Friedrich StraetmannsDIE LINKE - Alternative Maßnahmen zur Lockdown-Politik
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass wir hier über Alternativen zur derzeitigen Politik der Pandemiebekämpfung durch die Bundesregierung reden müssen. Das war es dann aber auch schon mit der Übereinstimmung.
Ihr Antrag zeigt mal wieder perfekt Ihren Politikansatz auf. Sie setzen hier einen völlig inhaltsleeren Antrag auf, um über das Thema Coronamaßnahmen reden zu können. Den Menschen da draußen gaukeln Sie dabei vor, Sie würden ihnen mehr Gehör verschaffen wollen. Doch wenn man sich Ihren Antrag anschaut, sieht man, dass davon keine Rede sein kann. Sie wollen ein Gremium aus Expertinnen und Experten installieren, das ausschließlich Personen aus dem medizinischen Bereich und der Wirtschaft beinhaltet. Ganz normale Bürgerinnen und Bürger: Fehlanzeige. Menschen, die sich mit den Funktionsweisen innerhalb der Gesellschaft auskennen, kommen nicht vor; denn Sie interessiert letztlich auch nur das ungestörte Funktionieren der Kapitalvermehrung.
(Stephan Brandner [AfD]: Sie können ja einen Änderungsantrag stellen!)
Ihnen sind Ihre anonymen und nichtanonymen Großspender in der Praxis dann eben doch näher als die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
(Beifall bei der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Genau! – Zurufe der Abg. Uwe Witt [AfD] und Martin Reichardt [AfD])
Besonders lustig wird es dann aber, wenn Sie den Bundestag auffordern, tätig zu werden.
(Stephan Brandner [AfD]: Sagen Sie doch mal was zu dem NSDAP-Mitglied in Ihren Reihen!)
Es ist richtig: Sie machen selten den Eindruck, dass Sie verstanden haben, wie dieser Bundestag funktioniert; aber dass das so weit geht, dass Sie offenbar ganz vergessen haben, dass Sie selbst Teil des Bundestages sind und damit eigene Gesetzesinitiativen einbringen könnten, ist selbst für Ihre Verhältnisse das neue Level der Absurdität.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])
Meine Fraktion und ich haben bereits vor Monaten einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Einführung eines Pandemierats vorsieht. In unserem Entwurf werden Bundestag und Bundesregierung von einem Gremium beraten, das sich unter anderem aus Personen aus dem Gesundheitswesen, aus den Sozialwissenschaften, aus dem pädagogischen Bereich und eben auch aus Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzt; denn die aktuell zu treffenden Abwägungen sind wesentlich komplexer, als dass sie nur zwischen Wirtschaft und Gesundheitswesen besprochen werden könnten.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber das verstehen offenbar weder Sie von der AfD noch Sie von den Regierungsparteien.
Die Strategie der Bundesregierung besteht ganz offensichtlich darin, im privaten Bereich auch noch das Letzte herauszuquetschen, damit für die Betriebe, insbesondere für das produzierende Gewerbe, möglichst wenige Einschränkungen erfolgen müssen.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!)
Es ist für diese Koalition selbstverständlich, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter im Betrieb und auf dem Weg dorthin einem hohen Ansteckungsrisiko aussetzen, während sie nach Feierabend auf ihre ohnehin oft zu kleinen Wohnungen beschränkt bleiben sollen. Ihre geplante Ausgangssperre ist nicht nur falsch, sie ist auch vollkommen unverhältnismäßig.
(Beifall bei der LINKEN)
Allgemeine Ausgangssperren sind ein scharfes Schwert, das jetzt bei einer Inzidenz von 100 gezogen werden soll. Die Schließung von Schulen soll dagegen erst bei einer Inzidenz von 200 erfolgen. Derweil kann in Papenburg, trotz absurd hoher Fallzahlen, über Wochen munter weiter am Kreuzfahrtschiff geschraubt und geschweißt werden.
Darüber hinaus ziehen Sie mit Ihrer Ausgangssperre zu einem völlig falschen Zeitpunkt die völlig falschen Schlüsse aus aktuell noch einmal untermauerten Forschungsergebnissen: Die Ansteckungsgefahr tendiert draußen fast gegen null. Und gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem es wärmer wird und die nach Sozialkontakten lechzenden Menschen sich da draußen mit Abstand treffen könnten, machen Sie das für die Abendstunden unmöglich. Damit verlagern Sie, liebe Bundesregierung, die Treffen sehenden Auges in die Innenräume, wo sie nämlich nicht zu kontrollieren sind. Das ist absolut fahrlässig und konkurriert mit der Osterruhe sehr hart um den Titel der am wenigsten durchdachten Maßnahmen der letzten 14 Monate.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will mir gar nicht ausmalen, auf was für absurde Ideen Sie noch kommen werden, sollte diese Strategie nicht greifen. Sollten Familien auf das gemeinsame Abendessen verzichten, damit in Stuttgart weiter der Porsche vom Band rollt? Werden Sie tagsüber Grünanlagen sperren, außer auf dem Weg zur und von der Arbeit natürlich? Oder werden Sie die Mittagspause abschaffen, um Kontakte zu reduzieren? Ab welcher Inzidenz sollen Paare getrennt schlafen, um die Rüstungsexporte nicht zu gefährden?
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie haben ja interessante Vorschläge! – Timon Gremmels [SPD]: Na ja!)
Oder werden Sie vielleicht die Arbeitszeiten erhöhen, damit die Arbeiterinnen und Arbeiter zu müde für private Treffen sind? Ich traue Ihnen mittlerweile alles zu, was garantiert, dass die Gewinne der Konzerne bloß nicht geschmälert werden.
(Beifall bei der LINKEN – Timon Gremmels [SPD]: Sie sind aber keinen Deut besser!)
Aber diese Gefahr besteht ja momentan ohnehin nicht. Die Gewinne explodieren, und die Milliardäre mehren ihr Vermögen. Die Reichen dieses Landes können sich gemütlich einrichten, während die Löhne in der Breite sinken. In den luxuriösen Villen wird man sich dieses Maßnahmenregime sehr gemütlich anschauen können, während die Arbeiterinnen und Arbeiter auf ihren 42 Quadratmetern bleiben. Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen. Aber irgendwann ist auch hier das Ende der Fahnenstange erreicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD.
Und was machen CDU und CSU derweil? Die stürzen sich genüsslich in einen innerparteilichen Kampf um die Kanzlerkandidatur, als ob die Katastrophe namens Pandemie nicht existieren würde. In der Folge beschäftigt sich die Union seit Wochen mit sich selbst statt mit der Bekämpfung der Pandemie.
(Karin Maag [CDU/CSU]: Entschuldigung, morgen debattieren wir hier über ein Gesetz!)
Ich muss sagen: Da bleibt mir glatt die Spucke weg. Das ist ein Niveau an Ignoranz, Selbstbezogenheit und Fahrlässigkeit – mit Ihnen kann doch niemand ernsthaft koalieren wollen; das sage ich in Richtung der Grünen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Aber irgendwann in diesem Jahr wird diese Katastrophe vorbei sein. Dann gilt es, die Menschen an das zu erinnern, was hier veranstaltet wurde. Ich bin mir sicher, dass sie im September bei der Bundestagswahl den einen oder anderen Denkzettel verteilen werden. Meine Fraktion und ich werden jedenfalls alles tun, damit dieses Trauerspiel hier nicht in Vergessenheit gerät.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Manuela Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7514852 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 221 |
Tagesordnungspunkt | Alternative Maßnahmen zur Lockdown-Politik |