Ulrike BahrSPD - Hilfen für Familien
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Hier ist gerade etwas in Schieflage geraten. In der letzten Sitzungswoche hatten wir gerade einmal 30 Minuten Debattenzeit für ein Gesetzesvorhaben, das die Situation benachteiligter Kinder und Jugendlicher und ihrer Familien deutlich verbessern soll. Jetzt haben wir hier 60 Minuten Zeit, um über drei Minianträge der FDP zu sprechen, die zum Teil allgemeine Plattitüden verbreiten, zum Teil ganz unverhohlen Klientelpolitik betreiben.
(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])
Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung treffen Familien hart. Familienarbeit und Erwerbstätigkeit zu vereinen, ist schon in normalen Zeiten kein Zuckerschlecken. Distanzunterricht für die Schulkinder, Homeoffice für die Eltern und die Betreuung des Kitakindes unter einen Hut zu bekommen, das ist wirklich die Quadratur des Kreises und bringt viele Familien an ihre Grenzen. Darum ist es richtig, zumindest die ökonomischen Folgen abzufedern und nach Möglichkeit zu entlasten.
(Beifall bei der SPD)
Das tun wir auch seit März letzten Jahres mit immer besseren und passgenaueren Lösungen. Kinderkrankengeld für Kinder, die nicht krank sind, sondern die Schule oder Kita nicht besuchen können, ist allein schon eine verwaltungstechnische Verbesserung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die den gewohnten Weg über die Krankenkasse nutzen können, um an ihre Lohnersatzleistung zu kommen. In Deutschland sind mehr als 73 Millionen Menschen gesetzlich krankenversichert, darunter fast 13 Millionen Kinder. Da bringt ein solch erleichterter Zugang sehr viel, gerade auch für die vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringen Einkommen.
Auch die Privatversicherten, die Selbstständigen und die Freiberufler sind nicht ohne Absicherung und Ausgleich, wenn ihre Kinder die Schule nicht besuchen können. Über das Infektionsschutzgesetz haben Eltern inzwischen nicht nur bei Quarantäne, sondern auch dann einen Ausgleichsanspruch, wenn Schule oder Kita geschlossen sind und die Eltern die Betreuung selbst übernehmen müssen. Dieser Anspruch steht auch Freiberuflern und Selbstständigen zu.
Beim Kinderkrankengeld für alle nicht gesetzlich Versicherten aus Steuermitteln vermisse ich vor allem die soziale Komponente. Man braucht ein höheres Einkommen, um sich freiwillig privat zu versichern. Viele freie Berufe zählen nicht zu den Ärmsten der Armen, aber es gibt natürlich auch Selbstständige in prekären Verhältnissen. Für diese verlangen wir schon lange eine Versicherungspflicht in der GKV.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die Mehrheit der Privatversicherten kann aber durch eigene Vorsorge leichter mal eine Durststrecke überwinden.
(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])
Wir als SPD plädieren übrigens schon seit vielen Jahren für die Bürgerversicherung, eine gesetzliche Krankenversicherung für alle.
(Beifall bei der SPD)
Dagegen sehe ich in den Anträgen keinerlei Augenmerk auf eine Gruppe junger Menschen, die wirklich dringend unsere Aufmerksamkeit in der Pandemie benötigen: Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aufwachsen und durch geschlossene Schulen und Kitas, fehlende Sport- und Freizeitmöglichkeiten sowie die Kontaktverbote fast komplett auf ihre Wohngruppen verwiesen sind. Diese Kinder und Jugendlichen haben meist einen größeren Unterstützungsbedarf und können unmöglich in einer altersgemischten Wohngruppe von zehn Heranwachsenden, die verschiedene Schulformen besuchen, von nur einer Fachkraft im Distanzunterricht unterstützt werden. Hier wären die Landesregierungen gefragt, zusammen mit den Kommunen schnellstens Geld bereitzustellen, damit Jugendhilfeeinrichtungen zusätzliches Personal einstellen können; sonst drohen ohnehin benachteiligte Kinder und Jugendliche vollends den Anschluss zu verlieren.
Daher plädiere ich durchaus für eine bessere Unterstützung junger Menschen und ihrer Familien, um die Folgen der Pandemie abzumildern, aber bitte vor allem gezielt für die, die es am nötigsten brauchen, und am besten auch langfristig, also über die Pandemiesituation hinaus. Deswegen hätten wir uns am letzten Sitzungsfreitag lieber mehr Zeit für die Debatte zum SGB VIII nehmen sollen; denn dort werden strukturelle Verbesserungen für gutes Aufwachsen angestoßen, die über Finanzhilfen weit hinausgehen.
Ich danke sehr.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU] und Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Suding, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7502267 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Hilfen für Familien |