22.04.2021 | Deutscher Bundestag / 19. EP / Session 224 / Tagesordnungspunkt 17

Elisabeth MotschmannCDU/CSU - Kulturelle Identität

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD möchte einen kulturellen Aktionsplan auf den Weg bringen. Hätten Sie es lieber nicht getan! Ihren Plan braucht wirklich niemand. Ihr Plan ist dürftig.

Schon die Eingangsthese ist falsch. Sie behaupten, dass eine Identitätsbildung zunehmend verunmöglicht sei wegen der Denunzierung des eigenen Herkommens und der eigenen Geschichte. Das Herkommen und die eigene Geschichte werden von niemandem in diesem Land denunziert oder geleugnet. Vielleicht machen Sie einmal einen Spaziergang durch Berlin. Hier gibt es so viele Erinnerungsorte unserer Geschichte wie in keiner anderen Stadt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir planen und bauen sogar neue Denkmäler im Hinblick auf unsere Geschichte, wie das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das Denkmal für die Opfer der SED-Diktatur, das Polen-Denkmal oder das Dokumentationszentrum für die Opfer der Nazidiktatur.

(Beifall der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])

Nein, wir stellen uns unserer Geschichte; wir arbeiten sie auf. Ihr Blick auf unsere Geschichte ist hingegen selektiv, falsch und eindimensional.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Davon haben wir im Laufe des Tages einige Kostproben bekommen. Ich möchte einige Punkte nennen:

Erstens. Sie beklagen eine „Kulturrevolution“, die ihre Wurzeln in den 1960er-Jahren mit der Studentenbewegung und der Frauen- und Homosexuellenbewegung hat. Diese Bewegungen haben – das will ich hier so deutlich sagen – unserem Land aber einen Erneuerungsschub gegeben, den wir dringend brauchten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Marc Jongen [AfD]: Wo ist die geistig-moralische Wende geblieben? – Weiterer Zuruf von der AfD: Helmut Kohl würde sich im Grabe umdrehen!)

Der Muff von 1 000 Jahren unter den Talaren musste raus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Manches war sicher auch kritikwürdig und übertrieben; das würde ich gar nicht bestreiten.

(Zuruf von der AfD: Aha!)

Aber insgesamt waren diese Bewegungen positiv.

(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zweitens. Sie behaupten, dass die massenhafte Zuwanderung aus kulturfremden Regionen unsere eigene kulturelle Prägung „verflüssigt“ habe. Diese Aussage ist unfassbar und dumm.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN und des Abg. Hartmut Ebbing [FDP])

Diese Migranten, die zugewandert sind, die Alice Weidel als „alimentierte Messermänner“ oder als „Kopftuchmädchen“ bezeichnet, kommen aus Ländern und Regionen mit Hochkulturen,

(Beifall der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE] und Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

mit Kulturen, die älter sind als unsere und die heute unser Land bereichern.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

„Kulturfremde Regionen“: Vielleicht reisen Sie mal durch Asien oder Afrika; dann werden Sie viele beeindruckende kulturelle Orte finden.

(Simone Barrientos [DIE LINKE]: Die besuchen nur Despoten!)

Wir stellen ihre Exponate übrigens sogar aus. Ein Gang zur Büste der Nofretete würde sich lohnen.

Drittens. Sie werfen uns Gedächtnisverlust im Hinblick auf die eigene Identität und Mangel an Bildung vor. Was für eine Arroganz! Wer selbst so viel Nachholbedarf hat, sollte nicht mit dem Finger auf andere zeigen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Hartmut Ebbing [FDP])

„Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen“, ist ein altes Sprichwort.

(Uwe Schulz [AfD]: Dann lassen Sie es doch sein!)

Viertens. Ihr Kulturbegriff ist völlig verengt. Ein Aktionsplan Kultur kann sich eben nicht nur auf die Erinnerungsgeschichte, die Architektur und die Museen beziehen, so wichtig diese Themen auch sind; ich würde das nicht bestreiten. Es fehlen aber Literatur, Theater, Musik, Film, Tanz, die Klubkultur; da gibt es so vieles, was Teil der lebendigen Kulturszene in Deutschland ist. Das alles ist in Ihrem Plan gar nicht enthalten. All das gehört auch zu unserer reichen, lebendigen Kulturlandschaft, um die uns viele, viele beneiden und die übrigens ein Anziehungspunkt für Millionen von Touristen ist.

Ich komme zum Schluss zur Sprache. Sie wünschen sich eine Deutsche Akademie für Sprache und Kultur als Pendant zur Académie française in Paris. Sie erhoffen sich eine ähnliche Pflege der Sprache. Ich empfehle Ihnen, selbst erst mal Ihre Sprache zu pflegen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Simone Barrientos [DIE LINKE]: Jawoll!)

Vielleicht befleißigen Sie sich selbst einmal einer gepflegten Sprache. Die Verrohung der Sprache ist ein Merkmal Ihrer Partei. Wenn Sie von „Drecksack“, „Antifa-Kindern“, „bekifften Eltern“, von „Merkel-Nutte“ oder „auf Leichen pissen“ sprechen,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Wir reden nicht von „Merkel-Nutte“! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind alles Zitate von Ihnen!)

ist es kaum zu glauben, –

Frau Kollegin, die Zeit ist abgelaufen.

– dass uns diese Fraktion ernsthaft zur Pflege und Bewahrung der Sprache auffordert, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ihre Anträge lehnen wir natürlich ab.

Vielen Dank. – Der Kollege Martin Rabanus gibt seine Rede zu Protokoll.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Hartmut Ebbing [FDP] und Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Der Beifall ist berechtigt. – Ich schließe die Aussprache.

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Electoral Period 19
Session 224
Agenda Item Kulturelle Identität
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