11.02.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 209 / Zusatzpunkt 20

Ernst Dieter RossmannSPD - Aktuelle Stunde – Neutralität der Wissenschaft

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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Steier, Ihre Tonlage hat mir gefallen, weil sie nüchtern war. Ich will das fortsetzen und auch eine Spaßbremse sein.

Erstens: Wahlspaßbremse. Herr Sattelberger, ich habe lange überlegt, ob ich Ihnen hier im Plenum einfach mal Folgendes sage: Man mag Ihnen so gerne zustimmen. Wenn Sie Ihren letzten Satz, den wir alle schon immer erahnen, aus reiner Selbstbezogenheit und auch Selbstverliebtheit weglassen könnten, würden Sie deutlich mehr Zustimmung für Ihre vielen klugen Gedanken bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das Zweite. Weil hier ein vermeintlicher Skandal angesprochen worden ist, der jetzt, ganz aktuell, bekannt geworden sei, möchte ich, weil uns auch am Fernsehen Menschen folgen, darauf hinweisen, dass diese sogenannte regierungszentrierte Studie seit April letzten Jahres im Internet zu lesen ist.

(René Röspel [SPD]: Ja, transparent und öffentlich!)

Ich empfehle wirklich allen, vor allen Dingen den Kritikern dieser Studie, sie zu lesen.

In dieser Studie wird nichts anderes gemacht – das möchte ich drittens sagen – als das, was man im März und April 2020, also im ersten Lockdown, dringend brauchte, nämlich dass man Szenarien entwickelt: ein Worst-Case-Szenario und ein Nicht-Worst-Case-Szenario und noch ein drittes dazwischen. Das kann man ganz nüchtern nur als sehr sachbezogen und sehr auf die Entwicklung zentriert werten und positiv aufnehmen, dass man dies so nachlesen kann. Lesen Sie es bitte in allen Punkten nach.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Lesen schadet nicht! Lesen kann zu Erkenntnissen führen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Der vierte Punkt. Ich glaube, es war Minister Spahn, der freundlich gesagt hat: Wir werden uns noch viel verzeihen müssen. Ich glaube, das war in dem Gespräch, das wir gestern im Wissenschaftsausschuss mit Professor Haug geführt haben, der darauf hinwies, dass man natürlich mal in eine Phase hineinkommen wird, in der man den ganzen tatsächlich nicht vorhersehbaren Prozess, den wir seit Beginn der Pandemie im März letzten Jahres erleben, sehr genau nachzeichnen wird, um so Schwächen und Stärken besser zu verstehen und daraus Empfehlungen für die Zukunft abzuleiten. Auch Herr Brinkhaus hat heute in seiner bemerkenswerten Rede eine Agenda für die Zukunft angesprochen und gesagt, dass wir Fähigkeiten zur Bewältigung von Katastrophen brauchen. Die Aufarbeitung dieser Sachverhalte sollte aber bitte nicht in der Diktion eines Untersuchungsausschusses stattfinden, bei dem es Ankläger und anderes gibt, sondern in einer kooperativen Weise. In dieser Studie

(Grigorios Aggelidis [FDP]: Die Liste des Versagens!)

wird man – das ist meine Einschätzung nach der Lektüre – nichts finden, was einen Untersuchungsausschuss rechtfertigt.

Eine kleine Anmerkung will ich mir dann doch erlauben zu dem, was Herr Kubicki, der Großmeister der starken Worte,

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

zu der Studie sagte. Er glaubte, diese Studie in einer autoritären Situation verankern zu müssen. Ich glaube, Herr Kubicki, manchmal sind Ihre Worte schneller als Ihr Verstand.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Fünfte, was ich ansprechen möchte, ist, dass es durchaus ein Hoffnungszeichen gibt: Der unselige Geist der Wissenschaftsfeindlichkeit und des Populismus ist in Amerika abgewählt worden. Das wird sich auswirken. An der Stelle sollten wir anknüpfen. In Amerika bekommt jetzt zum ersten Mal – das muss man sich mal vorstellen – ein Scientific Advisor Kabinettsrang. In einer der stärksten Wissenschaftsnationen ist wissenschaftliche Rationalität, ist wissenschaftlicher Sachverstand in die Regierung mit hineingenommen worden. Das werden Sie hoffentlich an keiner Stelle beklagen; denn das bringt verstärkt zum Ausdruck, dass Politik und Wissenschaft im Dialog miteinander sein müssen.

Der sechste Punkt. Ich finde es sehr gut und wichtig, dass dieses Thema während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Rahmen einer Erklärung zur Wissenschaftsfreiheit angesprochen worden ist. Herr Sattelberger, Sie haben dort eine Anfrage gestellt und eingefordert, dass alle diese Erklärung unterschreiben sollten. Das Ergebnis ist zwar positiv, allerdings gibt es auch Ausnahmen: Polen und Ungarn. Das zeigt zugleich die Aufgabe, die wir dabei haben, nämlich auch mit diesen Ländern in einen Dialog, in eine Auseinandersetzung einzutreten, damit sie die elementaren Leitpunkte für Wissenschaftsfreiheit, Wissenschaftsförderung, Forschung und Entwicklung mittragen können.

Der siebte Punkt, den ich ansprechen möchte: Es geht darum – wie es auch gemacht worden ist –, dass wir in Deutschland eine Struktur haben, die es von der kleinen Peer-Review bis hin zur Schwarmintelligenz der großen Wissenschaftsorganisationen – HRK, Allianz der Wissenschaftsorganisationen, DFG – ermöglicht, dass es abgewogene und breit verankerte Erkenntnisse gibt.

Mein nächster Punkt bezieht sich auf das, was uns Professor Haug gestern im Ausschuss noch einmal anempfohlen hat: mit Wissenschaftskommunikation selbstbewusst und aufklärend, aber nicht erschrocken umzugehen.

Vielleicht haben Sie es schon bemerkt, dass ich in dieser Rede – weil ich dessen überdrüssig bin – bisher kein einziges Mal das Wort „AfD“ benutzt habe.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Jetzt machen Sie es aber!)

Ich mache jetzt einen Punkt. Was ich von Ihnen gerne wissen möchte: In Ihrer Struktur mit lauter fixierten, autoritären, bigotten Charakteren, haben Sie da eigentlich Fragen noch an sich selbst?

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Gehen Sie eigentlich noch mit sich selbst fragend zurate? Oder sind Sie immer auf der Seite derjenigen, die hundertprozentig alles wissen und hundertprozentig alles richtig machen?

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Das war der Herr Scholz, von dem Sie reden!)

Sie haben die Pflicht zur Selbstbefragung.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Wolfgang Stefinger von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7501924
Wahlperiode 19
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde – Neutralität der Wissenschaft
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