René RöspelSPD - Aktuelle Stunde – Neutralität der Wissenschaft
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „ Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“: Dieses in Artikel 5 des Grundgesetzes beschriebene Abwehrrecht gegenüber staatlichen Eingriffen ist auch Ausdruck der Erfahrung aus der Nazizeit. Da hat es nämlich häufig die Situation gegeben, dass Forschung aus politischen Gründen verboten worden ist. Diese Situation darf nie wieder eintreten, und diese Situation werden wir auch verhindern.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Allerdings finden in diesem Hause wieder Debatten statt, die an alte Zeiten erinnern. Eines der wohl bekanntesten Beispiele aus der Nazizeit ist Magnus Hirschfeld, der Sexualforscher, der eine neue wissenschaftliche Richtung begründet hat, dann aber von den Nazis verfolgt wurde und fliehen musste und dessen Institut von den Nazis verboten worden ist. Ich muss sagen: Manche Reden in diesem Haus – gerade von der AfD – zur Geschlechterforschung und Genderforschung haben doch erstaunliche Parallelen zu einer Zeit, die wir jedenfalls nicht mehr wollen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Forschungsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz hat auch ihre Grenzen. Auch das ist eine Erfahrung aus der Nazizeit. Nicht nur die fürchterlichen Versuche von Josef Mengele an Menschen haben gezeigt, dass Forschung nicht grenzenlos sein kann und sein darf. Sie findet immer dort ihre Grenzen, wo sie andere Grundrechte berührt, zum Beispiel das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Artikel 2
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])
oder die Menschenwürde in Artikel 1, die nicht gegen andere Grundrechte abwägbar ist. Das ist gut so; das ist eine sinnvolle Regelung.
Immer wieder wird auch hier darüber diskutiert, inwieweit Forschung grenzenlos sein kann. Das findet auf Basis einer breiten gesellschaftlichen, aber auch parlamentarischen Debatte statt. Wir haben solche Beispiele hier erlebt, zum Beispiel wenn es um Embryonenforschung, Tierschutz oder die gruppennützige Forschung an Kindern geht. Dann kommt die Forschungsfreiheit nach Artikel 5 allerdings tatsächlich in Konflikt mit anderen Grundrechten, und dann gilt es, eine Abwägung zu treffen. Diese Abwägung trifft dieses Haus in der Regel sehr gut, finde ich. Dann wird Forschung reglementiert, oder es werden sogar Verbote geschaffen, wie durch das Embryonenschutzgesetz.
In dieser Zeit müssen wir eine Verwechslung der staatlich garantierten Forschungsfreiheit einerseits mit der Meinungsfreiheit andererseits wahrnehmen. Das kommt – das ist auch gerade schon gesagt worden – dadurch zum Ausdruck, dass sich ein Netzwerk Wissenschaftsfreiheit aus 70 Wissenschaftlern gegründet hat, die Forschungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit anmahnen, sich aber eigentlich auf Meinungsfreiheit beziehen. Tatsächlich werden Meinungsfreiheit und Forschungsfreiheit also miteinander verwechselt und manchmal vermischt. Man muss nämlich wissen: Ein Forscher darf sagen, was er will, weil er nicht nur Forschungsfreiheit, sondern auch Meinungsfreiheit hat, aber wenn er mit einer exponierten Meinung in die Öffentlichkeit tritt, muss er auch damit rechnen, dass er sich einer Diskussion ausliefert, und sich so stellen wie jeder andere Mensch eben auch. Das ist Ausdruck der gesetzlich und grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit. Die ist manchmal schwer zu ertragen. Aber wir stellen glücklicherweise fest, auch wenn es uns nicht immer passt, dass diese Meinungsfreiheit auch bundesverfassungsgerichtlich immer wieder bestätigt wird und die Hürden der Einschränkung sehr hoch sind.
Wenn jemand allerdings politischen Druck auf Forschungsinstitute und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausübt, so wie das auch Teil dieser Debatte in der Aktuellen Stunde ist, dann ist das die AfD. Sie und Ihre Abgeordneten reden nicht nur immer wieder von einem Verbot von Forschung oder verächtlich über Forschung,
(Widerspruch bei der AfD)
sondern Sie tragen auch Schilder, auf denen Wissenschaftler in Gefängniskleidung abgebildet sind. Wenn das nicht Angriff auf Persönlichkeitsrechte, Meinungsfreiheit und Forschungsfreiheit ist, dann weiß ich nicht, was man unter „Angriff“ sonst verstehen könnte.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich will auch ausdrücklich sagen, dass die Tatsache, dass die Debattenkultur, die, wie von Wissenschaftlern bemängelt wird, schlechter geworden ist – auch die gesellschaftliche Debattenkultur ist schlechter geworden –, im Wesentlichen an Ihnen liegt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der AfD)
Das hat man gerade an der Rede und an Ihren Behauptungen gemerkt. Kein anderer in diesem Haus, keine andere Fraktion außer der AfD hat ein Interesse daran, dass diese Pandemie bis in den Herbst hineingeht.
Was denken Sie sich? Und welche Sprache verwenden Sie hier? Sie wollen ablenken. Sie wollen vom Täter zum Opfer werden. Das wird Ihnen aber nicht gelingen. Das Spannende ist: Wenn Sie die Gelegenheit haben, in Videokonferenzen mit den Wissenschaftlern zu diskutieren, die Sie auf Schildern in Gefängniskleidung zeigen, dann schweigen Sie still, dann scheuen Sie die Debatte.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Da würde der große Philosoph Oliver Kahn sagen: Sie haben schlicht „keine Eier“. – Sie müssen wenigstens zu dem stehen, was Sie kritisieren, und das nicht hinterrücks machen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die SPD ist in ihrer Geschichte die Partei der Freiheit, und das verstehen wir auch für die Zukunft als Verpflichtung. Wir werden sie in jeder Beziehung verteidigen: als Forschungsfreiheit und als Meinungsfreiheit.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Danke. – Das Wort geht an Dr. Petra Sitte von der Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7501917 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 209 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde – Neutralität der Wissenschaft |