Bernd RützelSPD - Tarifbindung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man kann es gar nicht oft genug sagen, und man kann es auch gar nicht oft genug hören: Beschäftigte haben es ohne Tarifvertrag wesentlich schwerer – wenn überhaupt –, ihre eigenen Interessen durchzusetzen.
Lieber Kollege Kartes, nichts kommt doch von selbst. Das, was wir haben, ist nicht vom Himmel gefallen; das wurde über lange Zeit erstritten, erkämpft und erarbeitet. Deswegen bin ich froh, dass wir heute über diese Anträge hier an dieser Stelle sprechen können. Denn dadurch wird sehr deutlich, wo die Schnittmengen liegen und wo die Differenzen sind.
Pascal Meiser hat das Thema schön erläutert; Klaus Ernst hätte gerne auch noch mal etwas dazu gesagt. Es ist ja nicht so, dass wir auf diese Ansätze nicht selbst gekommen wären; ich glaube, das passt fast komplett. Aber es ist wirklich schwierig, das umzusetzen; denn der Unterschied zwischen Wollen und Machen oder Können ist groß. Man braucht immer Mehrheiten, und für diese Mehrheiten sollten wir kämpfen und streiten.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Die Tarifbindung ist gesunken. 20 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel sind organisiert, 20 Prozent in der Pflege. Das sind nicht nur Zahlen, sondern daran zeigt sich, dass die Beschäftigten in Bezug auf ihren Aufstieg aus prekärer Beschäftigung sozusagen zementiert sind; das funktioniert nicht mehr. Der Abstand zur wirtschaftlichen Mitte wird größer. Diejenigen, auf die es am meisten ankommt – nicht nur in der Pandemie, sondern auch sonst –, sind oft diejenigen, bei denen am wenigsten ankommt.
Wir müssen immer wieder dafür kämpfen, dass nicht nur der Mindestlohn auf deutlich über 12 Euro steigt – das haben wir letzte Woche debattiert –,
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
sondern wir müssen in dem Zusammenhang auch immer wieder über den Tariflohn diskutieren. Denn: Mindestlohn ist gut, aber Tariflohn ist einfach besser.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben uns ja angestrengt und mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz 2014 nicht nur den Mindestlohn durchgesetzt, sondern auch versucht, mit der Abschaffung des 50-Prozent-Quorums und stattdessen mit dem neuen Merkmal des öffentlichen Interesses die Bildung von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen auf den Weg zu bringen. Aber das ist nicht gelungen; das ist geschildert worden, das ist erklärt worden.
(Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Ja, das ist so.
Noch einmal wäre uns die Allgemeinverbindlicherklärung fast gelungen, nämlich in der Pflege. In der Pflege – das ist ein wunderbares Beispiel – haben der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaften die Erstreckung des Tarifvertrages auf die gesamte Branche beantragt. Dieser wäre für allgemeinverbindlich erklärt worden. Das Ganze ist aber gescheitert, weil einer der größten Player in dieser Branche, nämlich die Caritas, dazu seinen Segen nicht gegeben hat. Eine vertane Chance!
Lasst mich abschließend bitte sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Mitgliedschaften in Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung ist eine unanständige Praxis.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir vergeben sehr viele öffentliche Aufträge mit viel Geld. Gerade in den öffentlichen Aufträgen liegen die Lohnkosten oftmals bei 70 bis 80 Prozent. Deswegen sollten diese Aufträge nur noch an diejenigen vergeben werden, in denen nach Tarif bezahlt wird.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können wir ja ein Bundestariftreuegesetz machen!)
Wir brauchen ein Bundestariftreuegesetz; ein Gesetz, das man aber auch nicht wie die Grünen in Schleswig-Holstein aufweichen darf.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank, Bernd Rützel. – Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Carl-Julius Cronenberg.
(Beifall bei der FDP – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die sozialpolitische Allzweckwaffe!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7516791 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 224 |
Tagesordnungspunkt | Tarifbindung |