Helge LindhSPD - Änderung von Familiennamen und Vornamen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich finde es schon bemerkenswert, dass die AfD mit einem halben Satz die Änderung des Namensänderungsgesetzes in Bezug auf die Fortdauer des Nationalsozialismus im deutschen Recht kommentiert hat. Das sagt aber auch alles und nicht nur vieles über ihre Einstellung dazu.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch [AfD]: Das ist eine Selbstverständlichkeit! Nur zu spät!)
Die einzig mögliche Haltung zu der heutigen Gesetzgebung, wenn wir daran denken, dass wir uns oft für Gesetze loben und sie als Innovation begreifen, ist – da bin ich mir gewiss – eine der lauten Scham, der Scham deswegen, weil wir konzedieren müssen, dass dieses Gesetz jahrzehntelang, zumindest in der Form dieser Begriffe, Fortbestand hatte und erst Felix Klein kommen musste, dann unterstützt – auch das möchte ich ausdrücklich nennen – von Eva Högl und Thorsten Frei, um das zu einer öffentlichen Initiative zu machen, deren Ergebnis wir heute betrachten, wofür ich sehr dankbar bin.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist aber keine großartige Leistung von uns, sondern wir müssen das mit Scham und als Ausdruck von etwas letztlich Schändlichem durchführen. Wir müssen das aber auch laut tun. Denn machten wir das nur stillschweigend im Omnibusverfahren mit irgendeinem anderen Gesetz, dann würden wir diese Beschämung und diese Verletzung der Opfer und ihrer Nachfahren wiederholen. Deshalb müssen wir das an dieser Stelle auch so ausdrücken.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was für ein Gesetz ist es, über das wir sprechen? Wir haben, wenn man richtig zählt, wahrscheinlich 29 ganze Gesetze, die noch in ähnlicher Weise Begriffe verwenden, und dazu noch eine Reihe von Einzelparagrafen. Aber bei diesem Namensänderungsgesetz geht es nicht um irgendein Gesetz, sondern dieses Gesetz ist ein Ausdruck des Wesensgehaltes der nationalsozialistischen Diktatur, und das war ja nicht eine Diktatur Fremder, die über dieses Land gekommen sind, sondern das war eine Diktatur in deutschem Namen. Dies war der Vorgänger unseres heutigen Rechtsstaates. Darüber reden wir. Deshalb ist das auch mit dem entsprechenden Ernst zu behandeln.
Die Folge, die hier durch die Namensgebung gekennzeichnet wurde, war die: Die Fülle von Diskriminierungen im Alltag schon seit Beginn der Machtergreifung – eher: Machtübernahme – 1933 mündete in diese Namensänderungsgesetze. Die nächste Stufe war dann der sogenannte Judenstern. Es folgten die Deportation, dann Konzentrationslager und Vernichtungslager, und in denen wurden die Jüdinnen und Juden entweder durch ihre Kleidung oder durch Tätowierung, in Auschwitz, zu Nummern – eine systematische Herabwürdigung und Entrechtung, und das begann sichtbar mit der Enteignung der Namen und dem Stehlen und Herabwürdigen der individuellen Identität. Deshalb sprechen wir nicht über eine Petitesse, nicht über etwas Nebensächliches, sondern über etwas Wesentliches.
Ich versuche, das noch mal deutlich zu machen: Für Jüdinnen und Juden und gerade solche, die theologisch informiert sind und denen der Glaube besonders wichtig ist, ist der Name etwas ganz Zentrales. Wenn wir an viele Namen, die auf „el“ enden, denken, so sehen wir: Da ist der Bezug zu Gott ausgedrückt. Auch die Namensgebung „Israel“ war eine solche für Gott. Dass die deutschen Nationalsozialisten gerade den Namen angriffen, war eine zutiefst verachtungswürdige Herabwürdigung und Demütigung von allen Jüdinnen und Juden in diesem Land.
Hinzu kam Weiteres: In der modernen Gesellschaft, nach der Aufklärung, nach der Französischen Revolution sind das Personenstandsrecht und der Name so etwas wie die Sichtbarmachung von Anerkennung als Staatsbürger, als einzigartige Person, als Individuum, und auch genau da setzte die Namenspolitik der Nazis an, nämlich bei der Nichtanerkennung als Individuum. Es folgte die Stigmatisierung durch spezifische Namen und, wenn solche nicht kenntlich waren, durch die Beifügung von „Sara“ und „Israel“. Aus einzigartigen Persönlichkeiten wurden Kollektive, die letztlich der Vernichtung preisgegeben wurden. Das war der Kern der Namenspolitik.
Dieser hatte auch eine Vorgeschichte. Denn die letzten Jahrhunderte waren für Jüdinnen und Juden in Deutschland und Europa nicht das erste Mal geprägt durch Stigmatisierung durch Namensgebung. Immer wieder war es das Ringen um Gleichberechtigung, Emanzipation, aber auf der anderen Seite auch Ausgrenzung und Kenntlichmachung als vermeintlich Fremde. Das äußerte sich zum Beispiel im französischen Recht dadurch, dass man über Assimilierung versuchte, traditionell jüdische Namen unsichtbar zu machen.
Die Perfidie, über die wir heute reden, war folgende: Deutsche nichtjüdische Reichsbürgerinnen und Reichsbürger – ich verwende die damalige Diktion – durften traditionell biblische, hebräische Namen behalten, nicht jedoch Jüdinnen und Juden. Ihnen wurde mit diesem Gesetz und mit der Durchführungsverordnung, die dann im August 1938 folgte, eine Liste von 191 männlichen und 85 weiblichen Namen verordnet, die ganz bewusst ausgewählt waren als solche, die sich besonders eigneten zu Verspottung, als solche, die besonders fremd und auffällig wirkten, und als solche, die einschlägig schon bekannt waren durch die Hetze, die man kannte von den Zeitschriften „Der Stürmer“ und „Völkischer Beobachter“, zum Beispiel Namen wie Isidor und Itzig, bekannt als Kernterminologie der antisemitischen Hetze.
Jüdinnen und Juden waren mit Verabschiedung dieses Gesetz, das wir heute ändern, nicht mehr offiziell Individuen in diesem Land, sondern sie hatten nur noch Kollektivnamen. Sie wurden als Fremde bezeichnet und so behandelt – das schon vorher, aber damit endgültig.
Noch mehr Grund für die laute Scham ist Folgendes – und das zeigt auch die enge Verknüpfung mit der Zeit nach 1945 –: Niemand anderes als Hans Globke, später Chef des Kanzleramtes, war der Autor der Durchführungsverordnung – so weit die Kontinuität vom Nationalsozialismus zur bundesrepublikanischen Zeit. Er war derjenige, der die Durchführungsverordnung, den entsprechenden Runderlass und die Richtlinien mit der Aufstellung der 185 und 91 Namen initiierte.
Kollege Lindh.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts all dessen gibt es aus meiner Sicht keine Alternative dazu, heute dieser Gesetzesänderung zuzustimmen und alles dafür zu tun, ob in einem Artikelgesetz oder in vielen einzelnen Schritten, andere, vergleichbare Gesetze wie das Heilpraktikergesetz, das Gesetz über den Deutschen Sparkassen- und Giroverband und das Rechtshilfeabkommen zwischen Deutschland und Griechenland künftig auch in entsprechender Weise zu ändern und uns so in Scham vor allen Jüdinnen und Juden in diesem Land zu verneigen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Sandra Bubendorfer-Licht [FDP])
Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nächste Rednerin: für die FDP-Fraktion Katrin Helling-Plahr.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7502205 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 209 |
Tagesordnungspunkt | Änderung von Familiennamen und Vornamen |