Claudia MollSPD - Solidarische Pflegevollversicherung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Unglaublich, dass ich es im Jahr 2021, mitten in einer globalen Pandemie, noch mal ausdrücklich sagen muss: Nicht jeder kann pflegen; aber jeder von uns kann von heute auf morgen pflegebedürftig werden. Es stimmt, gute Pflege darf nicht den Geldbeutel der Pflegebedürftigen und den ihrer Angehörigen belasten. Gute Pflege muss uns mehr wert sein. Gute Pflege darf nicht an der Finanzierung scheitern. Gute Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Wir brauchen einen Weg zu einer gerechteren Finanzierung, einen Weg, der durchdacht ist und auch vor Ort funktioniert. Diesen Weg haben wir bereits eingeschlagen, als wir dafür gesorgt haben, dass Kinder erst dann für ihre Eltern in der stationären Pflege zahlen müssen, wenn sie mehr als 100 000 Euro im Jahr verdienen. Wir müssen nun größere Schritte machen.
Damit komme ich zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken. Sie greifen viele wichtige Punkte auf, die ich unterstützen möchte. Wir müssen die Pflegeversicherung von einer Teilkostenversicherung langfristig in eine Vollversicherung umwandeln. Die nächste notwendige Etappe dorthin ist eine gesetzliche Pflegebürgerversicherung, in die alle Einkommensgruppen einzahlen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
So findet auch der Risikoausgleich zwischen allen Pflegebedürftigen statt, und das prozentual zu ihrem Einkommen. Das ist Solidarität.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Wir stimmen also im Ziel überein, wir teilen aber nicht den Weg dorthin. Eine solide Finanzierung dieser sozialen und demografischen Mammutaufgabe ist ein Marathon, kein Sprint.
Seit 2015 fließen jährlich rund 1,4 Milliarden Euro in den Pflegevorsorgefonds, um die Pflegekosten für die kommenden geburtsstarken Jahrgänge abzufedern. Sie wollen den Pflegevorsorgefonds komplett auflösen. Die Union will ihn weiter aufstocken, obwohl wir in einer Niedrigzinsphase sind. Wir Sozialdemokraten wollen dieses Geld nicht auflösen, nicht aufstocken, sondern zur konkreten Verbesserung der Pflege einsetzen.
(Beifall bei der SPD)
Die Mittel für die notwendigen Investitionen einsetzen, damit wir gute Pflege finanzieren können, das ist der vernünftige und pragmatische Weg; denn die Menschen, die wir heute für die Pflege gewinnen, sind die Pflegekräfte von morgen und übermorgen.
Sie fordern in Ihrem Antrag, die pflegerischen Eigenanteile auf 450 Euro zu deckeln. Minister Spahn will die pflegerischen Eigenanteile auf 700 Euro begrenzen. Die Deckelung der steigenden Eigenanteile ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber er greift nicht weit genug und ist dazu noch ungerecht. Er führt vor allem zu einer Entlastung der Höherverdienenden. Wir Sozialdemokraten wollen eine gerechte prozentuale Begrenzung bezogen auf das Einkommen. Wir fordern eine Entlastung für Menschen, die über einen langen Zeitraum auf eine Pflege in Einrichtungen angewiesen sind, durch degressive Eigenanteile.
Noch dazu bezieht sich die Deckelung nur auf die pflegerischen Eigenanteile. Die machen nicht einmal die Hälfte der Kosten aus. Auch die Kosten für Verpflegung, Miete, Ausbildungsumlage und die Investitionskosten dürfen nicht weiterhin extrem steigen. Sie fordern, die Investitionskosten in der jetzigen Höhe einzufrieren. Die SPD-Bundestagsfraktion will die öffentliche Förderung in die Objekte und damit den Wiedereinstieg der Länder in die Pflegeheimförderung.
(Beifall bei der SPD)
Auch eine Subjektförderung in Form eines Pflegewohngelds wie beispielsweise in NRW ist ein denkbarer Weg. Hier sind auch die Länder gefragt. Wenn Sie wollen, rufe ich Herrn Ramelow gerne an und schlage ihm das vor. Aber dafür brauche ich die Telefonnummer.
(Beifall bei der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist kein Problem! Nur, wir haben noch zwei Länder, wo wir mitregieren, Claudia! Da kommst du ans Telefonieren!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Abschluss meiner Rede wieder grundsätzlich werden: Ihr Antrag ist vernünftig und hat es verdient, ordentlich diskutiert zu werden. Lassen Sie uns gemeinsam gute Pflege machen. Lassen Sie uns die Pflegefinanzierung langfristig auf stabile Füße stellen. Ihr Antrag, liebe Linke, greift da zu kurz. Ja, es muss sich was ändern, und das grundlegend. Das System der Pflege in Deutschland überlebt nur deshalb schon so lange, weil es auf dem Rücken der Pflegekräfte und der Angehörigen ausgetragen wurde. Sie wissen: Ich habe 28 Jahre in der Altenpflege gearbeitet. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche.
Wir alle müssen gute Pflege machen. Wir brauchen Pflege als Gut öffentlicher Gesundheit, nicht als Privileg Wohlhabender.
(Beifall bei der SPD)
Wir brauchen Pflegekräfte, die in ihrem Beruf nicht selbst krank werden. Wir brauchen Investitionen und eine solide Finanzierung. Nur, Geld allein wird nicht reichen. Wir brauchen endlich würdige Bedingungen in der Pflege. Pflegekräfte wertschätzen heißt: faire Arbeitsbedingungen, mehr Kolleginnen und Kollegen, mehr Hände an jeder Stelle, die helfen und einen fairen Lohn erhalten. Gute Pflege heißt für Angehörige Unterstützung und Entlastung: einfachere Antragswege, proaktive Beratung und genügend verfügbare Kurzzeitpflegeplätze. Gute Pflege heißt auch – das ist mir ganz wichtig –: Pflegebedürftige respektieren. Man muss in diesem zutiefst menschlichen Beruf Zeit haben und auch auf die Biografien eingehen können und darf dabei natürlich auch nicht verarmen. All das zu gewährleisten, muss unser Ziel sein. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD)
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Nicole Westig das Wort.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/cvid/7502195 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 209 |
Tagesordnungspunkt | Solidarische Pflegevollversicherung |