Helge LindhSPD - Persönliche Eignung nach dem Waffengesetz
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hess, nicht nur ein Luftgewehr kann bei einem Einsatz tödlich wirken, auch jeder rassistische, rechtsextremistische Satz in diesem Parlament kann im Endeffekt tödlich wirken; das nur als Hinweis meinerseits an Sie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist wichtig, dass wir jenseits ideologischer Grundsatzdiskussionen über das Waffenrecht reden. Angesichts der heute vorliegenden Anträge, über die wir diskutieren, möchte ich feststellen: Hanau ist der Maßstab, und das meine ich sehr ernst. Das meine ich umso ernster, nachdem ich heute eineinhalb Stunden mit Armin Kurtovic, dem Vater eines der Opfer von Hanau, gesprochen habe. Er stellt wichtige Fragen, denen wir nicht ausweichen können.
Er fragt, was gewesen wäre, wenn es nach entsprechender Abschaffung bzw. Veränderung der Verwaltungsvorschrift 2012 doch noch möglich gewesen wäre, dass in Hessen das Gesundheitsamt eine Stellungnahme zum Täter abgibt. Er fragt zu Recht, wie es sein kann, dass angesichts von Ermittlungen zur nachgewiesenen Einfuhr von Betäubungsmitteln – auf Deutsch: Drogenhandel, Drogeneinfuhr – der Täter trotzdem eine weitere Waffenbesitzkarte erhielt. Er fragt zu Recht, wie es sein kann, dass die hessische Waffenbehörde nicht die Münchener Behörden über die Situation des Täters informierte. Er fragt zu Recht, wie es sein kann, dass der Täter in der Slowakei Schützentrainingseinheiten absolvierte. Und er fragt zu Recht, wie es sein kann, dass dieser Täter waffenrechtliche Erlaubnisse hatte, obgleich er doch, wie sein Vater, mehrfach durch eindeutige Schreiben an die Generalbundesanwaltschaft und an mehrere Polizeistellen auffiel. Diesen Fragen können wir nicht ausweichen. Über sie müssen wir sprechen, wenn wir heute über Waffenrecht reden.
Ich sage das als jemand, der sich bei den Verhandlungen zum Waffenrecht bewusst für pragmatische Lösungen eingesetzt hat, der sich dafür eingesetzt hat, dass wir bei der Bedürfnisprüfung den Sportschützinnen und Sportschützen im Sinne einer Alltagstauglichkeit entgegenkommen. Ich sage an dieser Stelle klar: Nach Hanau reicht es nicht mehr, nur deutlich zu machen, dass wir Schützinnen und Schützen nicht unter Generalverdacht stellen wollen; das will, glaube ich, niemand hier. Aber die Frage, die sich uns stellen muss, ist: Ist es der Fall, dass der Vater eines Opfers hier dieselbe Lobby hat wie diejenigen, die Schießsport ausüben? Die Antwort lautet Nein.
Wenn von künftigen Generationen gefragt wird: „Haben wir im Vorfeld der Tat insgesamt genug getan, um einen solchen Massenmord zu verhindern?“, dann muss die Antwort lauten: Nein. Wenn von künftigen Generationen gefragt wird: „Haben wir im unmittelbaren Umfeld direkt nach der Tat insgesamt als Gesellschaft, wir alle, genügend getan, um diese Tat aufzuarbeiten?“, dann lautet die Antwort Nein. Wir werden uns auch die Frage gefallen lassen müssen, ob wir in Zukunft, in den nächsten Monaten und Jahren, bei einer kritischen Gesamtüberprüfung des Waffenrechts und vieler anderer Fragen genügend tun. Wenn wir das nicht tun, dann muss die Antwort auch Nein lauten.
Ich erinnere an dieser Stelle daran, was der Kreistag des Main-Kinzig-Kreises getan hat; übrigens alle demokratischen Fraktionen: CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke, Freie Wähler. Sie haben – man muss diese Einschätzung nicht teilen, aber man muss sich mit ihr auseinandersetzen – unter dem Eindruck des Geschehens uns aufgefordert, das Waffenrecht genau zu prüfen – nicht aktionistisch, aber es geht um eine genaue Prüfung –, und zwar hinsichtlich Bedürfnis, der Stellungnahme der Gesundheitsämter, der Organisation von Information, der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit, hinsichtlich all dieser Dinge. Dazu müssen wir uns verhalten. Wir können nicht ausweichen.
Die Grünen haben aus meiner Sicht einen gegenüber der Regierungskoalition extrem fairen Antrag vorgelegt, fast schon staatstragend, regierungstragend, mit ganz vorsichtigen Andeutungen in Richtung einer regelhaften psychologischen Überprüfung.
Die FDP hat eine Position formuliert, die ich in Bezug auf die Erfolgsgeschichte des deutschen Waffenrechtes nicht so euphorisch beurteilen würde. Sie fragt danach, ob wir illegale und legale Waffen hinreichend erfassen, und beantwortet das zu Recht mit Nein.
(Beifall des Abg. Konstantin Kuhle [FDP])
Neben dem Aspekt der Illegalität und der psychologischen Eignung spricht sie die Organisation von Informationen an. Das ist absolut richtig. Eine Antwort, die ich darauf geben wollen würde – das wäre ein Vorschlag, damit umzugehen –, ist eine andere: Warum schaffen wir es nicht für den Fall, dass diverse Behörden von evident psychisch auffälligen Tätern, von Tätern, die verschwörungstheoretisch und rechtsextremistisch auffallend sind, Kenntnis haben, ein Instrument zu entwickeln, wodurch bekannt wird, ob diese Personen über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen?
Ein Weg, der pragmatisch, datensparsam, grundrechtsschonend und vor allem bürokratiearm und praktikabel ist, wäre folgender: Wenn solche Schreiben verschiedene Behörden erreichen, dann informieren wir über diesen Umstand einfach das Nationale Waffenregister beim Bundesverwaltungsamt, das natürlich mit den entsprechenden personellen Kräften ausgestattet ist. Dann prüft das Bundesverwaltungsamt: Liegt eine waffenrechtliche Erlaubnis vor, ja oder nein? Und wenn das der Fall ist – das ist eine einfache binäre Frage –, dann geht die Information an die Waffenbehörde, und die leitet entsprechende Maßnahmen ein. Das wäre ein praktikabler Weg, gerade um uns nicht vorwerfen zu lassen, dass wir bei psychisch auffälligen, aber auch bei rechtsextremistisch auffälligen Personen nicht genug getan haben. Das wäre auch eine Entlastung der Waffenbehörden, denen wir all diese Untersuchungen nicht aufbürden können.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ein Letztes noch – wenn Sie mir erlauben, das zu sagen –, weil wir mit unserer Gesetzgebung oft Forderungen an die Waffenbehörden stellen: Wir müssen auch dem Umstand Genüge tun, dass in der Realität oft nicht ausreichend Personal vorhanden ist oder dass die Stellen oft nur Teilzeitstellen sind. Wenn wir hier groß über die Möglichkeiten des Waffenrechts debattieren, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Regeln auch tatsächlich vor Ort in der Kommune umgesetzt werden können, sonst sind wir nämlich scheinheilig.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7506199 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 215 |
Tagesordnungspunkt | Persönliche Eignung nach dem Waffengesetz |