05.03.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 216 / Zusatzpunkt 9

Wilfried OellersCDU/CSU - Vormundschafts- und Betreuungsrecht

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 2015 beanstandete der UN-Vertragsausschuss in seinen Abschließenden Bemerkungen zur ersten Staatenprüfung Deutschlands zur UN-Behindertenrechtskonvention das deutsche Betreuungsrecht als nicht vereinbar mit der UN-Behindertenrechtskonvention.

Damals hatte die Bundesregierung vorgetragen, dass sie das Betreuungsrecht als vereinbar mit der UN-BRK ansehe. Denn auch schon nach bisheriger Rechtslage war und ist es so, dass im Rahmen einer rechtlichen Betreuung das Selbstbestimmungsrecht und der Erforderlichkeitsgrundsatz zu wahren sind. Das Betreuungsrecht unterstützt Menschen, die ihre Angelegenheiten wegen einer Krankheit oder einer Behinderung ganz oder teilweise nicht selbst besorgen können.

Doch die Empfehlungen des UN-Vertragsausschusses waren ein Impuls – ein Impuls, um zu prüfen, wie Erforderlichkeitsgrundsatz und Qualität der rechtlichen Betreuung gestärkt werden können.

Sechs Jahre später nun beraten wir heute den Gesetzentwurf zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts. Es war eine lange Zeit, ja. Und was lange währt, wird endlich gut. Aber war es wirklich lange? Eher nicht, denn es waren einige dicke Bretter zu bohren und mehrere Etappen in einem langangelegten Forschungs-, Beratungs- und Beteiligungsprozess auch unter starker Mitwirkung der Organisationen von Menschen mit Behinderungen zu bewältigen. Das war wichtig, das war richtig, und es hat sich gelohnt. Ich danke allen, die an diesem Gesetzgebungsprozess teilgenommen und dazu beigetragen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD])

Zu welchen konkreten Verbesserungen kommt nun diese Reform?

Die Selbstbestimmung und die Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen im Vorfeld und innerhalb einer rechtlichen Betreuung werden im Sinne von Artikel 12 UN-BRK gestärkt.

Es wird klarer geregelt, dass die rechtliche Betreuung in erster Linie eine Unterstützung des Betreuten bei der Besorgung seiner Angelegenheiten durch eigenes, selbstbestimmtes Handeln gewährleistet und der Betreuer das Mittel der Stellvertretung nur einsetzen darf, soweit es erforderlich ist.

Der Vorrang der Wünsche der Betreuten ist nun zentraler Maßstab des Betreuungsrechts.

Die Betroffenen werden in sämtlichen Stadien des Betreuungsverfahrens besser informiert und stärker eingebunden, insbesondere in die gerichtliche Entscheidung über das Ob und das Wie der Betreuungsbestellung, in die Auswahl des konkreten Betreuers, aber auch in dessen Kontrolle durch das Betreuungsgericht.

Ehrenamtliche Betreuer erhalten zur Unterstützung eine enge Anbindung an anerkannte Betreuungsvereine.

Zur Sicherstellung einer einheitlichen Qualität der beruflichen Betreuung wird ein formales Registrierungsverfahren eingeführt.

Und – das ist sehr entscheidend –: Der Erforderlichkeitsgrundsatz soll im Vorfeld der Betreuung, insbesondere an der Schnittstelle zum Sozialrecht, effektiver umgesetzt werden. Eine zentrale Rolle spielt hier das neue Instrument einer erweiterten Unterstützung. Damit schaffen wir eine neue niedrigschwellige Möglichkeit, andere Hilfen zu vermitteln und so eine Betreuung zu vermeiden. Die Beratungs- und Unterstützungspflichten nach den Sozialgesetzbüchern bleiben daneben aber selbstverständlich bestehen.

Ich wünsche mir sehr – hier appelliere ich auch an die Bundesländer –, dass dieses neue und wertvolle Instrument auch möglichst flächendeckend eingesetzt wird.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

In der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses haben wir daher gegenüber den Ländern die Erwartungshaltung formuliert, dass sie die Erprobung dieser erweiterten Unterstützung in großem Umfang ermöglichen.

Von den weiteren Verbesserungen, die wir im parlamentarischen Verfahren erreicht haben, möchte ich lediglich zwei erwähnen: Unter anderem sollen und werden Betreute künftig ihre Prozessfähigkeit behalten – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und: Betreuungen, die gegen den Willen der betreuten Person eingerichtet werden, sollen spätestens nach zwei Jahren überprüft werden.

Das Gesetz regelt jedoch – leider – nicht die Finanzierung der barrierefreien Kommunikation, wie zum Beispiel Kosten für Gebärdensprachdolmetscher. Ich begrüße es daher außerordentlich, dass die Justizministerin die Absicht geäußert hat, dies im Rahmen der Neuregelung der Betreuungsvergütung nachzuholen.

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Als Letztes gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu der doch viel diskutierten Ehegattenbetreuung. Ich frage mich echt, welches Bild Sie von einer Ehe haben.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mensch, das sagen alle Experten einhellig! – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]: Reaktionär! Das kann ich Ihnen sagen!)

Viele Ehegatten wundern sich eher, dass sie eben kein Vertretungs- und Betreuungsrecht haben, wenn ihr Ehegatte plötzlich im Sterben liegt. Das sollten Sie noch einmal ganz deutlich überdenken.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren nicht in der Anhörung, glaube ich! – Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7506713
Wahlperiode 19
Sitzung 216
Tagesordnungspunkt Vormundschafts- und Betreuungsrecht
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