Karl-Heinz BrunnerSPD - Hass und Hetze gegen LSBTI
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Worte meines heutigen Vorredners Revue passieren zu lassen, wäre ein Waterloo. Ich sage ganz deutlich: Die Rede ist es nicht wert, überhaupt etwas dazu zu sagen; denn der Hass, der aus ihr kam, ist schlimmer als der Hass derjenigen, die sie beschrieben hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten heute einen wunderschönen Vorfrühlingstag in Berlin. Stellen Sie sich vor, an solch einem Vorfrühlingstag gehen in einem der wunderschönen Parks in Berlin ein Mädchen und ein Junge Hand in Hand spazieren. Was würde wohl passieren? Viele Menschen würden ihnen nachsehen, würden sagen: Ach, was für ein hübsches, nettes Paar.
Nehmen wir aber nun mal an, dieses junge Paar wäre nicht ein Mädchen und ein Junge, sondern ein Mädchen und ein Mädchen oder ein Junge und ein Junge. Ich könnte Ihnen garantieren, dass die meisten Menschen, die ihm nachsehen, dies vielleicht mit einem Lächeln oder mit einem Schmunzeln tun, weil der äußere Ausdruck von gelebter Homosexualität, auch in unserem so freien und liberalen Land, immer noch nicht selbstverständlich ist.
Denken Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch darüber nach, was passiert, wenn dieses Paar in den Abendstunden eines solchen Tages in Berlin nach Hause geht, in die U-Bahn einsteigt, die letzten 400 bis 500 Meter nach Hause läuft. Ich kann Ihnen sagen: 90 Prozent der Jungs und Mädels, die dort unterwegs sind, haben in dieser Stadt und in diesem Land Angst, und zwar nicht deshalb, weil ihnen irgendwelche radikalen religiösen Kräfte etwas anhaben wollen,
(Beatrix von Storch [AfD]: Nicht religiöse! Muslimische!)
sondern deshalb, weil Homosexualität in Deutschland, in ihrem Heimatland, bei vielen Menschen immer noch nicht als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird.
Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit vielen Jahren verlangt, erwartet und verhandelt, einen nationalen Aktionsplan gegen Trans- und Homophobie auf den Weg zu bringen, der diesem Namen auch wirklich gerecht wird. Wir sind mit unserem Koalitionspartner aber leider nicht zu einem Ergebnis gekommen; das bedaure ich außerordentlich. Jan-Marco – mit dir hätten wir es vielleicht geschafft, aber es sind auch noch ein paar andere da –, das Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität, das du zitiert hast, ist ein Teil dessen, was zur Bekämpfung von Homophobie und Transphobie in diesem Land wichtig ist, was notwendig und gut ist. Aber es ist nur ein Teil dessen, was wir in diesem Land benötigen, um die Selbstverständlichkeit und Akzeptanz von Menschen, die Menschen lieben, in diesem Land zu ermöglichen.
Dazu gehört zweifelsohne mehr als der Antrag der Grünen, der sehr viel Gutes in sich hat. Gestatten Sie mir, zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen: Beim Lesen Ihres Antrags mit den zwölf Punkten kam ich mir manchmal fast vor wie auf dem SPD-Parteitag: Je mehr Spiegelstriche drin sind, desto besser wird der Antrag.
Konzentrieren wir uns doch auf das Wichtige, auf das Wesentliche, das Nötige, nämlich eine Sensibilisierung unserer Gesellschaft. Diese Sensibilisierung der Gesellschaft beginnt in den Kommunen, in den Ländern und beim Bund. Sie beginnt damit, dass wir unsere Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas, in den Kindergärten, in den Erziehungseinrichtungen, die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen und die Frauen und Männer in der Jugendhilfe nicht nur sensibilisieren, sondern ausbilden, damit sie wissen, wie sie mit jungen Menschen umgehen, die gleichgeschlechtliche Liebe in sich tragen. Wir müssen erwarten dürfen, dass das Gleiche für die Polizistinnen und Polizisten gilt, für die Richterinnen und Richter dieses Landes, für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, für die Beschäftigten in Justiz und Justizvollzug, um nur einige zu nennen.
Diese Sensibilisierung in unserem Land, in Deutschland, ist erforderlich. Wenn diese Sensibilisierung Erfolg haben soll, dann bin ich damit einig und finde es logisch, konsequent und richtig – wie es auch die Aktion, die gestern von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld auf den Weg gebracht wurde, noch einmal in den Mittelpunkt stellt –, dass Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz endlich angepasst wird und die Menschen, die 1949 vielleicht vergessen oder übergangen wurden, in diesem Land endlich auch in ihrer Verfassung ankommen. Ich freue mich, Jan-Marco Luczak, dass du diese Initiative mit unterstützt.
Ich glaube, es ist notwendig, dass wir alle in diesem Hohen Hause dafür arbeiten, dass es noch in dieser Legislatur in diesem Hohen Haus gelingt, durch Freigabe dieser Entscheidung – einer Gewissensentscheidung – die Anpassung des Grundgesetzes auf den Weg zu bringen. Dann sind gleichgeschlechtlich liebende Menschen in diesem Land wirklich gleichberechtigt, dann sind sie akzeptiert in Deutschland, und dann können sie als gleichwertige Bürgerinnen und Bürger in diesem Land leben und den Schutz, den wir ihnen als Gesellschaft geben müssen, auch tatsächlich genießen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Packen wir es an! Schauen wir, dass wir es in dieser Legislatur auf den Weg bekommen. Ich würde es mir von Herzen wünschen. Ich werbe bei der Union dafür, sich einen Ruck zu geben, die Abstimmung freizugeben, um endlich das Grundgesetz insoweit anpassen zu können. Ich bin mir sicher: In diesem Hohen Haus gibt es eine deutliche, eine klare Zweidrittelmehrheit, wenn es darum geht, allen Menschen in diesem Land die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten zu geben. Dafür sind wir in dieses Haus gewählt, und dafür wollen wir arbeiten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])
Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Jens Brandenburg von der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
| Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
| Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
| Abgerufen von | http://dbtg.tv/cvid/7504117 |
| Wahlperiode | 19 |
| Sitzung | 211 |
| Tagesordnungspunkt | Hass und Hetze gegen LSBTI |