26.03.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 219 / Tagesordnungspunkt 39

Susanne MittagSPD - Strafgesetzbuch und Tierschutzgesetz

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tierquälerei ist durch gar nichts zu rechtfertigen, ist mir persönlich zuwider, und ich denke, so ziemlich allen hier dürfte es genauso gehen. Aber es geht nicht nur um das Quälen durch Taten, sondern es geht auch um das Quälen durch Unterlassen. Da gibt es eine riesige Bandbreite, und es ist nicht klar definiert, wo Quälen anfängt. Ich kann auch, ehrlich gesagt, die Ausreden nicht mehr hören: „Ich habe das nicht gesehen“, „Das wollte ich nicht“, „Ich habe die Übersicht verloren“ oder „Es war eine Verkettung von ganz unglücklichen Umständen“.

Die Frage stellt sich: Welche effektiven Stellschrauben haben wir hier im Bundestag, Tierquälerei im Vorfeld zu verhindern oder zu ahnden? Das Strafmaß vielleicht? Dazu gibt es ja einen Vorschlag. Oder Kriterien? Was ist eigentlich Tierquälerei? Zum Beispiel ist „Tierwohl“ gar nicht rechtlich definiert; da kann jeder alles hineininterpretieren. Strafverfolgung? Das ist aber Landessache; das dürfte auch hier bekannt sein. Rechtsprechung? Das wäre natürlich schön, wenn man mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften in den Ländern hätte und auch eine Beschulung der Justiz stattfinden würde, um das Empfinden zu schärfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben ungefähr 700 bis 800 Verurteilungen wegen Tierquälerei in Deutschland jährlich. Das ist nicht viel angesichts der großen Anzahl von Tieren, die wir in ganz Deutschland haben, von ganz klein bis riesengroß. Bei gut 80 Millionen Einwohnern und einem Mehrfachen an Tieren stellt sich aber die Frage: Wird eigentlich Tierquälerei ausreichend angezeigt? Wird weggeschaut? Wird ignoriert? Wird mal bewusst nicht wahrgenommen, weil sie von Freunden begangen wird, von Bekannten, von Nachbarn, von Verbands- und Arbeitskollegen? Es ist aber auch möglich, dass Behörden weggucken.

Um das noch mal an Zahlen von 2012 bis 2016 zu verdeutlichen – neuere Zahlen gibt es nicht, aber großartig verbessert haben dürften die sich nicht –: Die Täter wurden in 90 Prozent der Verfahren mit einer Geldbuße belegt. In 90 Prozent der restlichen Verfahren gab es eine Bewährungsstrafe. Also gab es bei 1 Prozent Freiheitsstrafen. In keinem Falle ist der Rahmen von drei Jahren Freiheitsstrafe ausgeschöpft worden. Die Erhöhung der möglichen Freiheitsstrafe auf fünf Jahre reißt es nicht wirklich raus, wenn in den früheren Jahren nicht mal drei Jahre verhängt worden sind. Selbst wenn es inzwischen ein-, zweimal passiert ist, scheint das nicht das richtige Mittel zu sein. Tierhaltungsverbote wurden viel zu wenig und viel zu kurzzeitig ausgesprochen. Auch da hätte man mehr machen können.

Was kann man zur Verbesserung der Lage tun? Jedenfalls geschieht das nicht mit diesen Vorlagen, denke ich mal. Die Kontrollintervalle erhöhen – das wurde erwähnt. Ja, schön, aber es dürfte ja wohl allen bekannt sein, dass Kontrollen Ländersache sind. Das Prinzip der Konnexität dürfte auch allen bekannt sein: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch. Wenn wir also mehr Kontrollen wollen, müssen wir auch den Ländern die Möglichkeiten geben.

Dass es in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt wird, wissen wir auch. Im Rahmen Ihrer politischen Beteiligung an den Landesregierungen – in einigen Bereichen ist das ja so – haben Sie auch die Möglichkeit, darauf hinzuwirken. Das passiert unterschiedlich und auch mit unterschiedlichem Erfolg. Ich weiß, wie schwierig das ist; die lassen sich nicht gerne was vom Bund sagen. Aber die Möglichkeiten gibt es.

Wir können aber trotzdem noch einiges verbessern – und die Anträge zeigen natürlich den Willen, noch einiges zu verbessern –, und zwar mit gesetzlichen Festschreibungen, mit einem echten, vollständigen Tierwohllabel mit Kennzeichnungspflicht für alle Haltungsformen – Haltung, Transport und Schlachtung –, damit man weiß, wie Tierwohl überhaupt stattfindet – die Borchert-Kommission dürfte inzwischen allen ein Begriff sein –, mit der Einrichtung einer bundesweiten Tiergesundheitsdatenbank mit einem Auswertungstool, gespeist mit vorhandenen Daten für zielgerichtete Kontrollen, mit einer weiteren Kontrolle in der zweiten Ebene. Das würde auch die Veterinäre vor Ort stärken. Das ist kein extra Aufwand, wie immer gerne gesagt wird, sondern die Daten liegen alle vor, aber sie müssen systematisiert und kontrolliert werden. Dann wüsste man auch, wo man zielgerichtet kontrollieren kann. Das wäre sogar hilfreich für die Länder.

Man kann etwas verbessern mit gesetzlichen Vorgaben zur Videoüberwachung in Schlachthöfen und bei Tiertransporten. Auch diese Daten gehören dann in eine Tiergesundheitsdatenbank. Nicht nur Bedauern zeigen, wenn es mal wieder Filme im Fernsehen gibt, die zeigen, wie schrecklich die Verhältnisse sind! Wir könnten sie hier ändern, wenn denn alle mitmachen.

(Beifall bei der SPD)

Die gesetzliche Umsetzung der Exopet-Studie – sie wurde vom Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegeben und ist längst beendet – wäre wunderbar. Inzwischen kann man in Deutschland fast alle möglichen exotischen Tiere halten und keiner weiß, welche wo sind. Damit wäre eine Reglementierung, eine Rückverfolgbarkeit möglich.

Wir warten auch auf gesetzliche Regelungen gegen den illegalen Welpenhandel: Nicht nur Gespräche führen und Betrübnis äußern nach Sicherstellungen. Wir können das gesetzlich regeln.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen gesetzliche Vorgaben zur Tierhaltung in Zirkusbetrieben – viele EU-Länder sind erheblich weiter; aber hier findet immer noch nichts statt – und natürlich eine stringentere Umsetzung der EU-Richtlinie zu Tierversuchen. Wir haben in diesem Haushalt den ersten Einstieg zur Förderung der tierversuchsfreien Forschung gemacht; darüber bin ich richtig froh, und darauf bin ich stolz. Aber da ist noch richtig Luft nach oben. Auch könnte man nicht nur das Minimum dieser EU-Richtlinie umsetzen, sondern vielleicht auch mal ein bisschen draufpacken.

(Beifall bei der SPD)

Das wäre effektiv. Das wäre sehr präventiv, um Tierleid erst mal zu verhindern, bevor wir es strafrechtlich verfolgen müssen. Sinn der Sache ist doch, dass es gar nicht erst dazu kommt.

Das alles ist noch bis zur Sommerpause umsetzbar. Wir haben noch offene Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag – die habe ich gerade alle aufgeführt –, es gibt einen Entschließungsantrag; da steht das auch alles drin. Allerdings muss ich sagen: Es erfordert noch einiges an Bewegung bei unserem Koalitionspartner. Darauf hoffe ich. Und bei der Landwirtschaftsministerin Frau Klöckner muss auch noch einiges passieren. Wir können das alles noch schaffen und umsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Es wäre natürlich auch schön, wenn Sie alle diese Maßnahmen unterstützen würden, dass sie von einer großen Mehrheit getragen werden. Das wäre gut! Es hilft nicht weiter, nur endlos zu prüfen, zu problematisieren, zu verschleppen und als nicht umsetzbar zu deklarieren. Wir können das hinkriegen, und das wäre Verhinderung von Tierquälerei, das wäre echter Tierschutz. Und falls es noch nicht allen klar ist: Tierschutz ist inzwischen Staatsziel. Das sollte doch wohl hinzukriegen sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort geht an Dr. Gero Clemens Hocker von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7511299
Wahlperiode 19
Sitzung 219
Tagesordnungspunkt Strafgesetzbuch und Tierschutzgesetz
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