Mahmut ÖzdemirSPD - Sportstätten, Breitensport
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob der nachfolgende Ausspruch eines Kabarettisten ausgerechnet für den Kollegen König gemacht worden ist, aber die schwierigste Turnübung ist immer noch, sich selbst auf den Arm zu nehmen.
(Andreas Bleck [AfD]: Ja, dann legen Sie los!)
Die Opposition schafft das tatsächlich mit einigen Anträgen, die wir heute hier vorliegen haben. Wir schauen auf Luftschlösser.
Die Linken fordern in Ihrem Antrag einen Goldenen Plan Nummer drei, weil ihnen selber nichts anderes dazu einfällt, als einfach zehnmal 1 Milliarde Euro zu fordern. Ich werde Ihnen gleich zeigen, wie man das richtig macht.
(Lachen des Abg. Andreas Bleck [AfD])
Die FDP will den Erhalt der Breitensportlandschaft haben,
(Karsten Hilse [AfD]: Kalauer!)
und die Grünen reden von Transparenz – klingt auch immer gut. Letztendlich: Geld, Erhalt, Transparenzportale allein sind nicht das, was unser Sportdeutschland braucht. Es braucht Zuverlässigkeit, es braucht Disziplin, und es braucht vor allen Dingen eines: Respekt vor den Sportlerinnen und Sportlern. Ich erkläre Ihnen das.
(Beifall bei der SPD)
Zehnmal 1 Milliarde Euro bei einem Investitionsstau in Höhe von, wie Sie selber sagen, 31 Milliarden Euro, klingt, finde ich, gut gebrüllt, ist aber viel heiße Luft. Zuverlässigkeit geht folgendermaßen: Aus Programmen zur Sanierung kommunaler Einrichtungen 200 Millionen Euro für 105 Projekte in 2020, weitere Gelder im Rahmen eines Nachtragshaushaltes in Höhe von 600 Millionen Euro für 2021 und das folgende Jahr. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Deshalb reden wir hier auch von einem Investitionspakt Sportstätten 2020/2021 in Höhe von 325 Millionen Euro. Wenn man die ganzen Verpflichtungsermächtigungen für diese Programme zusammenzieht, dann kommen wir schon auf eine Summe von 1 Milliarde Euro, die Sie im Übrigen fordern und die wir, wenn wir weiter regieren, natürlich auch weiter verstetigen würden.
Beim Städtebau haben wir 790 Millionen Euro für die Anlagen verbucht, damit wir Sportstätten sportartenunabhängig auch in die Quartiere, in die Stadtteile integrieren können,
(Dagmar Freitag [SPD]: Sehr gut!)
damit sie nah bei den Menschen, nah bei den Kindern und Jugendlichen sind, damit sie fußläufig erreichbar sind. Dafür haben wir als Sozialdemokraten in der Regierung dieses Städtebauförderungsprogramm mit aufgelegt und mit unterstützt. Darauf kann man stolz sein.
(Beifall bei der SPD)
Die Anhörung im Sportausschuss vergangene Woche zur Förderung des Bundes von kommunalen Sportstätten hat sehr deutlich gezeigt, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in diesem Land auch im Hinblick auf den Sport nicht gewährleistet ist. Sie reden über 31 Milliarden Euro Investitionsstau und wollen das mit 10 Milliarden Euro auflösen,
(Jörn König [AfD]: Doch nur vom Bund, Herr Özdemir!)
sehen aber nicht, dass die kommunalen Kassenkredite – 51 Milliarden Euro alleine in Nordrhein-Westfalen, 13 Milliarden Euro in Bayern – in der Summe bundesweit über 100 Milliarden Euro betragen. Ich frage mich, wie das eigentlich alles gehen soll, wenn wir nicht die kommunalen Investitionseinheiten wieder ertüchtigen, wenn wir nicht die Kommunen in die Lage versetzen, das zu tun, wofür sie eigentlich da sind: kommunale Daseinsvorsorge zu betreiben für Jugend, für Sport, für Kultur.
Da muss man auch sehen: Ein Altschuldenfonds, der so, wie Olaf Scholz ihn vorschlägt, allerdings von Nordrhein-Westfalen ablehnt wird, ist genau das richtige Mittel. Ein Altschuldenfonds, der unsere kommunalen Investitionseinheiten wieder auf die Schiene setzt, um in Sport, Jugend und Kultur zu investieren, ist der richtige Weg.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kollege Özdemir, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Hahn?
Ich würde gerne noch im Zusammenhang vortragen, bitte.
Breitensport – wichtiges Thema. Wir haben für den Breitensport Programme aufgelegt. Kollege Gienger hat das gerade in vielfältiger Hinsicht dargelegt, und ich bin froh, dass sich die Union in vielen Punkten, zu denen sie bislang beim Thema Sport in der Öffentlichkeit stumm war – zum Beispiel im Hinblick auf Kinder und Jugendliche, Sport draußen und bei den sportartunabhängigen Überbrückungshilfen –, geäußert hat. Jetzt komme ich zu meinem Schlagwort „Disziplin“: Wir haben nicht nur Programme aufgelegt, wir hatten auch den Mut und die Traute, Programme, die nicht richtig laufen, weiter anzustoßen. Die Umsetzung beim Projektträger Jülich ist zum Beispiel immer wieder mal in der Kritik gewesen. Da haben wir nachgearbeitet, da sind wir dran. Diese Disziplin würde ich mir, ehrlich gesagt, auch vom Bundeswirtschaftsministerium wünschen,
(Johannes Steiniger [CDU/CSU]: Ach Gott!)
das im April immer noch von Novemberhilfen redet. Während das Bundesfinanzministerium Hilfen in Milliardenhöhe auflegt, verhält sich das Bundeswirtschaftsministerium immer noch wie eine Sparkasse, die einen Kredit für ein undurchsichtiges Start-up gewähren soll, obwohl die Hilfen auf der Straße liegen.
Ich würde mir wünschen, dass wir die Ausgabereste von Coronahilfen dafür verwenden, dass wir miteinander die Sportallianz Deutschland schmieden. Das Bundesinnenministerium als Sportministerium ist da schon auf einem guten Weg. Ich würde mir wünschen, dass sich das Bundesministerium für Gesundheit dazugesellt, damit wir diese Sportallianz Deutschland miteinander schmieden können, um fit aus der Krise zu kommen, um wieder rausgehen zu können, wir also Sport und Gesundheit verzahnen. Dafür müsste sich ein Gesundheitsminister auch mal die Reden hier im Parlament anhören und einsehen, dass Sport und Gesundheit eine Einheit sind
(Dagmar Freitag [SPD]: Sehr richtig!)
und eben keine Widersprüche. Diese Ansicht lag beispielsweise dem zugrunde, was er bei der Krankenkassen-Werbemaßnahmen-Verordnung gerne gehabt hätte, wodurch dann Milliarden Euro aus dem deutschen Sport herausgezogen worden wären. Das geht so nicht, Herr Spahn!
(Beifall bei der SPD)
Die Realität ist: Unsere Kinder haben einen Bewegungsmangel. Aber es sind nicht nur die Kinder, es sind auch die Seniorinnen und Senioren, die auf ihren Rehasport warten, der möglicherweise mit guten Lüftungskonzepten tatsächlich möglich wäre. Wir als SPD-Bundestagsfraktion setzen uns dafür ein und wollen erreichen, dass der Sport draußen wieder möglich ist, dass Individualsport und Breitensport nicht irgendwelchen Regelungen untergepflügt werden. Wir wollen vielmehr, dass Kinder und Jugendliche inzidenzunabhängig draußen kontaktlos wieder Sport treiben können. Das ist keine Altersfrage, das ist eine pädagogische Frage. Man kann dem Kind in der Kita, dem Schulkind, aber auch dem Jugendlichen erzählen, dass er im Freien Sport machen soll, dabei aber Abstand halten soll.
Wir müssen die Kinder wieder rausholen aus den Wohnungen, wo sie mit drei Geschwistern zusammensitzen, fünf, sechs Stunden lang Homeschooling machen und am Ende des Tages auf ihre Inlineskates, ihr Skateboard gucken und Mutter und Vater ihnen sagen müssen: Das geht jetzt gerade nicht. Du darfst einmal um den Block spazieren gehen, aber du darfst keinen Sport treiben. – Das geht so nicht.
(Beifall bei der SPD – Dr. Rainer Kraft [AfD]: Ja, wer hat es denn gemacht?)
Schließlich – um auf die Grünen noch mal zu sprechen zu kommen – zum Transparenzportal. Das ist eine gute Sache; es klingt auch gut. Aber richtig geht es folgendermaßen: Athleten Deutschland ist eine Institution, auf die man sehr stolz sein kann, wie ich finde. Wir haben mit einer Förderung dieser Athletenvertretung dafür gesorgt, dass wir mehr Transparenz in die Sportfachverbände und auch ein Stück weit in den DOSB bekommen. Wir sehen so, wie die Verteilung ist, und sorgen mit Sportlern, mit Sportlerinnen dafür, dass die Mittel auch an die richtigen Stellen kommen. Dies gelingt nur, wenn wir die Werte des Grundgesetzes am Ende des Tages auch leben und mündige Athletinnen und Athleten haben, die ihre Meinung nicht hinterm Berg halten, sondern damit rausgehen. Deshalb muss man – jetzt neigt sich meine Redezeit überraschend dem Ende zu – eine solche Organisation weiter in die Lage versetzen, diese Transparenz zu unterstützen und auf den Weg zu bringen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Die Anträge der Opposition lehnen wir natürlich ab.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Herr Kollege Özdemir, auch für die Beachtung der roten Ampel. Es ist nicht üblich in diesem Haus, aber immerhin.
(Heiterkeit – Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD]: Wenn Sie sich auch mal an eine Ampel halten würden! – Heiterkeit)
– Ich kann Ihnen immer wieder sagen: Wenn die Ampel auf Gelb springt, dann fahre ich los.
(Heiterkeit)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Dassler, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7515328 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 221 |
Tagesordnungspunkt | Sportstätten, Breitensport |