25.03.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 218 / Tagesordnungspunkt 14

Michael Roth - 80 Jahre Überfall der Wehrmacht auf Griechenland

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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 2. September 1944 wurde das griechische Dorf Chortiatis von Soldaten der Wehrmacht und ihren Helfershelfern dem Erdboden gleichgemacht. 149 Kinder, Männer und Frauen wurden Opfer eines furchtbaren Massakers. Viele Menschen wurden in einem Backhaus eingesperrt und verbrannten bei lebendigem Leibe. Hier in Deutschland wissen nur sehr wenige von dem Schicksal der sogenannten Märtyrerorte, die während der deutschen Besatzung von 1941 bis 1944 zerstört wurden. Nur wenige Bürgerinnen und Bürger überlebten das Gemetzel von Wehrmacht, Waffen-SS und ihren Schergen in Kefalonia, Klissoura, Kommeno, Distomo, Chaidari, Kalavryta, Chortiatis, Lingiades und vielen weiteren Orten.

In keinem anderen europäischen Land war ich in den vergangen Jahren häufiger zu Gast als in Griechenland. Die deutsch-griechischen Beziehungen liegen mir, wie vielen anderen hier im Hause, sehr am Herzen, auch und besonders, weil ich um die tiefen Wunden weiß, die die deutsche Besatzungszeit bis zum heutigen Tag bei vielen Griechinnen und Griechen hinterlassen hat. Meine Begegnungen und Gespräche mit Menschen in Chortiatis und Lingiades werde ich nie vergessen. Ich stieß auf Trauer über die Ermordung von Schwestern, Vätern und Nichten, Zorn über Jahrzehnte währendes deutsches Desinteresse, Hoffnung, aus Fehlern der dunklen Vergangenheit zu lernen, und Genugtuung darüber, dass Überlebende und Nachkommen der Opfer ihren Schmerz mit einem Nachkommen des Tätervolks teilen können.

Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Griechenland jährt sich am 6. April zum 80. Mal. Drei Wochen später, am 27. April, wurde die Hakenkreuzflagge auf der Akropolis gehisst – ein Bild des Schreckens, das sich tief im kollektiven Gedächtnis eines ganzen Landes eingebrannt hat.

Die deutsche Besatzung Griechenlands forderte fast 800 000 Menschenleben, nicht nur Soldaten, sondern auch viele Zivilistinnen und Zivilisten. 60 000 griechische Jüdinnen und Juden und damit über 80 Prozent der jüdischen Bevölkerung Griechenlands wurden ermordet. Andere wurden in Konzentrationslager verschleppt und der Zwangsarbeit unterworfen. Und es reicht eben nicht, die banale Feststellung zu treffen, dass wir als jüngere Generation keine persönliche Schuld an den deutschen Gräueltaten auf griechischem Boden tragen. Nein, auch wir als Nachgeborene machen uns schuldig, wenn wir uns der notwendigen Aufarbeitung verweigern und die Opfer aus unserer Erinnerung verbannen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])

Genau von dieser „zweiten Schuld“ hat Bundespräsident Joachim Gauck im März 2014 in Lingiades gesprochen und im Namen von uns allen um Verzeihung gebeten.

Nichts ist erledigt, lieber Manuel. Wir können diese Verbrechen nicht mehr ungeschehen machen; aber wir können dabei mithelfen, dass sich das Unrecht, das geschehen ist, niemals wiederholt. Wir wollen die Erinnerung an Zerstörungswahn, hemmungslose Gewalt, blanken Hass und Mord wachhalten – nicht als Selbstzweck, sondern um daraus die Lehren für eine bessere Zukunft zu ziehen. Zukunft braucht Erinnerung;

(Beifall des Abg. Frank Müller-Rosentritt [FDP])

beides gehört für mich untrennbar zusammen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Gerade wir Deutschen tragen dafür eine ganz besondere Verantwortung. Gemeinsames Erinnern und Gedenken ist die Voraussetzung für Versöhnung. Und die Wege der Versöhnung sind lang und beschwerlich, sie kosten Überwindung, sie kosten Kraft. Versöhnung ist eine Geste, die man nicht erbitten kann; man kann sie nur geschenkt bekommen. Ich bin sehr dankbar für dieses große Geschenk unserer griechischen Freundinnen und Freunde. Dafür möchte ich mich auch bei Ihnen, Frau Botschafterin, stellvertretend für Ihre Landsleute, herzlich bedanken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber wir belassen es eben nicht nur bei Appellen: Wir haben 2014 einen deutsch-griechischen Zukunftsfonds ins Leben gerufen, mit dem wir zahlreiche Versöhnungs- und Bildungsprojekte fördern. Wir unterstützen den Bau einer Holocaustgedenk- und Begegnungsstätte in Thessaloniki. Von den 53 000 Jüdinnen und Juden überlebten gerade einmal 1 950 Menschen die Shoah in Griechenland.

Versöhnung ist aber nicht in erster Linie das Werk von Regierungen, sondern vor allem der vielen engagierten Brückenbauerinnen und Brückenbauer in der Zivilgesellschaft, die dabei mithelfen, dass aus Gegnern und Gegnerinnen Freundinnen und Freunde werden. Wir wollen ganz besonders die jüngere Generation erreichen. Deshalb ist es großartig, dass das Deutsch-Griechische Jugendwerk in diesen Tagen endlich seine Arbeit aufnimmt. Das freut mich ganz besonders; denn wir müssen junge Menschen dafür gewinnen, die Lehren aus dem furchtbaren Zweiten Weltkrieg präsent zu halten und damit zu einem friedlichen Miteinander in Europa beizutragen.

Es bedeutet mir viel, dass wir nach den dunklen Kapiteln unserer Geschichte heute zusammen Teil eines Europas sind, in dem wir gemeinsame Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Menschenrechte teilen. Heute kämpfen Griechinnen und Griechen und Deutsche Seite an Seite für ein Europa des Friedens und der Vielfalt, ein Europa ohne Fremdenhass, ohne Antisemitismus, ohne Nationalismus, ein Europa, in dem wir alle ohne Angst verschieden sein können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Markus Koob [CDU/CSU])

Das Wort geht an Grigorios Aggelidis von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7510772
Wahlperiode 19
Sitzung 218
Tagesordnungspunkt 80 Jahre Überfall der Wehrmacht auf Griechenland
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