Johannes VogelFDP - Pandemiebedingte Wirtschaftshilfen für Unternehmen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da ist die Varieté-Performerin, die seit über einem Jahr keinen Auftritt mehr hat. Weil ihr Partner ein Einkommen hat, hat sie aber keinerlei Anspruch auf Grundsicherung. Um über die Runden zu kommen, hat sie jetzt einen Bürojob angenommen und nimmt lange Anfahrtswege in Kauf.
Da ist die Touristenführerin und Historikerin, die nur einen kleinen Teil ihrer Arbeit von zu Hause, im Homeoffice erledigen kann; der Rest ist weggebrochen. Sie muss die Altersvorsorge aufbrauchen – das Erbe ihres Großvaters auch –, um über die Runden zu kommen, und ihre Ausgaben radikal runterfahren; wahrscheinlich wird sie ihre Selbstständigkeit aufgeben müssen.
Da ist der Veranstaltungsmanager, der nach 30 Jahren Selbstständigkeit jetzt komplett ohne Einnahmen dasteht. Er hat mittlerweile seine Rücklagen aufgebraucht und sich zwischenzeitlich als Kurierfahrer etwas dazuverdient. Um seine Familie über Wasser zu halten, hat er jetzt eine Beschäftigung annehmen müssen – seine Selbstständigkeit nach 30 Jahren ade.
Und da ist die Gründungscoachin, deren Kundschaft durch die Krisensituation abgeschreckt ist und schrumpft. Sie schafft es gerade eben, sich mit Onlineseminaren über Wasser zu halten. Aber die Sorge um die Zukunft ist groß.
Vier ganz reale Beispiele – von echten Menschen –, die deutlich machen, was Hunderttausende von Selbstständigen in unserem Land seit einigen Monaten ertragen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Branche hat die Bundesregierung jetzt erhört: Die Friseure dürfen wieder öffnen. Die anderen warten immer noch auf verlässliche Perspektiven und vor allem auf wirksame Hilfen. Das kann so nicht weitergehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition!
(Beifall bei der FDP)
Die Menschen, die unsere Gesellschaft bereichern, die unseren Alltag schön machen, die mit ihrer unternehmerischen Haltung unsere Innovationsfähigkeit steigern, sind diejenigen, die in dieser Krise oft am stärksten im Regen stehen gelassen worden sind und denen Sie jetzt ein Cocktailschirmchen in die Hand drücken. Lieber Kollege Helfrich, liebe Kollegin Katzmarek, dass Sie sich für die Neustarthilfe ernsthaft hier auf die Schulter klopfen, das grenzt geradezu an einen Treppenwitz.
(Beifall bei der FDP)
Schauen wir mal genauer rein: Erst wurde die Neustarthilfe für Selbstständige schon im November für Anfang des Jahres angekündigt. Es dauerte bis Ende Februar, bis sie beantragt werden konnte. – Ich weiß nicht, ob Ihnen klar ist, dass zwei Monate in dieser Pandemie für die Menschen jeden Tag Existenzängste bedeuten. Dann haben Sie jetzt 7 500 Euro als Maximalbetrag für die Lebenshaltungskosten vorgesehen. Nachdem neun Monate vorher bei den Lebenshaltungskosten gar nichts passiert ist, sind es jetzt 7 500 Euro bis nächsten Juni, also für insgesamt 15 Monate Pandemie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Klartext heißt das Folgendes: Für ganz viele Selbstständige in diesem Land reicht die Neustarthilfe nicht. Am Ende haben Sie sie doch wieder auf die Grundsicherung verwiesen. Das ist ein Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Sie können nicht Selbstständigen das Geschäft verbieten und gleichzeitig sagen: „Sollen sie doch Hartz IV beantragen!“, während Sie gleichzeitig alle Anstrengungen unternehmen, dass Sie bei Angestellten genau das vermeiden, zum Beispiel, indem Sie das Kurzarbeitergeld in der Krise extra anpassen. Letzteres ist richtig. Aber Ersteres müssten Sie eben auch für die Selbstständigen in Form von wirksamen Hilfen leisten, die die Natur von Selbstständigkeit berücksichtigen.
Die Wahrheit ist doch: Wirtschaftsminister Peter Altmaier bringt die Hilfen für die kleinen Unternehmen nicht rechtzeitig auf die Straße, und Finanzminister Olaf Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil blockieren wirksame Hilfen für Selbstständige, weil sie ihnen übel nehmen, dass sie keine Angestellten sind. Und das ist ein fatales Signal für die Kultur der Selbstständigkeit in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP)
Die Wahrheit ist: Wir signalisieren Selbstständigen in dieser Coronakrise, dass sie in Wahrheit mit ihrem Geschäftsmodell und ihrer Lebensrealität in diesem Land weder verstanden werden noch möglicherweise gar gewollt werden. Das sollten wir ändern. Das können Sie ganz einfach tun, indem Sie unserem Antrag für wirksame Hilfen nach dem Vorbild von Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg – es geht ja; es kann gehen – zustimmen. Wir fordern Sie auf, das zu tun. Es wäre das Richtige in dieser Krise.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP)
Vielen Dank, Herr Kollege Vogel. – Nächster Redner ist der Kollege Pascal Meiser, Fraktion die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 19 |
Session | 213 |
Agenda Item | Pandemiebedingte Wirtschaftshilfen für Unternehmen |