Nezahat BaradariSPD - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach einem Jahr bestimmt die Coronapandemie weiterhin das Leben der Menschen auf der ganzen Welt. Die EU ist davon leider nicht ausgenommen. Laut WHO sind Stand heute über 936 000 Menschen in der Europäischen Union an Corona gestorben. Nach wie vor gehen wir einen sehr langen und sehr steinigen Weg, bis wir unser normales Leben wieder einigermaßen zurückhaben können. Gleichfalls dürfen wir den Kopf nicht in den Sand stecken und müssen positiv – ja, positiv! – in die Zukunft blicken; denn es wird auch ganz sicher eine Zeit nach Corona geben.
Wir müssen in der EU endlich ein erkennbares Zeichen des Aufbruchs setzen; denn es ist unsere Aufgabe, aus dieser Pandemie die richtigen Lehren für die Europäische Gemeinschaft zu ziehen und entsprechend konsequent zu handeln. Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen muss sich gegenüber den Impfstoffherstellern noch erkennbarer und nachhaltig durchsetzen, damit die zugesagten Lieferungen auch wirklich ankommen. Ebenso darf es in einer Pandemie an einer so entscheidenden Stelle keine falsche Sparsamkeit geben. Um es ganz deutlich zu sagen: Dies ist völlig fehl am Platz und hat, wie wir sehen, verheerende Folgen.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte an dieser Stelle auch konstatieren, dass das EU4Health-Programm mit einer Mittelausstattung von 9,4 Milliarden Euro einfach zu kurz gegriffen ist. Das wird uns noch ordentlich auf die Füße fallen. Wo zeitnah zusätzliche Impfstoffdosen nachbestellt werden können, muss dies auch erfolgen, transparent und offen kommuniziert.
Gerade bei der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch gegenüber dem direkt gewählten Europäischen Parlament hat es vonseiten der Kommissionschefin in den vergangenen Monaten an etlichen Stellen erheblich gemangelt. Dies hat zu einem Klima des Misstrauens geführt. Den Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament wurden monatelang entscheidende Informationen vorenthalten. Das ist inakzeptabel!
(Beifall bei der SPD)
Genau diese Art der mangelnden Kommunikation zerstört das so dringend benötigte Vertrauen in der Bevölkerung und schwächt die demokratischen Institutionen. Daher darf sich das in dieser Art, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht wiederholen.
Wir sehen jeden Tag, welche dramatischen Folgen die Pandemie für uns alle hat. Daher ist es richtig, neue europäische Instrumente der Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich entschieden voranzubringen.
Erstens. Die Krisenvorsorge und die Krisenprävention in der EU muss verbessert werden. Dafür sind eine Stärkung und ein Ausbau des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheit, ECDC, sowie der Europäischen Arzneimittel-Agentur, EMA, notwendig.
Zweitens. Es muss einen verbesserten Zugang zu Gesundheitsdaten und den Austausch von Informationen im europäischen Gesundheitsdatenraum geben. So können Folgeprobleme gemeinsam koordiniert gelöst werden, damit es keine Lkw-Schlangen an den Grenzen gibt und damit Berufspendler in den Grenzregionen nicht aufgehalten werden.
Drittens. Die Arzneimittelversorgung in der EU muss sichergestellt werden. Daher brauchen wir Herstellungsstandorte von Wirkstoffen für kritische Arzneimittel in der Europäischen Union selbst.
Viertens. Die EU muss eine führende und gestaltende Position bei der Stärkung der WHO einnehmen sowie eine Vorreiterrolle in der globalen Gesundheit besetzen.
(Beifall bei der SPD)
Ja, die Europäische Union muss widerstandsfähiger und reaktionsfähiger werden, um auf zukünftige grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren zielgerichteter reagieren zu können. Dies gilt nämlich nicht nur für Viren, sondern auch für antimikrobielle Resistenzen oder Bedrohungen chemischen Ursprungs. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist auch eine absolut berechtigte Erwartung der Menschen in der EU; denn es geht um ihre Gesundheit. Da müssen wir nun politisch liefern.
Mit der neuen EU-Behörde für Notfallvorsorge und ‑reaktionen im Gesundheitswesen, HERA – quasi benannt nach der griechischen Geburtsgöttin –, soll unter anderem die Entwicklung neuer Arzneimittel auf der Grundlage der strategischen Früherkennung auch für Kinder und Jugendliche vorangebracht werden. Dies begrüße ich sehr. Ebenso hat sie die Aufgabe, die Bereitstellung von Medikamenten und medizinischen Geräten zu sichern sowie die Produktionskapazität von Impfstoffen zu überwachen.
EU-weit sind erst 54 Millionen Impfdosen gegen Covid-19 verabreicht worden. Aufgrund des Mangels werden nun selbst Exportverbote diskutiert, weil Exportkontrollmechanismen in dem Maße nicht genügend wirksam sind bzw. eingesetzt werden. Dies unterstreicht die Notwendigkeit eines gemeinsamen europäischen und globalen Handelns in der Pandemie. Impfstoffe müssen allen Menschen weltweit zur Verfügung gestellt werden. Sie dürfen nicht als Luxusgut angesehen werden.
(Beifall bei der SPD)
Daher ist die Frage berechtigt, ob die Produktion und der Verkauf von Impfstoffen ausschließlich der Privatwirtschaft überlassen werden sollte;
(Zuruf von der FDP: Wie langsam soll es denn gehen?)
denn gerade den Kampf gegen die Pandemie gewinnen wir in einer globalisierten Welt nicht national. Frau Bundeskanzlerin, bitte setzen Sie sich daher im Rat mit voller Kraft – wie ein Tanker – dafür ein,
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine gute Idee! – Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Besser als ein Panzer! – Gegenruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das knallt dann!)
dass die richtigen europäischen Lehren aus der Pandemie gezogen werden – und mit vielen Schnellbooten, bitte auch –; denn es ist genau jetzt die Zeit für eine vertiefte EU-Gesundheitsunion, die die Bürgerinnen und Bürger Europas effektiv schützt und neues Vertrauen in die Politik schafft.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Professor Dr. Heribert Hirte hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7510715 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 218 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |