25.02.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 212 / Tagesordnungspunkt 14

Mahmut ÖzdemirSPD - Planungssicherstellungsgesetz

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zugegebenermaßen ein schmales Gesetz, wenn man es ausdruckt: Es hat vier Seiten, sieben Paragrafen, wovon eine Seite allein auf den Anwendungsbereich verwendet wird. Da ist die Rede von der Umweltverträglichkeitsprüfung, vom Baugesetzbuch, vom Netzausbau, von Bundesfernstraßen und von Bundeswasserstraßen. Das sind alles Bereiche, die in unserem Land Arbeitsplätze, Wertschöpfung, Innovation, Bauen und Umwelt betreffen, und deshalb sind wir froh, mit diesem Gesetz für Stabilität und Rechtssicherheit gerade in diesem Verfahren sowie für Arbeitsplätze und die Wertschöpfung in diesem Land zu sorgen.

Wir nehmen keine Veränderungen am Gesetz vor, sondern eine Befristung. Offiziell, nach der amtlichen Bekanntmachung, heißt das Gesetz: „Gesetz zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Planungs- und Genehmigungsverfahren während der COVID-19-Pandemie“. Dieser Titel zeigt: Es ist ein Pandemiefolgengesetz und eben nicht ein Verwaltungsmodernisierungsgesetz.

(Zuruf von der FDP: Schade eigentlich!)

Die Amtsstube und die verstaubten Unterlagen dort bleiben also weiterhin die Regel, aber wir ergänzen es durch die neuen Möglichkeiten im Internet.

Wir sichern und ermöglichen damit die Durchführung und die Fortsetzung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Vorgelagerter Rechtsschutz bietet Rechtsfrieden. Diese Öffentlichkeitsbeteiligung ist dem Geist von „mehr Demokratie wagen“ von Willy Brandt entflossen, und wir freuen uns, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern durch diese Verfahren schon sehr früh eine Teilnahme im Verfahren ermöglichen.

Das ist ein exzellenter demokratischer Rechtsschutz, den sich jeder leisten kann – nicht nur diejenigen, die sich eine Armada von Rechtsanwälten und Gutachtern leisten können –, um in einem Planungsverfahren ihre eigenen Interessen geltend zu machen. Das ist ein urdemokratischer Prozess, den wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stärken und weiter vorantreiben wollen.

§ 3 ist das Kernstück des Planungssicherstellungsgesetzes: die Veröffentlichung im Internet. Sie kann erfolgen, sie kann die Auslegung in einem Rathaus ersetzen, zu dem man derzeit aufgrund der Pandemie keinen Zutritt hat, so wie es wünschenswert wäre. Wir haben aber auch für diejenigen, die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse haben, einen Anspruch darauf eingefügt, dass diese nicht unbefugt weitergegeben werden. Wir haben eine Widerspruchslösung eingeführt für diejenigen, die sagen: Meine Daten oder meine Unterlagen sind so sensibel, dass ich sie nicht im Internet offengelegt wissen möchte. – Da gibt es jetzt die Stopptaste für diejenigen, die sagen: Es ist mir wichtiger, meine Geschäftsgeheimnisse zu schützen, als das Planungsverfahren oder das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.

Die angeordnete Auslegung soll parallel dazu so weiterbestehen, wie wir sie bislang kennen. Sinn und Zweck des Planungssicherstellungsgesetzes ist es damit nicht, primär eine Wirtschaftsfreundlichkeit zu erzeugen oder vorzugaukeln, sondern Sicherheit, Rechtssicherheit, Bürgerfreundlichkeit für Betroffene zu gewährleisten. Verfahren sollen weiterlaufen, auch und gerade wenn die Amtsstube nicht für den Publikumsverkehr geöffnet ist.

Ich freue mich, dass viele Verwaltungen sehr gute, kreative Lösungen entwickelt haben, zum Beispiel kurzfristig Turnhallen umfunktioniert und mit Zugangsregeln dafür gesorgt haben, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgen kann. Es ist gut für die Demokratisierung eines Planungsverfahrens, dass Betroffene ihre Interessen kreativ zum Beispiel auch in Turnhallen beibringen können und ihre Unterlagen dort auch persönlich einsehen können.

Ein Sachverständiger hat es sehr schön formuliert: Öffentlichkeit heißt auch Öffentlichkeit. – Der Anspruch im Planungssicherstellungsgesetz auf Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ist kein Anspruch auf Verkürzung von Transparenz beim Betroffenen. Wir behandeln den Häuslebauer genauso, wie wir denjenigen behandeln, der eine Industrieanlage bauen will.

Wir als SPD-Bundestagsfraktion sind dafür, die Rechte derer zu stärken, die unmittelbar, gegenwärtig und selbst betroffen sind. Im Umkehrschluss dürfen auch nur diese Betroffenen bei den Vorhabenträgern in die Unterlagen schauen. Wir wollen, dass die Verfahren der Verwaltung im Internet mit der gleichen Tugend durchgeführt werden wie im analogen Zeitalter in der Amtsstube.

Wir wollen aber auch das Verständnis für Mittelstand und Industrie hier nicht unter den Tisch kehren. Eine unbegrenzte Verfügbarkeit von Unterlagen und von sensiblen Daten im Internet führt zu der, wie ich finde, berechtigten Sorge, dass Konkurrenten – nicht unbedingt nur in Deutschland, sondern auch international – Einblick in entsprechende Planungsunterlagen und sensible Daten nehmen können. Planungsdaten ersetzen, wie ich finde, nicht den deutschen Innovationsgeist, das deutsche Know-how, das deutsche Wissen und den Vorsprung. Deshalb halte ich es mit dem Sachverständigen: Öffentlichkeit heißt auch Öffentlichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Unbegrenztheit im Internet müssen wir durch Beschränkung auf die wirklich Betroffenen mit einer entsprechenden Absicherung in der IT-Struktur begegnen, ohne dabei die Öffentlichkeit und die Transparenz zu beschneiden.

Die Fristverlängerung bis 2022 haben wir bewusst nicht an eine entsprechende Regelung zur pandemischen Lage gekoppelt, weil wir der Überzeugung sind, dass wir auch auf der Zeitschiene Sicherheit und Verbindlichkeit gewährleisten müssen. Wir wollen den Betroffenen nicht sagen: Die Lage ist für die nächsten drei Monate festgestellt, so lange kannst du nach der Kann- und der Sollregelung die Unterlagen sowohl im Internet als auch körperlich auslegen; in drei Monaten sagen wir dir dann, wie du dein Planungsverfahren weiter betreiben kannst oder darfst. – Das führt nicht zur Sicherheit, und das führt nicht zur Verbindlichkeit. Niemand wird Geld in die Hand nehmen und in eine Anlage, in Arbeitsplätze, in Wertschöpfung investieren, wenn er diese Sicherheit nicht bekommt.

Stichwort „Evaluation“. Das ist ein Wort, das in Mode gekommen ist, und steht, hochtragend formuliert, für: Was müssen wir eigentlich langfristig in unsere Rechtsordnung übernehmen? Eine solche Evaluation werden wir vornehmen. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass wir im Internet auslegen, weil wir so den Zugang erleichtern und dafür Sorge tragen, dass Barrierefreiheit hergestellt wird.

Wir sollten ganz klar miteinander definieren, welche Anforderungen wir auch langfristig an eine Verwaltungsmodernisierung stellen. Es geht darum, Betroffenen immer einfacher und besser den Zutritt zu offen zugänglichen Unterlagen zu verschaffen, und zwar nicht nur zu den Dienstzeiten, in denen die Verwaltung ihre Türen geöffnet hat. Es geht um ein hohes Maß an Barrierefreiheit für diejenigen, die eine körperliche Einschränkung haben. Das wird dadurch gewährleistet, dass die Unterlagen im Internet offen zugänglich sind.

Mit Blick auf Geheimhaltung und insbesondere darauf – davon hatte ich gerade schon gesprochen –, dass wir für die deutschen Unternehmen sensible Daten und einen Innovationsvorsprung schützen wollen, müssen wir eine vernünftige Sicherheit, wie wir sie derzeit in analogen Verfahren gewährleisten, auch in das Internetzeitalter übertragen – Stichwort „digitale Sicherheit“ –, um so auch dem Grundrecht auf Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme – wenn man das unfallfrei ausgesprochen hat, hat man auch schon einen Teil seiner Redezeit bestritten – gerecht zu werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das müssen wir als Grundrechtsanspruch, den das Bundesverfassungsgericht statuiert hat, auch und gerade in Verwaltungsverfahren erfüllen.

Ich schlage vor, wir stimmen heute einem Pandemiefolgengesetz zu, um morgen gemeinsam eine Verwaltungsmodernisierung in all diesen Anwendungsbereichen, die das Planungssicherstellungsgesetz vorschreibt, vorzunehmen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte herzlich um Zustimmung zu diesem Gesetz.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr. – Das Wort hat Konstantin Kuhle von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7504448
Wahlperiode 19
Sitzung 212
Tagesordnungspunkt Planungssicherstellungsgesetz
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