Helge LindhSPD - Vereinbarte Debatte - Suizidhilfe
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin hier ganz kurzfristig eingesprungener Redner. Viel berechtigter als ich wäre einer der Initiatoren eines der Gesetzentwürfe, die im Raum stehen, Karl Lauterbach, der aber heute nicht teilnehmen kann. Deshalb werde ich, der gerungen hat um diese Position, das etwas tentativer und vielleicht zögernder zu tun, diesen Gesetzentwurf begründen. Ich stelle fest: Es tut unserem Parlament, glaube ich, auch gut, dass wir eine sehr ernsthafte und würdevolle Debatte quer über die parteipolitischen Grenzen hinweg führen.
Ich könnte es mir einfach machen und das Beispiel einer Person anführen, für die die aktuelle Situation als Sterbewilliger unerträglich ist und vor grausame Hürden stellt, um meine Position zu begründen. Aber ich tue das bewusst nicht. Ich nenne als Beispiel eine Frau, die ich seit vielen Jahren begleiten darf, seit sie nach Deutschland gekommen ist, deren Eltern wir, als sie dem Tode wirklich nahe war, hergeholt haben, die infolge einer Genmutation erst ein Glioblastom hatte und viele weitere Krebserkrankungen und die, wie sie nur kann, darum kämpft, zu leben. Es wäre für sie unvorstellbar, selbst aus dem Leben zu scheiden oder sich dabei assistieren zu lassen. Man muss das zutiefst respektieren und bei jeder Gesetzgebung dafür sorgen, dass sie gerade in dieser Entscheidung frei ist.
Aber es gibt auch jene, die das anders sehen. Ich glaube, es steht uns nicht zu, Maßstäbe zu entwickeln und anzunehmen, dass deren Selbstbestimmung keine wirkliche Selbstbestimmung ist. Das finde ich anmaßend. Es gibt aber auch die andere Situation. Wir müssen uns verdeutlichen, dass Menschen aufgrund der gegenwärtigen Lage – darauf bezieht sich ja auch der Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes – in die unerträgliche Situation gebracht werden, sich Medikamente zu beschaffen.
Ziel sollte es einerseits sein – deswegen befürworte ich eine entsprechende Gesetzgebung zur Suizidhilfe –, die Organisationen, die es gegen Bezahlung machen, aus dem Weg zu räumen. Das müsste aus meiner Sicht auch Ziel eines solchen Weges sein: legale Wege zu schaffen,
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
autonom, im Vollbesitz seiner Kräfte frei entscheiden zu können, aber auch mit einer entsprechenden Beratungsinfrastruktur. Die halte ich nicht für trivial, sondern für ernsthaft. Wir haben ja Fälle, wo Beratung funktioniert. Ich finde es falsch, das einfach so abzutun. Das ist keineswegs eine Aufforderung oder ein Anreiz, zu sterben. Andererseits ist auch denjenigen, die assistieren wollen, die Möglichkeit dazu zu geben. Es geht nicht um ein Muss der Assistenz, sondern um ein Dürfen. Es geht auch nicht um eine Verpflichtung.
Diejenigen, die meinen, dass durch eine solche Gesetzgebung ein Automatismus entstehen würde, irren. Ich denke, es liegt an uns als Gesellschaft und als Gesetzgeber, Wege zu finden, denjenigen, die wirklich frei die Entscheidung treffen, sterben zu wollen, das auch zu ermöglichen und gleichzeitig nicht diejenigen unter Druck zu setzen, die das nicht tun wollen.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Deshalb ist diese Gesetzgebung mitnichten deckungsgleich mit dem Schrecken, den wir unter dem falschen und furchtbaren Begriff „Euthanasie“ kennen. Ich glaube – das ist mein letztes Wort –, dass vielleicht gerade bei diesem Thema die Gelegenheit bestünde, noch stärker die Bürgerschaft in Form von Beteiligung einzubeziehen und eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu organisieren; denn es ist eine zutiefst autonome, aber letztlich auch eine gesellschaftliche Frage, über die wir heute sprechen.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Katrin Helling-Plahr [FDP])
Vielen Dank, Herr Kollege Lindh. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wieland Schinnenburg aus der FDP-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7516530 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 223 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte - Suizidhilfe |