Ralph BrinkhausCDU/CSU - Bevölkerungsschutzgesetz
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Egal wie man zur Pandemie steht, kann man, glaube ich, eines sagen: Alle Kolleginnen und Kollegen haben in den letzten 13 Monaten viel Zeit verbracht mit Einzelhändlern, mit Gastronomen, mit Familien, die verzweifelt waren, weil sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken konnten, und mit vielen anderen, die von der Pandemie betroffen sind. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Mich bringt das manchmal um den Schlaf. Aber wenn ich nachts wach werde, dann denke ich nicht an Einzelhändler oder Gastronomen, sondern an die Menschen, die krank geworden sind, und an die Menschen, die sterben.
Ich bin dem Bundespräsidenten sehr dankbar dafür, dass er diesen Menschen letzten Sonntag ein Gesicht gegeben hat.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin auch den Medien sehr dankbar, dass sie das mit vielen sehr berührenden Geschichten unterstützt haben und dass sie mal gezeigt haben, wie es ist, wenn man unter Long Covid leidet, welche Einschränkungen das mit sich bringt, und dass man Enkelkinder interviewt hat, die ihre Großeltern verloren haben – ja, auch alte Menschen sind wertvoll; das ist wertvolles Leben –: Das ist Verlust, das ist Leere, das ist Trauer. Für junge Menschen gilt das natürlich genauso.
Meine Damen und Herren, wir diskutieren hier sehr viel über das Grundgesetz. Das ist richtig so; das ist auch überhaupt nicht zu kritisieren. Aber dieses Grundgesetz enthält Artikel 2 Absatz 2, und darin steht: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist unsere Aufgabe als Abgeordnete des höchsten Verfassungsorgans, dieses Leben zu schützen, Leben und Gesundheit zu schützen. Das ist mein Anspruch an Politik, und das ist der Grund, warum ich in die Politik gegangen bin. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Leben und Gesundheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind gefährdet. Das hat uns nicht nur Professor Marx von der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin gesagt. Auch viele andere haben gesagt: Ihr müsst jetzt handeln! – Wir sind in einer Situation, wo nicht nur die Intensivmedizin überlastet ist, wo das gesamte Gesundheitssystem überlastet ist. Wir sind in einer Situation, wo zu viele Menschen krank werden und wo zu viele Menschen sterben. Deswegen ist es notwendig, dass wir hier und heute handeln.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage ganz bewusst „wir“, weil wir als Deutscher Bundestag gefragt sind. An diesem Rednerpult haben Dutzende von Rednerinnen und Rednern gestanden, die gesagt haben: Der Deutsche Bundestag muss die Entscheidungen treffen, es darf nicht die Ministerpräsidentenkonferenz tun. Der Bundestagspräsident hat es uns ins Gebetbuch geschrieben. Auch Verfassungsrechtler haben das gesagt. Ich glaube, wir waren immer korrekt in der Vergangenheit. Aber jetzt ist die Zeit, dass der Deutsche Bundestag entscheidet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])
Wer sagt, die Ministerpräsidentenkonferenz könne sich ja nicht einigen und tage ja auch zu lange, dem müssen wir zeigen: Wir sind in der Lage, uns zu einigen. Wir sind in der Lage, auch Kompromisse hinzubekommen.
Wir als Unionsfraktion haben zusammen mit unserem Koalitionspartner diesen Gesetzentwurf im Laufe des Verfahrens noch mal geändert, um Brücken zu bauen für all diejenigen, die kritisch sind. Aber über diese Brücken muss man jetzt auch hinübergehen. Und über diese Brücken hinüberzugehen, heißt, Kompromisse zu schließen.
Ich sage ganz ehrlich: Wenn ich das Gesetz allein hätte entwerfen können, dann wäre es härter und schärfer geworden. Aber es gebietet der Respekt vor der Mehrheitsbildung, dass man an der einen oder anderen Stelle den Kompromiss eingeht. Und Kompromisse sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke in der pluralen Demokratie.
Ich kann nur jeden aufrufen, zu sagen: Es fällt mir vielleicht an der einen oder anderen Stelle schwer, zuzustimmen, aber dieses Gesetz ist es insgesamt wert, dass es heute durch den Deutschen Bundestag geht. Denn wenn wir heute keine Mehrheit kriegen, dann wird es kein Gesetz geben. Wenn es kein Gesetz geben wird, dann wird es keine Notstandsregelung geben, und wenn es keine Notstandsregelung geben wird,
(Beifall bei der AfD)
dann werden Menschen krank werden, und dann werden Menschen sterben. Und dass die AfD bei diesem Satz klatscht, meine Damen und Herren, zeigt die Fratze, die diese Partei hier in diesem Deutschen Bundestag hat.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Jetzt wird gesagt: Ja, das schränkt den Föderalismus ein. – Nein, dieses Gesetz ist vom hohen Respekt vor dem Föderalismus geprägt,
(Lachen bei Abgeordneten der AfD)
weil wir nämlich nicht bei einer Inzidenz von 10 einsteigen – das waren die Inzidenzzahlen letzten Sommer, als wir halbwegs Normalität hatten –, nicht bei 35, was wir selber ins Infektionsschutzgesetz geschrieben haben, nicht bei 50, was wir als Notfallgrenzwert in dieses Infektionsschutzgesetz geschrieben haben, sondern erst bei einer Inzidenz von 100, weil wir den Ländern zutrauen, dass sie es unter 100, regional differenziert mit Experimentierklauseln, mit Tests und vielen, vielen anderen Sachen, hinkriegen. Aber eine Inzidenz von 100 ist auch ganz unabhängig von den anderen Indikatoren so hoch, dass eingegriffen werden muss und dass wir eine bundesweite Regelung brauchen, und die schaffen wir heute, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Schreien Sie doch nicht so! Gottes willen! Nicht, dass der gleich umfällt!)
Dann ist letzte Woche – ich weiß nicht, ob wahrheitswidrig oder versehentlich – behauptet worden, dass dieses Gesetz die Demokratie abschafft. Meine Damen und Herren, nie war so viel Demokratie in der Pandemiebekämpfung wie jetzt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der AfD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Gott, wie lächerlich!)
Es ist so, dass dieser Deutsche Bundestag als höchstes Verfassungsorgan eineindeutig entscheidet: Wenn A passiert, dann muss B die Folge sein.
(Martin Reichardt [AfD]: Dann sind Ausgangssperren also in Zukunft ein Zeichen von Demokratie!)
Da gibt es keinen Spielraum für die Bundesregierung. Das ist Demokratie.
Der zweite Punkt ist: Selbst bei der Rechtsverordnung, die die Bundesregierung erlassen kann, ist es so, dass wir noch mal nachgebessert und gesagt haben: Diese Rechtsverordnung bedarf der Zustimmung des höchsten deutschen Verfassungsorgans, des Deutschen Bundestages. – Und wenn da jemand sagt, dass Demokratie geschleift wird, dann frage ich mich: Hat er dieses Gesetz gelesen, oder hat es nicht gelesen?
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Diese künstliche Aufregung ist so lächerlich! Lächerlich alles hier! – Zuruf von der AfD: Schämen Sie sich!)
Oder verbreitet er hier Unwahrheiten, um aufzuhetzen, um populistisch zu sein?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann sich über die eine oder andere Maßnahme durchaus streiten; das ist auch gemacht worden, das ist überhaupt keine Frage. Jetzt wurde in der letzten Debatte, in der ersten Lesung, gesagt: Aber da muss man sich jetzt rausimpfen. – Ja, natürlich muss man sich rausimpfen. Und wir werden auch besser; Jens Spahn wird es gleich in seiner Rede sagen.
(Stephan Brandner [AfD]: Was Sie nicht alles wissen!)
Aber das wird für die nächsten Wochen nicht reichen. Da brauchen wir zusätzliche Maßnahmen.
Und dann wird gesagt: Das kriegen wir mit individuellen regionalen Testkonzepten hin. – Testen ist gut, Testen ist wichtig, Testen ist richtig; das ist überhaupt keine Frage. Aber mir ist kein Land bekannt, das sich von hohen Inzidenzzahlen runtergetestet hat. Am Anfang stand immer der Lockdown, und dann wurde getestet und regional gearbeitet. Deswegen brauchen wir diese Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen wollen.
In der Debatte eben ist – auch von Herrn Korte; ich glaube, er hat es nicht so gemeint – gesagt worden: weil das und das in diesem Gesetz schlimm ist. – Oder in der ersten Lesung ist gesagt worden: Weil die Bundesregierung – ich halte das für falsch – nicht genügend Impfstoff beigebracht hat, weil nicht genügend getestet worden ist, können wir jetzt diesem Gesetz nicht zustimmen. Weil die Arbeitgeber nicht entsprechend belastet sind, können wir jetzt diesem Gesetz nicht zustimmen. – Herr Korte, wen wollen Sie bestrafen? Wen wollen Sie bestrafen? Wollen Sie alle bestrafen, weil Sie diesem Gesetz nicht vollumfänglich zustimmen können?
(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist unredlich! Das ist unredlicher Unsinn!)
Es geht jetzt nicht um politische Vorteile, sondern es geht um die Gesundheit von den Menschen in diesem Land, und das sollte uns leiten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Unsinn! Gibt’s eine Testpflicht oder nicht? Die Schüler müssen getestet werden!)
Ich sage Ihnen eins: Dieses Gesetz ist notwendig. Dieses Gesetz muss hier im Deutschen Bundestag verabschiedet werden und nirgendswo anders. Dieses Gesetz respektiert den Föderalismus. Dieses Gesetz berücksichtigt, dass wir mehr impfen und dass wir mehr testen, und deswegen ist es begrenzt auf den 30. Juni. Dieses Gesetz ist nach unserer festen Auffassung, nach fester Auffassung des Bundesinnenministers und der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz auch verfassungsgemäß.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe wirklich eine herzliche Bitte. Wir werden – das wird Jens Spahn gleich noch erläutern – mit einer unglaublichen Dynamik im Bereich Impfen in diesem Sommer aus dieser Pandemie rauskommen und viel, viel Normalität wieder zurückbekommen. Aber bis dahin ist es unsere Entscheidung hier im Deutschen Bundestag, wie viele Menschen erkranken und vielleicht auch sterben.
(Zuruf von der AfD: Blödsinn!)
Deswegen kann ich Sie nur um eins bitten: Dieses Gesetz ist ein Gesetz fürs Leben. Dieses Gesetz beruht auf Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes. Bitte stimmen Sie diesem Gesetz zu! Stimmen Sie für das Leben! Treffen Sie dann auch die entsprechende Entscheidung, auch wenn es schwerfällt, in der zweiten und dritten Lesung! Ich habe wirklich die ganz, ganz herzliche Bitte: Schützen Sie Leben! Stimmen Sie zu!
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Jetzt erteile ich das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der AfD, Dr. Alexander Gauland.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7516481 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 223 |
Tagesordnungspunkt | Bevölkerungsschutzgesetz |