24.03.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 217 / Zusatzpunkt 1

Aydan ÖzoğuzSPD - Aktuelle Stunde – Deutsche und europäische Türkeipolitik

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist traurig, dass wir diese Debatte so führen müssen. Das möchte ich zum Ende dieser Debatte mal sagen.

Wir haben immer wieder Anlass – leider zu viele Anlässe –, um über die Türkei zu sprechen. Der Austritt aus dieser Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen erscheint eigentlich auch nur noch als die Spitze eines Eisbergs – auch das hat diese Debatte gezeigt – bei den angeschlagenen und sehr schwierigen deutsch-türkischen und auch europäisch-türkischen Beziehungen. Ich möchte, weil dieses Kulturelle hier tatsächlich betont wurde – ich war Cem Özdemir sehr dankbar, dass er das aufgegriffen hat –, noch einmal ganz deutlich sagen: Präsident Erdogan hat per Dekret etwas, was für uns und auch für weite Teile der türkischen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit ist, per Handstreich aufgekündigt. Dagegen demonstrieren die Menschen in der Türkei. Auch bei uns wird dies kritisiert.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es war der Staatspräsident selbst, der dieses Dekret unterschrieben hatte. Es hat ihn damals niemand dazu gezwungen, das zu tun. Der gleiche Mann kündigt das heute wieder auf, und zwar, weil er dem Druck von Ultratraditionalisten nachgibt. Es ist ein Signal, dass er die Situation der Frauen gar nicht mehr ernst nimmt und dass er die Gewalt gegen Frauen hinnimmt und akzeptiert. Wir haben von Claudia Roth, von Gabriela Heinrich und auch von Frau Pantel noch einmal die Zahlen gehört, die nun bittere Realität für die Frauen in der Türkei sind. Natürlich gehen sie dagegen auf die Straße. Es sind nicht gerade wenige, und sie verdienen unsere Unterstützung dabei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was ich besonders erschreckend finde, ist, dass heutzutage so ziemlich alles in der Türkei per Handstreich geht: Finanzminister entlassen, Menschen verhaften, Dekrete erlassen. Was scheinbar miteinander gar nichts zu tun hat, offenbart eben doch ein sehr, wie ich finde, verstörendes Bild: Es wird alles so gemacht, wie der Präsident es möchte. Es ist leicht geworden, Menschen in der Türkei als Terroristen zu brandmarken. Wer weiß schon, ob es stimmt. Vor wenigen Tagen wurde der HDP-Abgeordnete Gergerlioglu – wir haben das schon gehört – aus dem Parlament ausgeschlossen. Er war wegen angeblicher terroristischer Propaganda zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Genannt werden alte Tweets. Ich habe selber bei Canan Kaftancioglu das Gerichtsverfahren mitbekommen. Es war schon frappierend, zu sehen, dass Richter, die ihre Aufgabe ordentlich machen wollen, die ihrem Job nachgehen wollen, während eines Gerichtsverfahrens sogar ausgetauscht werden, wenn sie eben nicht das machen, was der Präsident möchte. Ein beliebter Präsident hätte es wohl nicht nötig, solche Dinge zu tun, Kritiker auszuschließen, wegsperren zu lassen. Also da scheint einiges nicht richtig zu laufen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gyde Jensen [FDP])

Osman Kavala sitzt seit genau 1 239 Tagen in Untersuchungshaft, ohne bis dato ein ordentliches und anständiges Gerichtsverfahren erhalten zu haben. Es scheint mir eine Art Machtdemonstration zu sein, ihn im Gefängnis zu halten, während gleichzeitig der Taksim-Platz umgebaut wird. Es ist eine gewisse Machtdemonstration, zu sagen: Schaut her, ich kann jeden im Gefängnis halten. Und dass wir dies aus dem Deutschen Bundestag kritisieren, ist doch eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Inhaftierung von Oppositionellen und Journalisten, Andersdenkenden gehört ja mittlerweile zur traurigen Tagesordnung. Dazu passt das hier auch erwähnte eingeleitete Verbotsverfahren gegen die zweitgrößte Oppositionspartei HDP.

Wir haben damals übrigens alle vor der Einführung dieses Präsidialsystems gewarnt. Ich muss leider sagen: Die Opposition in der Türkei war damals nicht geschlossen genug, um sich dagegenzustellen. Und „alle Macht dem Präsidenten“ war und ist eben niemals ein Weg, mit dem man Demokratie erhalten kann oder mit dem man irgendwie zu Demokratie zurückgeht. Es ist so traurig, weil die Türkei doch schon sehr viel weiter war, an einer ganz anderen Stelle war, dass wir dieses heute mitbekommen müssen.

Ein letzter Satz ist mir noch wichtig; denn mit einigen Dingen spielen wir manchmal auch gerade diesem Präsidenten in die Hände. Herr Brand soll es mir nicht übelnehmen, aber der Vergleich mit China erscheint mir dann doch abstrus, denn in China hätte ein Imamoglu niemals auf diese Art und Weise eine Wahl gewonnen. Da haben die Menschen gezeigt, dass sie eben hingehen, dass sie wählen dürfen, dass sie Macht haben als Wählerinnen und Wähler. Ich glaube, wovor die Menschen in der Türkei besonders Angst haben, ist, dass der Weg Richtung Iran geht. Das hört man gerade immer wieder von Frauen. Das hört man und denkt man ja auch, wenn man jetzt sieht, wie gerade dieser Weg eingeschlagen wird, die Frauenrechte weiter zu untergraben. Ich muss sagen: Ich bin Frank Schwabe dankbar, dass er uns gezeigt hat: Der Europarat hat wichtige Dinge eingeleitet, und es muss natürlich unsere Regierung mit allem Nachdruck auch mitverfolgen, und wir alle müssen das auch beobachten, so wie wir es heute tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Aydan Özoğuz. – Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde: Sebastian Brehm für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7510080
Wahlperiode 19
Sitzung 217
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde – Deutsche und europäische Türkeipolitik
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