Wilfried OellersCDU/CSU - Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich hier zur ersten Beratung des Teilhabestärkungsgesetzes am Rednerpult stand, habe ich das Ziel formuliert, einen guten Gesetzentwurf noch besser zu machen. Ich denke, heute unter dem Strich sagen zu können, dass dies auch gelungen ist. Daher danke ich ganz herzlich zum einen unserem Koalitionspartner, zum anderen aber auch dem BMAS für die konstruktive Zusammenarbeit.
Lassen Sie mich aus der Fülle der Themen, die wir in dem Gesetzgebungsverfahren zu beraten hatten und beraten haben, drei wesentliche Punkte herausheben, die uns als Unionsfraktion wichtig waren:
Erstens. Wir präzisieren die mit dem Regierungsentwurf neu geschaffenen Regelungen für Menschen mit Behinderungen, die sich in Begleitung durch einen Assistenzhund oder Blindenführhund befinden. Wir stellen eine einheitliche Verwendung der Bezeichnung „Assistenzhund“ auch für Blindenführhunde sicher. Weiterhin stellen wir klar, dass nur solche Tiere von der neuen Zertifizierungspflicht ausgenommen werden, die innerhalb der im Gesetz genannten Frist voll ausgebildet worden sind. Damit haben wir zwei wichtige Anliegen der Assistenzhundeverbände aufgenommen.
Zweitens. Eine besondere Freude ist es mir, dass sich ein weiteres Anliegen, das wir als Unionsfraktion schon längere Zeit formuliert haben, nun im Gesetz wiederfindet: Es handelt sich um die Ansprechstellen für Arbeitgeber. Sie sind für Betriebe, die Menschen mit einer Behinderung beschäftigen wollen, ganz, ganz wichtig und haben das Ziel, diese Unternehmen zu begleiten, zu beraten und über die komplexen Fördermöglichkeiten und die rechtlichen Rahmenbedingungen zu informieren, die bestehen, wenn ein Mensch mit Behinderung beschäftigt werden möchte. Sie sollen aber auch auf Unternehmen zugehen, und zwar insbesondere auf die Unternehmen, die noch keine Menschen mit Behinderungen beschäftigen – Frau Kollegin Tack sagte es eben schon: es sind viel zu viele –, um Unternehmen gewinnen zu können, Menschen mit einer Behinderung zu beschäftigen. Diesen Weg halten wir für den integrativeren Weg, als mit dem Instrument der Erhöhung der Ausgleichsabgabe zu arbeiten. Es geht hier darum, Anreize zu schaffen, statt Sanktionen auszusprechen. Denn gerade kleinere Betriebe sind oftmals überfordert, diese komplexen Vorgänge zu kennen, zu erkennen und zu erledigen. Dies hat die Anhörung auch gezeigt.
Herr Kollege Oellers, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Gerne.
(Sören Pellmann [DIE LINKE], an die Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Ob du auch eine Antwort kriegst?)
Ich hoffe darauf, Herr Pellmann. – Ich will wirklich auf diesen Punkt noch mal eingehen, weil ich finde, dass Frau Tack das richtig ausgeführt hat. Das sind ja nicht ein paar Unternehmen, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen, sondern es sind 25 Prozent. 25 Prozent aller beschäftigungspflichtigen Unternehmen stellen niemanden mit Schwerbehinderung ein. Wir haben komplexe Anträge vorgelegt, die wirklich zu einer Lösung führen würden. Auch wir sind der Meinung, dass Arbeitgeber/‑innen eine Beratung innerhalb dieses Systems brauchen, das man nicht so ganz einfach durchschauen kann.
Aber ich glaube jetzt – auch Herr Heil kommt ja zu dem Ergebnis –, dass nach all den vielen Jahren, in denen wir darauf gewartet haben, dass die Unternehmen der Beschäftigungspflicht nachkommen, wir doch nicht weiter sagen können: „Wir lassen diese vielen Menschen auf dem Trockenen sitzen“, bis Sie irgendwann mal so weit sind, einzusehen, dass immer nur Bereitschaft einzufordern – und wir müssen beraten –, nicht ausreicht. Vielmehr haben die Leute ein Recht darauf, inklusiv beschäftigt zu werden, und wir müssen jetzt endlich hier tätig werden.
Herr Oellers, sagen Sie doch mal: Was hindert Sie denn eigentlich daran, hierfür eine Lösung zu finden, die Ausgleichsabgabe tatsächlich zu einem effizienten Instrument zu machen? Das ist ja geltendes Recht. Die Betriebe müssten das tun, sie tun es aber nicht. Sie verhalten sich nicht rechtskonform. Das können wir doch als Staat nicht weiterhin einfach so durchgehen lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])
Zum einen: Wenn Sie eine grundsätzliche Erhöhung der Ausgleichsabgabe ansprechen, dann will ich Ihnen sagen, dass eine solche sowieso automatisch aus gesetzgeberischen Gründen jetzt wieder erfolgt. Das heißt, sie wird sowieso stetig erhöht. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Wenn Sie sagen, wir hätten doch immer schon beraten und getan und gemacht, dann möchte ich Ihnen an dieser Stelle widersprechen, weil es Beratungsangebote und Unterstützungsangebote in dieser Form, wie wir sie jetzt mit den Ansprechstellen einführen, eben gerade noch nicht gibt.
Zu den Unternehmen, die keine Menschen mit Behinderung beschäftigen – es sind 25 Prozent; das sind zu viele, da gebe ich Ihnen vollkommen recht –, möchte ich Ihnen sagen: Das sind in den allermeisten Fällen Betriebe, die zwischen 20 und 60 Mitarbeiter beschäftigen. Das sind kleine Unternehmen, die keine eigene Personalabteilung, kein personelles Know-how haben, um diese komplexen Dinge zu begleiten. Deswegen halte ich und halten wir als Unionsfraktion es für wichtig, dass wir die Unternehmen an dieser Stelle begleiten und nicht sagen: Wir führen eine weitere Stufe ein. – Ich möchte auf das Projekt Unternehmens-Netzwerk Inklusion verweisen. Dieses Projekt hat gezeigt, dass es wichtig und richtig ist, auf Unternehmen zuzugehen, und dass man damit auch Erfolg hat. Diesen Weg, denke ich, sollten wir weiter beschreiten. Er ist mühsam – zugegeben –; aber um Akzeptanz zu erreichen, und zwar auch auf der Seite der Unternehmer, halte ich das für den besseren Weg, als mit der Sanktionskeule zu schwingen.
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, und zwar die Betreuung von Rehabilitanden in Jobcentern. Hier wollen wir die bereits bestehenden Leistungen insoweit weiterentwickeln, als wir es den Rehabilitationsträgern erschweren, aus einer Teilhabeplankonferenz auszusteigen, und wir stärken die Entwicklung von Qualifizierungs- und Schulungsangeboten für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jobcentern.
Es gibt aber auch einige Punkte – das muss man ganz klar ansprechen –, die wir gerne umgesetzt gesehen hätten, die aber leider keinen Eingang in den Gesetzentwurf gefunden haben. Ich nenne als Stichwort „Assistenz im Krankenhaus“, ein ganz wichtiges Thema. Es ist dringend eine Regelung zu finden, wie die Begleitung für Menschen mit Behinderung in Krankenhäusern finanziert wird. Wir sind uns alle einig, dass das geregelt werden muss. Die streitige Frage ist allerdings, wie das finanziert werden soll. Wir sprechen uns dafür aus, dass diese Kosten über die Träger der Eingliederungshilfe abgerechnet werden müssen, die als Kostenträger für Menschen mit Behinderungen hauptsächlich für Rehaleistungen zuständig sind. Dafür plädierte auch der Sachverständige Grosch in der Anhörung. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und damit auch von allen zu zahlen und nicht nur von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil, SPD-Fraktion?
Gerne.
Herr Kollege Oellers, da uns das Thema der Krankenhausassistenz gemeinsam am Herzen liegt und im Ausschuss auch verschiedentlich darüber gesprochen wurde und wir hier wirklich ein handfestes Problem haben, würde ich Sie bitten, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen, und Sie fragen, ob Sie diesen Weg mitgehen können: Wir können das Spiel, die Zuständigkeit zwischen Eingliederungshilfe und gesetzlicher Krankenversicherung hin- und herzuschmeißen wie eine heiße Kartoffel, ewig weiterspielen. Das geht allerdings zulasten der betroffenen Menschen.
(Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Da geht es übrigens nicht nur um Menschen mit Behinderung; es geht auch um Seniorinnen und Senioren, wenn wir die Frage aufwerfen, ob das ordnungspolitisch zur Eingliederungshilfe gehört. Sind Sie bereit, festzustellen, dass wir einen Kompromissvorschlag gemacht haben und die CSU-Landtagsfraktion in Bayern eindeutig gesagt hat, dass das Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist? Wenn wir hier markig zugunsten der Eingliederungshilfe antreten – unabhängig davon, dass das ordnungspolitisch nicht stimmt – und dann im Bundesrat keine Mehrheit bekommen, einfach weil die Länder das zu zahlen hätten, wäre es doch besser, dieses Problem zügig zwischen Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik und Behindertenpolitik zu lösen, indem wir einen Kompromiss finden zwischen Eingliederungshilfe und gesetzlicher Krankenversicherung.
Könnten Sie mithelfen, dass wir hier aus den Schützengräben rauskommen und diesen Kompromiss durchsetzen? Das würde Menschen nämlich wirklich helfen und nicht die uneindeutige Position an dieser Stelle.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Margarete Bause [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Herr Minister, vielen Dank für diese Zwischenfrage. Ich habe meine Position dazu gerade schon geäußert. Das Problem der Kostenübernahme stellt sich im Bereich der behindertenpolitischen Themen ja leider Gottes nicht nur an dieser Stelle. Aber wir müssen uns schon die Frage stellen: Wer zahlt es zuständigkeitshalber? Ich vertrete die Auffassung, dass es die Träger der Eingliederungshilfe sein müssen, weil es dann die Gemeinschaft der Steuerzahler zahlt und nicht allein die Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenversicherung. Von Länderseite ist es natürlich leicht, zu sagen – das kann ich von deren Seite auch verstehen; als Träger der Eingliederungshilfe wäre das über die Länder zu finanzieren –: „Das mögen bitte die gesetzlichen Krankenkassen finanzieren“; denn dann liegt der Spielball beim Bund. Ich würde allerdings darum bitten, dass sich die Ländervertreter bzw. die Träger der Eingliederungshilfe auch ihrer Verantwortung bewusst werden. Sie können gerne dazu beitragen, dass vielleicht auch von deren Seite mehr Verständnis dafür aufgebracht wird, diese Kosten zu tragen. Ich finde, das muss man dann schon in dieser Deutlichkeit auch mal sagen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen. Bei der Assistenz im Ehrenamt hätten wir auch gerne eine Lösung gefunden. Hier gibt es den Vorschlag, dass zunächst die Unterstützung im Familienkreis und Freundeskreis angefordert werden sollte. Das konnten wir politisch leider nicht durchsetzen; das wäre unser Wunsch gewesen.
Es bleibt weiterhin einiges zu tun; die Debatte heute hat das gezeigt. Insgesamt freue ich mich aber, dass wir einen weiteren Schritt Richtung Teilhabe gehen.
(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch traurig!)
Ich denke, dass dies ein würdiges nachträgliches Geschenk zum zwölften Geburtstag der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland ist.
(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geschenk können Sie behalten!)
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Oellers. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Jens Beeck, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7516688 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 224 |
Tagesordnungspunkt | Teilhabe von Menschen mit Behinderungen |