24.02.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 211 / Tagesordnungspunkt 6

Jens BrandenburgFDP - Hass und Hetze gegen LSBTI

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 4. Oktober letzten Jahres wurde in Dresden ein homosexuelles Paar von einem islamistischen Gefährder mit einem Messer attackiert. Einer der beiden Männer erlag seinen Verletzungen, sein Lebenspartner überlebte schwer verletzt. Wochenlang haben die Sicherheitsbehörden und auch die Öffentlichkeit dieses feige Attentat als Touristenmord verklausuliert. Selbst auf Nachfrage hat sich der Dresdener Oberstaatsanwalt geweigert, sich überhaupt auch nur zur sexuellen Identität der Opfer zu äußern. Ein großer Fehler; denn wer das homosexuellenfeindliche Motiv solcher Hasskriminalität verschweigt, der raubt den Opfern einen Teil ihrer Identität und Sichtbarkeit.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf die brutale Ermordung des französischen Geschichtslehrers Samuel Paty hat der französische Präsident Emmanuel Macron letztes Jahr mit großer persönlicher Anteilnahme reagiert. Er hat Paty als Gesicht der Französischen Republik gewürdigt. Auch das schreckliche Attentat 2016 auf den queeren Nachtklub in Orlando haben wir nicht vergessen. Deshalb haben Christian Lindner, Thomas Sattelberger und ich im Oktober letzten Jahres die Bundeskanzlerin Angela Merkel gebeten, endlich ein öffentliches Zeichen zum Gedenken an den ermordeten Thomas L. in Dresden zu setzen und uns im Vorgehen gegen die homo- und transfeindliche Kriminalität zu unterstützen. Bis heute keine Reaktion! Auch der Innenminister schweigt. Und auch hier im Parlament ist es vielen anfangs sehr schwergefallen, die wahren Motive dieses Attentats offen beim Namen zu nennen,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Hört! Hört!)

auch weil sie die schwierige Debatte zum Verhältnis zwischen Religion und sexueller Vielfalt scheuen. Die einen verschweigen den Täter, und die anderen, Herr Baumann, verschweigen die Identität der Opfer und übrigens auch die Homosexuellenfeindlichkeit in den eigenen Reihen, die wir in Form dummer Sprüche jede Sitzungswoche hier erleben.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU] und Doris Achelwilm [DIE LINKE])

Dresden ist kein Einzelfall. Dieser Fall reiht sich ein in eine traurige Folge steigender homo- und transfeindlicher Hasskriminalität in Deutschland und weltweit: 782 Straftaten allein in Deutschland im vergangenen Jahr, oft aus dem rechtsradikalen Milieu übrigens; die Dunkelziffer ist hoch, oftmals kommt es gar nicht zur Anzeige. Nur in Berlin wird das systematisch statistisch erfasst. Hinter jeder dieser Taten stecken Menschen und Familien, die persönlich verbale und körperliche Übergriffe erlebt haben. Ich bin sehr besorgt darüber, dass immer mehr homo- und transsexuelle Menschen sich nicht mehr trauen, Hand in Hand mit ihrer Freundin, mit ihrem Freund oder auch nur mit einer Regenbogenflagge in bestimmte Stadtviertel zu gehen. Jede dieser Taten ist ein Angriff auf die freie und tolerante Gesellschaft unseres Landes.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Deshalb brauchen wir endlich einen nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, wie ihn die Niederlande, Großbritannien, Norwegen, Dänemark und Frankreich längst vorgelegt haben – mit einer flächendeckenden schulischen Aufklärung, die frühzeitig Vorurteile abbaut, mit einer Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden, die solche Straftaten früh erkennen, systematisch erfassen und konsequent verfolgen, und, ja, mit einer Ergänzung des Artikels 3 Grundgesetz um die sexuelle Identität, damit dieser Schutzauftrag des Staates dauerhaft in unserer Verfassung abgesichert ist.

Kollege Luczak, ich habe mich sehr gefreut über die Anmerkung. Ein entsprechender Antrag der FDP-Fraktion zum nationalen Aktionsplan liegt ja bereits im Innenausschuss; da haben wir Artikel 3 Grundgesetz erwähnt. Ich freue mich diesbezüglich über die Zustimmung. Es ist ganz ehrlich und aufrichtig gemeint: Ich wünsche Ihnen persönlich und allen Mitstreitern in der Unionsfraktion viel Erfolg bei der Überzeugungsarbeit. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir dieses große Vorhaben in diesem Frühjahr noch gemeinsam verabschieden könnten.

Niemand soll sich in Deutschland aufgrund seiner oder ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität unsicher fühlen. Lassen Sie uns also gemeinsam und geschlossen der steigenden Homo- und Transfeindlichkeit in Deutschland entgegentreten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])

Vielen Dank. – Als Nächstes hat das Wort Doris Achelwilm von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7504118
Wahlperiode 19
Sitzung 211
Tagesordnungspunkt Hass und Hetze gegen LSBTI
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