Karl-Heinz BrunnerSPD - Atomare Abrüstung
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Am vergangenen Samstag verstarb der frühere US-Außenminister George Shultz im Alter von 100 Jahren. 1920 geboren, hatte er die Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki in seinem eigenen Leben erlebt. Er wusste, was Atomwaffen bedeuten. Er kam unter Präsident Reagan in sein Amt, als die Beziehungen zur Sowjetunion auf dem Tiefpunkt waren und man nicht mehr miteinander redete – „Déjà-vu“ könnte man heute sagen. Damit gab er sich allerdings nicht zufrieden, sondern er suchte aktiv nach Möglichkeiten, um die Lage zu verbessern. Letztendlich war Shultz in seiner Amtszeit einer der Hauptverantwortlichen für die Entspannung zwischen den Weltmächten, für einen der bedeutendsten Abrüstungsverträge überhaupt, für das Abkommen über die nuklearen Mittelstreckensysteme – heute bedauern wir, dass es nicht mehr existiert –, für den INF-Vertrag.
2013 sagte Shultz in einem Interview über die damalige Zeit, Ronald Reagan hätte immer wieder betont, dass die Vereinigten Staaten eine atomwaffenfreie Welt anstreben. Weiterhin sagte er – ich zitiere, Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung –: Reagan und ich glaubten allerdings nicht, dass der Weg dorthin einfach darin bestand, die eigenen Waffen zu eliminieren. Wir brauchten einen Prozess, in welchem beide Seiten ihre Bestände gemeinsam reduzierten. – Ich teile nicht alles, was George Shultz in seinem langen Leben gesagt hat. Aber bei nuklearer Abrüstung gibt ihm der Erfolg recht, und wir können auch heute noch von seinem Erbe lernen:
Erstens. Abrüstung geht nur gemeinsam, niemals allein.
Zweitens. Gelegenheiten und Gespräche müssen proaktiv gesucht werden.
Drittens. Die Positionen der anderen muss man verstanden und eingepreist haben.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute mehrere Anträge von Grünen und Linken, in welchen sehr viele gute und richtige Ziele stehen. Über allem steht das Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Dieses Ziel ist schwierig zu erreichen, wenn, wie derzeit, viele Atommächte nach weiterer Aufrüstung streben und Rüstungskontrollverträge wie der genannte INF zugrunde gehen. Umso wichtiger wird die Frage sein, welcher Weg am besten zum Ziel führt. Zusammengefasst: Der Weg von Linken und Grünen ist, dass Deutschland sofort – ich sage: ohne Plan – die nächsten Schritte unternimmt und ohne jegliche Abstimmung mit irgendeiner anderen Nation Fakten schafft. Ich muss mich da wiederholen – das sagte ich vergangene Woche schon –: Mir hat noch niemand von Ihnen erklären können, warum dies eine gute Idee sein soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das spiegelt sich auch in Ihren Anträgen wider. Sie werfen alles zusammen in einen Topf, was irgendwie mit nuklearer Abrüstung zu tun hat – das sind alles komplexe Einzelthemen, die man idealerweise aber differenziert und detailliert betrachten sollte.
Trotz der Fülle verschiedenster Forderungen an die Bundesregierung sind die Anträge doch eher kurz, weil meist die Begründung fehlt. Unter einem Grünenantrag steht zwar eine Begründung – ich habe sie auch gelesen –, aber Sie haben sie eins zu eins aus einem offenen Brief von ICAN herauskopiert. Auf mich wirkt das eher wie eine PR-Aktion und nicht wie ernsthafte Abrüstungsvorschläge.
(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutschland besitzt keine eigenen Atomwaffen. Wir müssen also die Nationen überzeugen, die welche besitzen. Wir müssen wiederum ihre Positionen verstehen, um uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Wir müssen aktiv sein, und wir müssen es gemeinsam machen – niemals allein, und schon gar nicht gegen unsere Verbündeten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist der Weg sozialdemokratischer Außenpolitik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Atomwaffenverbotsvertrag ist in Kraft getreten, und das ist gut so. Deutschland sollte ihn nicht ignorieren, wie manche dies tun; denn schon jetzt vertreten die teilnehmenden Staaten ein Drittel der Weltbevölkerung. Ohne die Teilnahme der Atommächte kann er jedoch keine direkte Wirkung entfalten. Und wenn Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt alleine beitritt, wird von den über 13 000 Atomwaffen weltweit wohl keine einzige verschwinden.
(Matthias Höhn [DIE LINKE]: Was ist denn eure Alternative?)
Die Alternative aber darf nicht Nichtstun sein,
(Matthias Höhn [DIE LINKE]: Ja, eben!)
sondern ein erster, kluger Schritt. Deshalb fordert die SPD-Bundestagsfraktion, dass Deutschland bei der Vertragsstaatenkonferenz als Beobachter teilnimmt.
Auch bei der nuklearen Teilhabe müssen wir einen guten Weg zur Abrüstung gehen. Wir sollten nicht einfach von heute auf morgen aussteigen, ohne Rücksicht auf Vereinbarungen, wie wir sie selbst innerhalb der NATO eingegangen sind, und erst recht nicht, ohne die Frage zu stellen, welche Konsequenzen dies für uns und für die nukleare Abrüstung insgesamt unterm Strich hat. Auf der anderen Seite sollten wir die nukleare Teilhabe aber auch nicht unkritisch verlängern. Einige wollen es sich da sehr einfach machen und neue atomwaffenfähige Flugzeuge anschaffen mit der Begründung, dass die jetzigen sozusagen nicht mehr durch den TÜV kämen, um hier nur ein Beispiel zu nennen.
Wir erleben gerade, wie der neue amerikanische Präsident – das sehe ich als Silberstreif am Horizont –, der auf Dialog und Zusammenarbeit setzt, der stetigen Verschlechterung der Sicherheitslage Einhalt gebieten will. Das ist sein Credo, und das ist unsere Aufgabe. Nach nur ein paar Tagen im Amt ist die Verlängerung von New START in trockenen Tüchern, ein funktionierendes Atomabkommen mit dem Iran wenigstens theoretisch wieder möglich, und es gibt sogar Hoffnung bei Open Skies.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit für ein atomwaffenfreies Deutschland wird kommen. Ziel der SPD ist es, dass dies so schnell wie möglich geschieht und dass auch der Rest der Welt etwas davon hat. Hierzu wollen wir als Bundestagsfraktion konkrete Vorschläge auf den Weg bringen – gemeinsam mit unseren Partnern, gemeinsam mit der NATO, im Dialog und mit Rücksicht auf unsere Verbündeten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort hat der Kollege Alexander Müller für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7502353 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Atomare Abrüstung |