05.03.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 216 / Tagesordnungspunkt 31

Karl-Heinz BrunnerSPD - Rehabilitierung homosexueller Soldaten

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine sehr verehrten Herren! Im Jahr 1949 hat eine Geschichte begonnen, die heute einen guten Schritt weiter ist, und ich darf zu Beginn Ihnen, Frau Bundesministerin der Verteidigung, Danke sagen, dass Sie das Projekt Ihrer Vorgängerin fortgeführt haben, sodass wir heute über den Gesetzentwurf zur Rehabilitierung homosexueller Soldaten beraten und diese Thematik noch einen Schritt weiter bringen können.

1949 wurden unserem Grundgesetz der Artikel 1 und der Artikel 3 vorangestellt. Artikel 1 besagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, und Artikel 3 besagt: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“. Das sind eigentlich Selbstverständlichkeiten, aber diese Grundsätze waren unter dem Eindruck der deutschen Geschichte nicht ganz selbstverständlich, und sie wurden in Deutschland ab dem Jahr 1949 auch nicht überall so gelebt; denn vor allem zwei Gruppen – um nur zwei zu nennen – konnten diese Grundrechte noch nicht genießen.

Die eine Gruppe waren die Frauen, die man nicht ganz ernst genommen hat. Sie waren quasi Bürgerinnen zweiter Klasse, bekamen erst im Jahre 1958 weitgehend die Gleichberechtigung im Rechtsverkehr, durften – man höre und staune – erst 1977 ohne Genehmigung des Ehegatten einen eigenen Gewerbebetrieb eröffnen, was man sich heute fast nicht vorstellen kann, und konnten erst 2001 als Soldatinnen in alle Funktionen der Bundeswehr eintreten. Es brauchte einen langen Weg, um diese Gleichberechtigung zu erreichen. Das sage ich wenige Tage vor dem Internationalen Frauentag.

Es gab daneben eine zweite Gruppe, die 1949 aufgrund unterschiedlichster Gründe noch nicht an unserem tollen Grundgesetz partizipieren konnte. Die einen sagen, weil sie vergessen wurden, die anderen sagen, weil sie es nicht können sollten.

Ich sage, die homosexuellen Männer in diesem Land wurden nach 1949 weiterhin regelmäßig und systematisch stigmatisiert; sie wurden drangsaliert und kriminalisiert. Das war und ist eine Schande. Erst durch das von Professor Burgi erstellte Gutachten – beauftragt durch die Antidiskriminierungsstelle – ist zutage getreten, dass die Rechtswirklichkeit und die Verfassungswirklichkeit in Deutschland von Anfang an – seit dem Jahr 1949 – auseinanderklafften und alle Urteile eigentlich von Anfang an rechtswidrig waren.

1949 gab es den Lichtblick in Form unseres Grundgesetzes. Ich glaube, durch diesen Lichtblick war der damalige wehrpolitische Berater der SPD, Friedrich Beermann, beeinflusst, als er den Begriff „Staatsbürger in Uniform“ prägte, der dann letztendlich als Leitbild der Inneren Führung implementiert wurde. Er wurde der Schrift nach als Leitbild implementiert, aber leider noch nicht als solches gelebt; denn der Staatsbürger in Uniform ist ein Bürger, der alle Rechte dieses Staates im Hinblick auf seine Würde und die Gleichheit vor dem Gesetz in Anspruch nehmen darf und, ja, muss.

1956 – mit der Gründung der Bundeswehr – wurde die Ungleichbehandlung fortgesetzt. 45 Verurteilungen von Soldaten sind seit dieser Zeit per anno, jedes Jahr, erfolgt – eine überwiegende Anzahl aufgrund von Anzeigen, die aus der Truppe gekommen sind.

Obwohl 1969 unter dem damaligen Justizminister und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern entkriminalisiert wurden, ging es bei der Bundeswehr – die Ministerin hat es angesprochen – munter weiter. Bis 1980 wurden homosexuelle Männer allein wegen ihrer Liebe, allein wegen ihres Verhaltens, allein deshalb, weil sie die Rechte des Grundgesetzes in Anspruch genommen haben, aus dem Dienst entfernt.

Als dies 1984 auch mit der Rechtslage nicht mehr genau übereinstimmte, hat man flugs einen Erlass gemacht, der es ermöglichte, weiterhin rechtswidrig – so sage ich – zu handeln. Erst im Jahre 2000 hat Verteidigungsminister Rudolf Scharping – die Ministerin hat es angesprochen – den entsprechenden Erlass aufgehoben und damit Gleichheit herbeigeführt. Ich sage an der Stelle auch: Es wäre gut, wenn neben der Entschuldigung, die wir als Hohes Haus den Soldaten entgegenbringen und die die Ministerin erbracht hat, auch die vielen Generäle, die bis zuletzt erbitterten Widerstand dagegen geleistet haben, dass der Minister diesen Erlass aufgehoben hat, sich endlich mal bei den Menschen entschuldigen würden, denen sie über Jahrzehnte Leid zugefügt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])

2017 haben wir sodann nach dem Gutachten von Burgi endlich die Rehabilitierung der nach § 175 StGB und § 151 StGB-DDR verurteilten Menschen auf den Weg gebracht. Heute ist ein guter Tag, weil die Soldaten, die in ihrer Karriere, in ihrem Dienst, in ihrem beruflichen Leben, ja in ihrer Selbstverwirklichung gestört waren, nunmehr einer Rehabilitierung zugeführt werden: mit einem unkomplizierten Verfahren, mit einem gerechten Verfahren, in dem ihrem Leid Rechnung getragen wird.

Meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem heute vorliegenden Gesetz über die Rehabilitierung von homosexuellen Soldaten gehen wir einen wichtigen Weg; aber der Weg ist noch nicht zu Ende. Denn dieser Weg ist erst dann zu Ende, wenn diese Menschen, die seit 1949 in diesem Land gelitten haben, auch im Grundgesetz, so wie es inzwischen für Frauen richtig geschehen ist, verankert sind, gefördert werden und im Grundgesetz auch genannt werden. Schweigen ist keine Demokratie.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb bitte ich an dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem heute und gestern die Einigung erzielt wurde, den Rassebegriff zu erneuern, doch darüber nachzudenken und darüber zu debattieren, ob wir nicht bei dieser Gelegenheit endlich die Männer in unserem Land, die seit 1949 ihre Rechte nicht erhalten haben, ins Grundgesetz aufnehmen und damit alle Menschen mit ihrer sexuellen Orientierung zu implementieren. Ich würde mir das wünschen und würde mit jedem Einzelnen ein Einzelgespräch führen, um dies auf den Weg zu bringen. Das sind wir den Männern schuldig, das sind wir den Frauen schuldig, das sind wir den binärgeschlechtlichen Menschen schuldig, das sind wir den Transmenschen schuldig, das sind wir unserer Gesellschaft schuldig und nicht zuletzt unserem Grundgesetz, das uns seit 1949 beteiligt. Dann war dies heute ein guter Tag beim Einbringen dieses Gesetzes.

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Wort hat Dr. Jens Brandenburg für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7506719
Wahlperiode 19
Sitzung 216
Tagesordnungspunkt Rehabilitierung homosexueller Soldaten
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta