Eckhardt RehbergCDU/CSU - Nachtragshaushalt
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Boehringer, nach der Rede, die Sie eben gehalten haben: Gehen Sie mal rüber zur Charité auf die Intensivstation! Würden Sie dort die gleiche Rede halten – vor Ärzten, vor Krankenschwestern und vor an Covid-19 Erkrankten, die beatmet werden müssen, die heute vier bis sechs Wochen da liegen, weil es mittlerweile die unter 60-Jährigen trifft?
(Peter Boehringer [AfD]: Jedes Mal! Das kann doch nicht wahr sein!)
Da gehen Sie hin und halten mal Ihre Rede und reden davon, dass das eine unverhältnismäßige Reaktion der Bundesregierung ist!
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])
Ich will hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts herbeireden; aber die Höhe der Infektionswerte erschreckt einen schon.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das kann man wohl sagen!)
Nachlaufend ist der Anstieg der Zahl der belegten Intensivbetten. Ich möchte nicht – ich sage das ganz ausdrücklich –, dass auch bei mir in der Fraktion der eine oder andere möglicherweise erst mit Bildern zur Vernunft kommt, wo zu sehen ist, wie in der Charité oder bei mir in Ribnitz-Damgarten in den Bodden-Kliniken die Intensivpatienten auf den Fluren liegen müssen, weil die Krankenzimmer belegt sind. Das möchte ich nicht.
(Tino Chrupalla [AfD]: Ist doch Unsinn!)
– Das ist kein Unsinn.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wenn Sie sich die Zahlen angucken, sehen Sie: Jeden Tag gibt es 80 bis 100 neue Intensivpatienten. Rechnen kann ich noch: Das sind in 7 Tagen 600 bis 700 und in 14 Tagen 1 500 weitere Intensivpatienten. Dann sind wir bei über 6 000 in der Bundesrepublik Deutschland, und dann ist die Kapazitätsgrenze erreicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen ist es richtig, dass wir handeln.
Aber wenn man die Zahlen betrachtet, erschrecken die einen schon. 2020, 2021 und 2022: 450 Milliarden Euro Schulden. Die müssen jetzt nicht alle eintreten; das weiß ich auch. Das ist im letzten Jahr auch nicht der Fall gewesen. Aber die größere Kraftanstrengung wird sein, wieder die verfassungsgemäße Schuldengrenze einzuhalten. Das wird in der Zukunft die größere Kraftanstrengung werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich halte es auch für gerechtfertigt, im nächsten Jahr noch mal die Ausnahme von der Schuldenbremse in Anspruch zu nehmen.
Das Entscheidende ist heute auch nicht die Verschuldungsquote des Staates, sondern das Entscheidende ist die Kreditfinanzierungsquote des Bundeshaushaltes.
(Beatrix von Storch [AfD]: Und die Ausgangssperre ab 9 Uhr!)
Die Kreditfinanzierungsquote war im Jahr 2010 bei 15 Prozent; in diesem Jahr, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist sie bei 44 Prozent. Wir treffen Vorsorge, und das ist auch richtig. Wer sich den Pandemievorsorgetitel anschaut, sieht: Da sind jetzt schon 18 Milliarden Euro raus; wir füllen ihn wieder auf. 18 Milliarden!
Das ist, Kollege Boehringer, kein Geld, das irgendwie sinnlos ausgegeben worden ist. Das ist ausgegeben worden fürs Testen, fürs Impfen, für Krankenhausfinanzierung, und es ist zum Beispiel – darüber werden wir wahrscheinlich noch reden müssen – für das Kurzarbeitergeld ausgegeben worden. Ich könnte noch viele Punkte nennen. Oder wollen Sie nicht, dass Familien geholfen wird? Wollen Sie nicht, dass Unternehmen geholfen wird? Wollen Sie nicht, dass wir Impfstoffe kaufen? Oder wollen Sie nicht, dass wir testen? Ich will dieses alles, und deswegen ist dieser Nachtragshaushalt richtig.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ein Satz zu den Unternehmenshilfen. Gerade eben habe ich noch mal die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern angehört. Sie hat diese Woche gesagt: Der Bund hält seine Zusagen nicht ein. – Wir haben unsere Zusage eingehalten. Wir haben noch mal massiv aufgestockt, Herr Bundesfinanzminister – der Wirtschaftsminister ist jetzt nicht da –, Stichwort „Eigenkapitalzuschuss“ bei der Überbrückungshilfe III. Wir haben reagiert nach der Ministerpräsidentenkonferenz vom 3. März. Aktuell stehen bei den Unternehmenshilfen insgesamt 65 Milliarden Euro zur Verfügung; deswegen brauchen wir den Titel mit 25 Milliarden Euro im Nachtragshaushalt jetzt nicht anzupacken. Beantragt, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind mittlerweile rund 20 Milliarden Euro.
Auch das gehört zur Wahrheit dazu. Immer wieder ist von den Ländern zu hören: Der Bund tut nichts. – Die Wirtschaftshilfen, Überbrückungshilfe I, II, III, November-, Dezemberhilfe, bezahlt komplett, zu 100 Prozent, der Bund allein, die Länder setzen um.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das muss mal gesagt werden: Bei der Novemberhilfe und Dezemberhilfe sind 85 Prozent der beantragten Volumina umgesetzt. Bei der November- und Dezemberhilfe stehen wir seit Wochen bei etwa 6 Milliarden Euro. Die Antragsvolumina steigen nicht mehr groß. Das heißt, da wird auch nicht mehr viel kommen. Ich glaube, gerade die Überbrückungshilfe III ist gut konzipiert, nicht branchenbezogen, sondern insgesamt für alle gleichmäßig passend. Ich bin davon überzeugt, dass die auch helfen wird.
Ein Wort zu einer ganz spannenden Debatte, die auch in meinem Heimatland gerade wieder geführt wird. Schlagzeile: Kommunen haben einen Überschuss von 339 Millionen Euro. – 339 Millionen Euro! Es gibt zwei Gründe.
Der erste Grund ist: Der Bund-Länder-Finanzausgleich zur Erhöhung oder Zurverfügungstellung eines Ausgleichs der kommunalen Finanzkraft ist in Mecklenburg-Vorpommern auf Druck der CDU komplett im kommunalen FAG gelandet – komplett, 330 Millionen Euro.
Zum zweiten Grund. Ich habe mich mal nach Gewerbesteuereinnahmen bei mir an der Küste umgehört. Rügen, Usedom, Fischland-Darß: kein Einbruch. Und wissen Sie, wer die großen Gewerbesteuerzahler dort sind? Hotellerie und Gastronomie. Das sind dort die großen Gewerbesteuerzahler. Der zweite Grund ist der Ausgleich des Bundes bei der Gewerbesteuer. Ich will hier mal die Unterschiedlichkeit der Inanspruchnahme und der Finanzlage von Bund, Ländern und Kommunen deutlich machen. Bund, Defizit bei den Einnahmen: 131 Milliarden Euro. Finanzierungsüberschuss: 39 Milliarden Euro. Kommunen: positiver Überschuss von 2,7 Milliarden Euro.
Aber jetzt kommt’s. Herr Bundesfinanzminister, Kinder- und Jugendhilfe ist Sache der Länder und Kommunen. Der Bund hat ein Minus bei den bereinigten Einnahmen von 43,5 Milliarden Euro. Die Länder haben ein Plus bei den bereinigten Einnahmen von 32,3 Milliarden Euro. Der Grund ist: Hier ist beim Bundesamt für Statistik die Bundeszuweisung an die Länder eingerechnet. Diese ist da gegenüber dem letzten Jahr eingerechnet. Das heißt 32,3 Milliarden Euro mehr in 2020 als in 2019. Die Kommunen haben ein Plus von 13,6 Milliarden Euro bei den bereinigten Einnahmen.
Das sollte uns schon mal zu denken geben, was wir noch zu leisten haben, oder auch, wenn andere originär zuständig sind, was sie dann selber zu leisten haben. Ich bin Carsten Schneider und Anja Hajduk dankbar. Guckt man ins Jahr 2017 zurück: Prüfungsrechte des Bundesrechnungshofs. Wenn wir diese Verfassungsänderung nicht gemeinsam vorgenommen hätten, würde nicht auf den Tisch kommen, dass die Länder Stand Ende 2017 Reste bei den Regionalisierungsmitteln von 4 Milliarden Euro haben, aufwachsend auf 5 Milliarden Euro – Aussage des Bundesrechnungshofs im Haushaltsausschuss.
Ich könnte diese Liste noch so weiterführen. Warum sage ich dieses gerade oder mache das sehr deutlich? Ja, wir wollen dieses Jahr 240 Milliarden Euro an Schulden aufnehmen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die größere Kraftanstrengung – ich wiederhole mich – wird das Herauswachsen aus den Schulden sein, um wieder das Grundgesetz, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, einzuhalten, die Schuldengrenze einzuhalten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Jetzt erhält das Wort der Kollege Otto Fricke, FDP.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7514830 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 221 |
Tagesordnungspunkt | Nachtragshaushalt |