25.03.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 218 / Tagesordnungspunkt 15

Siemtje MöllerSPD - Bundeswehreinsatz in Afghanistan

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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Immer, wenn ich solche Reden wie gerade hier von der AfD höre und ertragen muss, denke ich an Shajillah Hadeed. Frau Hadeed habe ich auf einer Afghanistanreise 2019 kennengelernt. Sie war damals Vorsitzende des Frauenrates der Provinz Balch. In einer dieser typischen Runden mit lauter männlichen Gesprächsteilnehmern saßen wir bei einem landestypischen Mittagessen in einem Zelt, und Frau Hadeed, gekleidet in ein farbenfrohes Gewand, mit einem lockeren Kopftuch, nutzte die Gunst der Stunde, um einen flammenden Appell an die deutsche Delegation zu richten. Sie sprach von ihrer persönlichen Situation in der Zeit der Talibanherrschaft, von Unterdrückung, Entrechtung, Willkür, Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen und von ihrer Furcht vor dem wachsenden Einfluss der Taliban, davor, dass sich genau dieselbe Situation wieder einstellen würde, wenn wir abzögen. Sie beschwor uns, die internationale Präsenz fortzuführen, und ließ sich dabei auch nicht von den Beschwichtigungsversuchen des anwesenden Provinzgouverneurs beirren; denn sie wusste ganz genau, dass sie hier nicht zu gehorchen hatte – wie unter anderen Regimen –, sondern als freie, stolze Frau dort sprechen durfte. Mich hat das zutiefst bewegt; denn für diese Frauen lohnt es sich dort zu sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es zeigt zudem, dass wir in Afghanistan auf der richtigen Seite stehen: auf der Seite der Freiheit und der Selbstbestimmung dieser Frau, stellvertretend für die afghanische Bevölkerung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 20 Jahre Afghanistan-Einsatz heißt leider nicht, dass alles gut ist. Es ist immer noch gefährlich und mühsam dort. Aber 20 Jahre nach dem 11. September scheint fast in Vergessenheit geraten zu sein, was für ein Land Afghanistan damals war. Damals gab es keinen regelmäßigen Schulbesuch; es gab nicht einmal Schulgebäude für Mädchen. Es gab keine Wahlen. Es gab kein Rechtssystem. Es gab öffentliche Steinigungen. Afghanistan war ein Hort des internationalen Terrors. All das hat sich glücklicherweise geändert, auch dank der internationalen Kräfte und der intensiven Aufbauarbeit, die durch die zivilen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helferinnen und Helfer vor Ort geleistet wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

In einer denkbar unwägbaren Lage wollen wir heute zu einer Verlängerung des Mandates kommen. Eine belastbare Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien wäre die Grundlage für den möglichen Abzug. Die Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung stocken, ebenso die zwischen den Taliban und den USA. Ich stelle hier mal die Frage: Welches Signal würden wir an die NATO senden, wenn wir jetzt abziehen? Das Signal: „Für uns gilt nicht mehr gemeinsam rein, gemeinsam raus“? Welches Signal würden wir an die afghanischen Sicherheitskräfte senden, die wir aufgebaut haben und die jeden Tag in Auseinandersetzungen mit den Taliban Verluste hinnehmen? Das Signal: „Wir entziehen euch die Unterstützung und überlassen euch den Taliban, die nur darauf lauern, dass sich ein aus ihrer Sicht müder Westen endlich zurückzieht“? Welches Signal würden wir an Frauen wie Shajillah Hadeed senden? – Ich finde, wir dürfen sie nicht alleine lassen, die afghanischen Sicherheitskräfte nicht und die Bevölkerung von Afghanistan nicht; sie setzen auf uns.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan war intensiver als alle anderen Einsätze. Er hat eine ganze Generation geprägt. Er hat die Bundeswehr verändert. Trotz aller Erfolge müssen wir anerkennen, dass viele Dinge anders gelaufen sind, als wir sie uns vorgestellt hatten. Es gab Rückschläge, Anschläge; wir haben 59 tote Soldaten zu beklagen. Den Angehörigen und den gefallenen Soldaten gegenüber sind wir zum Gedenken, zum respektvollen Umgang mit dem Einsatz und einem In-Verbindung-Bleiben verpflichtet. Und gerade weil der Abzug vermutlich nicht realisiert wird und die Taliban dann auch wieder gegen internationale Kräfte Gewalt ausüben werden, muss der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten oberste Priorität haben.

Kolleginnen und Kollegen, Demokratie lässt sich nur schwer exportieren, und Afghanistan hat noch einen langen Weg vor sich. Aber lassen Sie uns weiterhin Wegbegleiter sein, Wegbegleiter von Shajillah Hadeed, all der anderen Frauen und Mädchen und der afghanischen Bevölkerung! Lassen Sie uns beweisen, dass sie auf uns zählen können!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vielen Dank, Siemtje Möller. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Dr. Reinhard Brandl für die CSU/CDU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7510859
Wahlperiode 19
Sitzung 218
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Afghanistan
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