Alexander Graf LambsdorffFDP - Vereinbarte Debatte – Arbeitsprogramm 2021 der EU-Kommission
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte über das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission ist immer eine gute Gelegenheit, auf Europa als Ganzes zu schauen, und wenn wir in das Programm selber hineinschauen, dann sehen wir da, was die Kommission in diesem Jahr tun will: Sie will Europa digitaler und schneller machen, sozialer und grüner, demokratischer und stärker, sie will gleichzeitig Corona besiegen, und sie will eine Konferenz zur Zukunft der Europäischen Union aufs Gleis setzen. Das ist das, was die Europäische Kommission erreichen will.
Wenn wir uns aber fragen, womit sie das erreichen soll, womit sie das erreichen muss, dann sind wir natürlich bei dem Thema, das Außenminister Maas hier gerade angesprochen hat, wir sind bei dem Thema dessen, was die deutsche Ratspräsidentschaft an Grundlagen gelegt hat und wie Deutschlands Rolle in Europa aussieht. Der Deutsche Bundestag ist der Ort, um genau diese Fragen zu stellen.
Von Florian Hahn ist hier der Mehrjährige Finanzrahmen erwähnt worden, der Haushalt, von dem man sagen muss: Er ist erneut zu spät, er enthält zu viele Festschreibungen des Status quo und enthält zu wenig Zukunft, er ist zugleich zu national und zu kleinteilig. Besser als am Gesamthaushalt sieht man es an dem Sonderprogramm „Next Generation EU“, das wir heute Morgen im Zusammenhang mit der Eigenmitteldebatte debattiert haben. Wenn Sie sich mal anschauen, was die Europäische Kommission an gemeinsamen europäischen Programmen vorgeschlagen hat im Verhältnis zu dem, was die Mitgliedstaaten im Einzelnen tun sollen, dann sehen Sie das sofort. Die Kommission begann damit, zu sagen: Wir sehen 610 Milliarden Euro der 750 Milliarden Euro für die Mitgliedstaaten vor, aber wir investieren in den Binnenmarkt, in Innovationen, in Digitales, in Forschung 70 Milliarden Euro. – Was haben die Mitgliedstaaten gemacht? Sie haben den ganzen Forschungs- und Digitalteil von 70 Milliarden Euro auf 11 Milliarden Euro zusammengestutzt und das Geld für sich selber genommen, für eigene Ausgaben. Meine Damen und Herren, so kann Europa nicht funktionieren: wenn es national und kleinteilig betrieben wird.
(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Alexander Gauland [AfD])
Und das ist unter deutscher Ratspräsidentschaft passiert.
Übrigens gilt das auch für die natürlichen Ressourcen und die Umwelt: von 45 Milliarden Euro auf 17 Milliarden Euro zusammengestutzt. Noch besser ist es bei der Nachbarschaftspolitik und der Sicherheit: von 25 Milliarden Euro komplett auf 0; das ganze Geld soll zurückfließen in die Nationalstaaten. Meine Damen und Herren, das ist nicht die Art und Weise, wie man gemeinsam in Europa Politik macht.
(Beifall bei der FDP)
Außerdem soll das Geld ja schnell fließen. „ Next Generation EU“ ist das Reaktionsprogramm auf die Coronakrise. Das Geld kann aber nicht fließen, weil der Rat viel zu spät dran ist. Die Mitgliedstaaten haben mal wieder getrödelt. Wir hier in diesem Hohen Haus werden erst in einem Monat den Beschluss fassen, auf dessen Grundlage das Geld überhaupt ausgegeben werden kann. Das ist keine schnelle Reaktion, das ist Trödelei seitens der Mitgliedstaaten.
Meine Damen und Herren, eine Sache begrüßen wir als Freie Demokraten ausdrücklich: Das Geld soll konditioniert ausgegeben werden; das heißt, es müssen klare Reformprogramme vorgelegt werden, damit das Geld fließen kann. Diese Reformprogramme werden jetzt schon eingereicht. Interessant an der ganzen Geschichte ist, dass die Kommission dem deutschen Reformprogramm erst mal eine Absage erteilt hat, weil es nicht ambitioniert genug ist und nicht geeignet ist, Deutschland aus der Coronakrise herauszuführen. „ Deutschland“, so schreibt es Bert Rürup, „wird vom Reformmotor zur Bremse für Europa“ – so viel zur deutschen Rolle unter dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP)
Die Kommission will, dass Europa demokratischer wird, und hat deswegen vorgeschlagen, an den Haushalt einen Rechtsstaatsmechanismus zu koppeln. Auch das ist etwas, was aus liberaler Sicht eins a ist, sehr gut. Was ist aber unter deutscher Ratspräsidentschaft passiert? Der Rechtsstaatsmechanismus wurde ausgehöhlt; er heißt jetzt übrigens formell „Konditionalitätsmechanismus“ – auf eine solche Idee muss man erst einmal kommen! Wie wollen wir denn in Ungarn und Polen Rechtsstaatlichkeit durchsetzen, wenn ein solcher Mechanismus erst ausgehöhlt und anschließend von den beiden betroffenen Ländern vetiert wird? Die deutsche Ratspräsidentschaft steht blamiert da und kommt praktisch mit einem Beschluss zurück, der nicht mehr ist als das, was ein Rechnungshof macht. Wenn wir freiheitliche Werte in der Europäischen Union schützen wollen, dann brauchen wir einen starken Rechtsstaatmechanismus. Hier muss dringend nachgearbeitet werden.
(Beifall bei der FDP)
Thema „Konferenz zur Zukunft Europas“. Florian Hahn hat gerade gesagt, da seien große Brocken weggeräumt worden. Der Brocken, der weggeräumt worden ist, bestand darin, dass dem Rat der vom Parlament vorgesehene Vorsitzende der Konferenz zu europafreundlich war. Guy Verhofstadt, den liberalen Belgier, langjährigen Premierminister, wollte man im Rat nicht haben, also hat man diese Konferenz so lange aufgehalten, bis man im Rat ein Papier beschlossen hat, in dem steht: In dieser Konferenz darf über alles geredet werden, nur nicht über die Zukunft Europas.
(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Einzelne Policies dürfen dort besprochen werden, Vorschläge für Gesetzgebung! Auch das ist ein Ergebnis der deutschen Ratspräsidentschaft, und das ist kein zufriedenstellendes Ergebnis für die Zukunft Europas.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hilft nichts, Herr Graf Lambsdorf, die Zeit ist um.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Ich wünsche mir, dass wir von Deutschland aus eine bessere Rolle in Europa spielen. Ich wünsche der Europäischen Kommission viel Glück bei der Umsetzung ihres Arbeitsprogramms; befürchte aber, dass die Grundlagen dafür leider nicht gut genug sind, die in der deutschen Ratspräsidentschaft gelegt worden sind.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank. – Der nächste Redner hat drei Minuten Zeit. Ich bitte all diejenigen, die noch nicht gewählt haben, diese drei Minuten zu nutzen; denn nach dem nächsten Redner werde ich die Wahl schließen. Wenn er selbst schon gewählt hätte, wäre das vorteilhaft.
Ich erteile das Wort Herrn Dehm für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7504373 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 212 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte – Arbeitsprogramm 2021 der EU-Kommission |