Dirk WieseSPD - Fortgeltung der epidemischen Lage
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind sicherlich nach wie vor in einer sehr herausfordernden Situation, die immer noch einen verantwortlichen Umgang mit der aktuellen Coronapandemie erfordert. Wir müssen einfach feststellen, dass die Lage nach wie vor sehr volatil ist. Wir sehen, wenn wir den Blick in unser Nachbarland Tschechien richten, warum es richtig ist, aktuell und kurzfristig situativ zu reagieren und gerade hier ab dem Wochenende auch stationäre Grenzkontrollen möglich zu machen, um diese Viruspandemie weiter einzudämmen.
Nichtsdestotrotz sehen wir auch Licht am Ende des Tunnels. Wir sehen, dass die Zahlen langsam heruntergehen; wir wünschen uns durchaus mehr. Aber wir sehen auch, dass das Impfen voranschreitet und wir dadurch auch Möglichkeiten haben, den Bürgerinnen und Bürgern andere Perspektiven aufzuzeigen. Es ist aber – ich habe es angesprochen – nach wie vor herausfordernd.
Darum ist es richtig, den Rechtsrahmen, die Verlängerung der epidemischen Lage, heute auf den Weg zu bringen. Es ist notwendig. Dieser Rechtsrahmen bietet eine Abwägung auf der einen Seite in der situativen Reaktion, in dem Erlass von Verordnungen, die es möglich machen, immer wieder auch schnell zu reagieren, und das ist auch richtig. Das ist aber nur möglich, weil der Deutsche Bundestag hierüber entscheidet und der Deutsche Bundestag diese epidemische Lage auch verlängert, und das ist richtig.
Ich bin überrascht angesichts der Debatten in dieser Woche, die ich hier auch verfolgt habe, dass diejenigen, die am lautesten die Beteiligungsrechte des Bundestages einfordern, die am lautesten deutlich machen, wie wichtig es ist, dass der Bundestag sich damit beschäftigt, dann, wenn er entscheidet, wie Christian Lindner heute Morgen wieder durch Abwesenheit glänzen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Stephan Thomae [FDP]: Ich bin ja da!)
Das kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Darüber kann ich, liebe Kollegen der FDP, nur den Kopf schütteln.
Die Verlängerung der epidemischen Lage ist ein Rechtsrahmen. Sie führt nicht dazu, dass alles automatisch verlängert wird bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Nein, sie macht es genauso erforderlich und übrigens auch möglich, dass wir über intelligente Öffnungskonzepte, regionale Differenzierungen diskutieren und auch die notwendige Debatte in den nächsten Wochen führen: Was kann man wie, in welcher Form und wann wieder öffnen und zulassen? Das ist eine Erwartungshaltung, die die Bürgerinnen und Bürger zu Recht an uns haben. Diese Herausforderung müssen wir annehmen und diese Debatte, auch aus meiner Sicht, hier sehr sachlich führen.
Ich bin allerdings, wenn ich das sagen darf, Frau Schulz-Asche, etwas irritiert gewesen von Ihrer Rede.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach?)
Sie haben davon gesprochen, dass es autoritäre Ansagen der Bundesregierung gibt, die aus Ihrer Sicht – ich will es mal zusammenfassen – nicht verhältnismäßig sind. Ich glaube, es gab eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in Mannheim in dieser Woche, in der die baden-württembergische Landesregierung, die von den Grünen geführt wird, im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkungen zurechtgewiesen worden ist, wie man entsprechende Verordnungen nicht erlässt. Sie haben in Baden-Württemberg deutlich gezeigt, dass Sie sich nicht an Recht und Gesetz im Hinblick auf § 28a Infektionsschutzgesetz gehalten haben. Da muss ich ganz deutlich sagen: Das ist nicht das, wie wir uns verhältnismäßige Maßnahmen vorgestellt haben. Die sind da definitiv in die falsche Richtung gegangen.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kollege Wiese, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schulz-Asche?
Sehr gerne.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hauptsache, es geht Ihnen jetzt besser!)
Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie mir wirklich gut zugehört haben. Der Zusammenhang, in dem ich von autoritären Ansagen gesprochen habe, bezog sich auf die Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten und die daraus folgenden Anordnungen, die nicht vom Parlament legitimiert sind.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Doch, sind sie! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Doch!)
Von daher bitte ich Sie, das zur Kenntnis zu nehmen und, da Ihre Fraktion ja daran beteiligt ist, den Gesetzentwurf zur epidemischen Lage entsprechend weiterzuentwickeln, darauf Rücksicht zu nehmen und dafür zu sorgen, dass wir gemeinsam als demokratische Fraktionen in diesem Parlament hier zu Verbesserungen kommen. Ich würde Ihnen empfehlen, das nicht für einfache Wahlkampfaktionen zu nutzen, sondern tatsächlich zuzuhören; denn hier geht es um eine ernste Sache, und zwar die epidemische Lage nationaler Tragweite.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Andrew Ullmann [FDP])
Liebe Kollegin, ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar für die Zwischenbemerkung, weil sie mir möglich macht, einiges klarzustellen. – Ich habe manchmal den Eindruck – Sie haben es jetzt auch noch mal gesagt, was mich, ehrlich gesagt, darin bestätigt –, dass Sie hier versuchen, den Eindruck zu vermitteln, dass Sie da gar nicht mit am Tisch sitzen, dass Sie damit gar nichts zu tun haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ihr grüner Ministerpräsident sitzt in sämtlichen Runden mit dabei.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bundestag sitzt doch nicht am Tisch!)
Ich muss auch ganz klar sagen: Wenn Sie dann auch die Landtage mit in den Blick nehmen – –
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die MPK ist kein Verfassungsorgan!)
– Frau Haßelmann, es tut manchmal weh, wenn man den Spiegel vorgehalten kriegt; aber Sie haben Regierungsverantwortung in elf Bundesländern.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Verfassungsorgan!)
Sie können sich nicht hierhinstellen und sagen, Sie hätten mit der ganzen Sache nichts zu tun; das funktioniert nicht.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Frau Schulze-Asche,
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich heiße Schulz-Asche!)
wenn Sie die Landtage ansprechen – darauf sind Sie gerade eingegangen –,
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Parlamentsbeteiligungsgesetz in Baden-Württemberg! Kennen Sie nicht! Macht nichts!)
dann wundere ich mich schon – wenn wir im weiteren Verfahren jetzt in die Beratungen einsteigen –, warum ich von Ihnen nichts höre, dass wir darüber nachdenken müssen, uns auch § 28a Absatz 7 anzuschauen. Der § 28a Absatz 7 besagt nämlich, dass Landtage die Fortgeltung der epidemischen Lage unbefristet beschließen können. Ich bin sehr dafür, dass dieses auch nur befristet erfolgt.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Tun Sie was dafür!)
Hierzu höre ich von Ihnen zum Beispiel gar nichts. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich in die laufenden Beratungen einbringen. Ich kann nur sagen: Das, was der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim aufgrund von § 28a entschieden hat,
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da wird noch mehr kommen!)
den wir als Koalitionsfraktionen auf den Weg gebracht haben, war richtig und hat gezeigt, dass Sie nicht verstanden haben, wie man das angemessen zu machen hat. Diese Kritik müssen Sie sich heute auch gefallen lassen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahrscheinlich wissen Sie nicht, dass wir bei dem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz zugestimmt haben!)
Herr Kollege Wiese, auch die Kollegin Dr. Rottmann würde gerne noch eine Zwischenfrage stellen.
Sehr gerne.
Ja, ich habe das vermutet. – Das ist aber jetzt die letzte Zwischenfrage, die ich während Ihrer Rede zulasse.
Herr Kollege Wiese, ich kenne den § 28a Infektionsschutzgesetz sehr gut; denn vielleicht erinnern Sie sich daran, dass wir Grüne daran intensiv mitgearbeitet haben.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, daran erinnert der sich nicht!)
Herr Kollege Wiese, was mir bei der SPD ein bisschen Sorgen macht, ist, dass Ihnen in einer Debatte über ein Gesetz hier im Deutschen Bundestag nichts anderes mehr einfällt, als auf Landesregierungen zu verweisen. Die sind nun nicht dafür zuständig,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, sondern das sind wir hier.
Ich will Ihnen einen dritten Hinweis geben: In Baden-Württemberg ist der Landtag an der Entscheidung über die Verordnungen beteiligt. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karin Maag [CDU/CSU]: Was machen wir denn dann hier? – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Genau! Was machen wir dann hier? – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen nicht verstehen, dass es hier um parlamentarische Rechte geht!)
Frau Kollegin, ohne Mikrofon nützt es nichts. – Jetzt antwortet der Kollege Wiese.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verstehen ja nicht die Bedeutung des Parlamentarismus in dieser Krise!)
Wenn Sie noch eine weitere Zwischenfrage haben: Sie dürfen gerne.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)
– Okay, gut. Das ist nicht der Fall.
Frau Dr. Rottmann, ich bin gerade ein bisschen darüber irritiert, dass Sie suggerieren, dass die Verlängerung der epidemischen Lage, die die Anwendbarkeit des § 5 und des § 28a des Infektionsschutzgesetzes möglich macht, auf deren Grundlage Entscheidungen in der MPK getroffen
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keine Entscheidungen der MPK! Es gibt Empfehlungen!)
und Coronaschutzverordnungen der Länder erlassen werden, gar nichts mit den Landesregierungen zu tun hat. Es tut mir leid; aber ich sage das noch einmal: In elf Landesregierungen regieren Sie mit, und Sie haben in einigen Landesregierungen – das zeigt sich gerade exemplarisch in Baden-Württemberg – Maßnahmen erlassen, die nicht Recht und Gesetz entsprechen. Sie haben eine Niederlage vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim eingefahren,
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden über ein Bundesgesetz!)
weil Sie nicht angemessene Regelungen getroffen haben, und das müssen Sie sich heute hier auch anhören. Ich kann nichts dafür, dass es Ihnen nicht gefällt, dass Sie sich in Baden-Württemberg nicht an Recht und Gesetz gehalten haben, und das muss man hier einmal ausführen.
(Beifall bei der SPD – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird keine 2 Prozent bringen für Sie!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will trotz Zwischenrufen von Frau Haßelmann, die aber keine Frage mehr zu stellen scheint, sondern sich auf Zwischenrufe beschränkt, gerne auf das Thema zurückkommen. Für das weitere Verfahren ist es wichtig – da will ich an Hilde Mattheis anknüpfen –, dass wir es für gut und richtig halten, die Evaluierung aufgenommen zu haben. Wir wissen aber auch, dass Evaluierungen, die an keine Fristen geknüpft sind, durchaus manchmal in Schreibtischschubladen verschwinden. Darum ist es richtig, diese Evaluierung und damit auch das Infektionsschutzgesetz einer Befristung zuzuführen. Wir müssen im Verfahren sehr genau darüber diskutieren. Das gilt auch für die Diskussion über die Vorhersehbarkeit und über Stufenpläne. Dazu gibt es Möglichkeiten in § 28a Absatz 3 Infektionsschutzgesetz; damit müssen wir uns noch genauer beschäftigen.
Ich freue mich jedenfalls auf die parlamentarischen Beratungen. Mit Blick auf die Zwischenfragen der Grünen scheint das sehr lebhaft zu werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dr. Wieland Schinnenburg, FDP, ist der nächste Redner.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7502251 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Fortgeltung der epidemischen Lage |