14.04.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 220 / Tagesordnungspunkt 4

Carsten MüllerCDU/CSU - Energieversorgung in Deutschland

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Frau Präsidentin! Die sogenannte Alternative für Deutschland präsentiert uns heute einen Antrag: Kernreaktoren der IV. Generation als vermeintliche Zukunft der Energieversorgung in Deutschland. Wenn es nach der AfD geht, dann bauen wir morgen ein paar Flüssigsalzreaktoren auf, und alle Probleme sind gelöst.

(Stephan Brandner [AfD]: Die bauen wir alle morgen!)

Ich bin, ehrlich gesagt, ein großer Freund eines technologieoffenen Ansatzes. Wir müssen es vermeiden, Pfadabhängigkeiten zu schaffen. Das heißt beispielsweise, wir sollten an E-Fuels und Biokraftstoffe denken. Das heißt, wir sollten die Brennstoffzelle und die Batterie im Auge behalten.

Ich bin allerdings auch davon überzeugt, dass diese von der AfD propagierten Kernreaktoren der IV. Generation nicht annähernd so erfolgversprechend und verheißungsvoll sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Timon Gremmels [SPD] – Dr. Roland Hartwig [AfD]: Warten wir es doch mal ab!)

Woran mache ich das fest?

Erstens. Ein Flüssigsalzreaktor produziert, wie andere radioaktive Reaktoren ebenfalls, radioaktiven Abfall. Zwar zerfällt der Abfall von Thorium-Reaktoren bereits nach einigen Hundert Jahren, aber sie strahlen eben sehr erheblich, sehr intensiv. Gammastrahlen gilt es abzuschirmen. Meine Damen und Herren, wir alle in diesem Haus wissen, wie schwierig es ist, das Endlagerproblem zu lösen. Ehrlich gesagt, hier bleibt die AfD schon im Ansatz eine Antwort, einen Vorschlag schuldig.

Zweitens. Kernenergie ist keine wirtschaftliche Energiequelle,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

erst recht nicht, wenn es um den Neubau von Reaktoren geht. Das DIW hat dazu umfangreiche Studien vorgelegt. Schauen wir auf das Kraftwerk Hinkley Point C in Großbritannien: Für 19 Milliarden Euro waren 3,2 Megawatt installierter Leistung geplant. Heute sehen wir: Das Projekt ist fast ein Jahrzehnt in Verzug, und die Kosten sind auf über 26 Milliarden Euro angestiegen. Es gibt weitere Beispiele wie das AKW Vogtle, USA. Das ist noch gar nicht am Netz. Geplant waren 14 Milliarden Dollar Kosten, nach kurzer Zeit stehen in den Büchern aber schon tatsächliche Kosten in Höhe von 29 Milliarden Dollar, und die enormen Kosten für die Endlagerung sind insgesamt unberücksichtigt.

Das dritte große Problem. Von einer Marktreife der Flüssigsalzreaktoren sind wir noch Jahrzehnte entfernt. Wir haben durch eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages mitgeteilt bekommen, dass es bisher noch nicht einmal einen Demonstrationsreaktor dieser propagierten Technik gibt. In Norwegen – und Norwegen kann man nun tatsächlich nicht vorwerfen, konventioneller Energieerzeugung besonders kritisch gegenüberzustehen – ist schon vor Jahren die Entwicklung eines Prototyps aufgegeben worden. Was war die Begründung? Zu störungsanfällig, zu teuer, Abfall zu strahlungsaktiv. Die Dinge, die ich eben aufgezählt habe.

Jetzt weiß man tatsächlich nie ganz genau, wie sich eine Technologie entwickelt, wenn man noch in der Erforschung begriffen ist.

(Dr. Roland Hartwig [AfD]: Eben!)

Deswegen ist es möglicherweise richtig, dass Deutschland über die Europäische Atomgemeinschaft weiterhin im Generation IV International Forum, GIF, vertreten ist. Das heißt also, wir haben das Thema noch im Augenwinkel, betreiben es aber nicht aktiv, und das ist meines Erachtens richtig.

Die AfD propagiert hier eine vollkommen unsichere Wette auf die Zukunft. Meine Damen und Herren, was ich besonders bedenklich finde, ist, dass hier so getan wird, als wenn die Energieversorgung Deutschlands in Gefahr wäre.

(Zuruf von der AfD: Ist sie auch!)

Auch das ist schlicht falsch. Es gibt kein anderes nationales Stromnetz, das so störungsfrei, so sicher durchläuft wie das deutsche,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und das trotz eines nennenswert hohen, eines erfreulich hohen Anteils regenerativer Energien. Ehrlich gesagt, diese Kernenergie der IV. Generation ist absolut keine Lösung für die energiepolitischen Herausforderungen der Zukunft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie immer befindet sich die AfD auf einem energiepolitischen Irrweg. Im Übrigen ist es sehr interessant, dass es Ihnen nicht bei einer einzigen Sachverständigenanhörung der jüngeren Vergangenheit gelungen ist, für Ihre abwegigen Gedanken Sachverständige zu gewinnen – das letzte Mal heute im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Für Ihre kruden Thesen gibt sich kein ernsthafter Wissenschaftler her.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Marianne Schieder [SPD]: Kein Wunder!)

Meine Damen und Herren, was brauchen wir? Wir brauchen eine umfassende Reform des Abgaben-, Steuer- und Umlagensystems; daran arbeiten wir als Union. Wir brauchen eine Novelle des Energiewirtschaftsrechtes. Wir brauchen die Unterstützung des Pfades der deutschen Industriegesellschaft in die Wasserstoffwirtschaft. Damit sind wir voll dabei. Ich kann mir auch noch ein bisschen mehr Mut vorstellen, beispielsweise wenn es um die Förderung und um die Regulatorik für Speicher geht. Meine Damen und Herren, diesen Weg wollen wir beschreiten. Das ist die deutlich bessere Alternative, und die finden Sie bei der Union und dieser Bundesregierung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank, Carsten Müller. – Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Götz Frömming.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7514769
Wahlperiode 19
Sitzung 220
Tagesordnungspunkt Energieversorgung in Deutschland
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