrechte massiv einschränken – ja –, damit wir das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und auf Leben schützen konnten,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

was auch in meiner Wahrnehmung in dieser Situation über allem steht.

Aber wir haben das immer, auch in einer sehr intensiven Debatte, finde ich, maßvoll getan. Man kann doch auch mal in andere Staaten gucken: In Spanien durften Kinder wochenlang die Wohnung nicht verlassen. In Frankreich durften sie nur in einem ganz begrenzten Umkreis um ihre Wohnung überhaupt noch rausgehen. – Das, was wir gemacht haben, ist eben auch geschehen, um die Freiheitsgrundrechte möglichst zu schützen und sie auch möglichst schnell wieder zur Geltung kommen zu lassen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU])

Und – deswegen sage ich das an dieser Stelle – das hat uns, das hat das Staatswesen viel Geld gekostet, weil eine dieser Folgen eben war, dass wir wirtschaftliche Betriebe nicht mehr haben wirtschaftlich tätig sein lassen können, dass wir Unternehmen schließen mussten, dass wir dafür Sorge tragen mussten, dass Bürgerinnen und Bürger nicht so mobil sind und in Innenstädte gehen, um zu konsumieren. Um das aufzufangen, haben wir als Bundesrepublik viel Geld in zwei Haushalten in die Hand genommen.

Wir haben das nicht nur an einer Stelle getan, sondern wir haben wirklich breite, massive Wirtschaftshilfen, breite, massive Hilfen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angeschoben, damit die Unternehmen, die vor der Krise erfolgreich waren, auch nach der Krise erfolgreich sein können, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vor der Krise Arbeit hatten, auch nach der Krise wieder Arbeit haben.

Und eben weil das so teuer war – das ist die zweite Voraussetzung für Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 –, haben wir auch eine starke Beeinträchtigung der Finanzlage dieses Staates, und damit liegen die Voraussetzungen für die Ausnahmeregelung der Verfassung nach meinem Dafürhalten zweifelsohne vor, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU])

Was wäre die Konsequenz, wenn wir das nicht feststellen würden? Und was wäre die Konsequenz, wenn angewendet würde, was da von rechts gefordert wird? Das würde bedeuten: Streichung des Kurzarbeitergeldes. Das würde bedeuten: Streichung der Unternehmenshilfe. Das würde bedeuten, dass wir dem Versprechen des Sozialstaats nicht gerecht werden und die Menschen in diesem Land im Regen stehen lassen. Ich finde, das kann keiner ernsthaft wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Antje Tillmann [CDU/CSU])

Nun wissen wir, dass eine Folge der Pandemie sein wird, dass die Staatseinnahmen auch in den nächsten Jahren hinter dem zurückbleiben werden, was wir vor der Krise einmal angenommen haben.

(Otto Fricke [FDP]: Beim Bund!)

Wir wissen noch nicht, wann wir diese Pandemie bewältigt haben werden. Aber jetzt ist schon klar: Wir werden jedes Jahr ungefähr die Staatseinnahmen haben, die wir eigentlich mal für zwei Jahre vorher kalkuliert haben. Wir haben also ein Loch im Staatshaushalt.

Gleichzeitig wissen wir, dass wir an einem Punkt sind, wo wir dieses Land fitmachen müssen für die 20er-Jahre, wo wir vor großen wirtschaftlichen Transformationsaufgaben stehen. Wir haben Missionen vor uns, zum Beispiel den klimaneutralen Umbau der Industrie, der nicht von alleine gelingen wird, wo wir als Staat werden unterstützen müssen, um auch unsere Klimaschutzziele einzuhalten. Wir haben die Mission vor uns, die Transformation zur Gigabitgesellschaft einzuleiten und die digitale Wertschöpfung in diesem Land zu stärken, und – ich glaube, das haben wir auch in der Pandemie erlebt – wir werden uns auch um den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärker kümmern müssen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben Aufgaben vor uns, von denen ich finde, dass man sie nicht negieren kann, und die uns Geld kosten werden. Wir werden also investieren müssen.

Gleichzeitig will ich folgende Fragen stellen, weil jetzt die Debatte darüber aufkommen wird – das wird, glaube ich, auch in den nächsten Monaten eine Kernauseinandersetzung in der Wahlkampfphase werden; Otto Fricke hat das auch gesagt –: Woher soll das Geld kommen? Welche Prioritäten setzen wir? Ich will noch mal für meine Fraktion deutlich machen: Wir wollen nicht den Angriff auf die drei Sicherheiten, die wir den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land gewähren. Ich finde, es wäre ein fataler Fehler, jetzt das soziale Sicherungsnetz zusammenzustreichen.

(Beifall bei der SPD)

Denn am Ende wären die sozial Schwächsten die Leidtragenden dieser Krise. Ich glaube, das würde auch dazu beitragen, dass diese Gesellschaft zerbricht, und die Akzeptanz für Politik, für Rechtstaat und Demokratie in diesem Land gefährden. Deshalb: Finger weg vom Sozialstaat!

(Beifall bei der SPD)

Ich finde, es wäre auch ein großer Fehler, jetzt bei der inneren Sicherheit zu sparen. Wir haben mit viel Anstrengung in den letzten sieben Jahren viele Stellen für Beamtinnen und Beamte bei der Bundespolizei, beim Bundeskriminalamt, bei den Diensten geschaffen,

(Otto Fricke [FDP]: Beim Zoll!)

weil wir eben auch große Sicherheitsherausforderungen vor uns haben. Ich finde, es wäre ein fatales Signal, jetzt den Kolleginnen und Kollegen in den Sicherheitsdiensten sagen zu müssen: Die Kollegen, die ihr eigentlich braucht, die kommen nicht, weil wir sie jetzt wegsparen. – Ich finde, das geht nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe mit Interesse gelesen, was die Verteidigungsministerin auf sieben Seiten niedergeschrieben hat, was im Ergebnis ja besagt, dass sie in den nächsten Jahren Milliarden mehr für die Bundeswehr brauchen wird. Das zu postulieren, wenn man sich den Zustand der Bundeswehr anguckt, mag das ja auch nicht ganz falsch sein. Auch dann wird man die Frage beantworten müssen, liebe Kollegen: Wo kommen diese Milliarden eigentlich her? Diese Antwort ist sie schuldig geblieben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dann sind wir am Ende bei der Debatte zur Schuldenbremse, bei der Einnahmedebatte oder bei der Streichungsdebatte. Was mich bei der Schuldenbremsendebatte stört, ist, dass sie von vielen zu so einer Schwarz-Weiß-Debatte gemacht wird: Wohl oder Wehe, ja oder nein? Aber de facto haben wir gerade zum ersten Mal den Anwendungsfall der Schuldenbremse.

Ich finde, Politik macht nicht immer alles hundert Prozent richtig; das kann sie für sich nicht beanspruchen. Natürlich haben wir ein Recht darauf, zu gucken: Was funktioniert eigentlich, und wo muss man gegebenenfalls nachstellen? Ich will mal einige Punkte nennen:

Erstens. Ich finde, das, was Helge Braun aufgeschrieben hat, nämlich eine Antwort auf die Frage: „Ist diese Schuldenbremse eigentlich richtig ausgestaltet für die Jahre direkt nach der Krise, wenn Staatseinnahmen noch hinterherhinken, oder müssen wir da noch einen Mechanismus finden?“, ist etwas, was wir diskutieren müssen.

Zweitens. Ich finde, wir müssen darüber diskutieren, ob es von den Bundesländern so klug war, dass sie sich selbst überhaupt keinen Spielraum eingeräumt haben, obwohl er ihnen angeboten wurde. Ich habe mir sagen lassen, der heutige Bundesinnenminister habe das abgelehnt.

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Das sind zwei konkrete Punkte in Bezug auf die Schuldenbremse, über die man jenseits der Schwarz-Weiß-Debatte diskutieren kann und, wie ich finde, auch diskutieren muss. Dieser Debatte sollten sich alle Fraktionen im Deutschen Bundestag stellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Rohde. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7501860
Wahlperiode 19
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Haushalt 2021 - Schuldenbremse
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