22.04.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 224 / Tagesordnungspunkt 20

Stephan StrackeCDU/CSU - Tarifbindung

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Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sozialpartnerschaft in Deutschland ist ein Kernbestandteil unserer sozialen Marktwirtschaft. Nicht der Staat handelt in irgendeiner Weise die Löhne oder die Arbeitsbedingungen aus. Er setzt sie nicht einseitig fest, sondern das ist vorrangig Aufgabe der Tarifvertragsparteien. Das ist Aufgabe von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, diese individuell oder kollektiv auszuhandeln.

Bei diesem Aushandlungsprozess soll es im Grundsatz bleiben; denn das verantwortungsvolle Zusammenwirken der Tarifpartner ist ein starkes Fundament für den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes und hat über Jahrzehnte auch Wohlstand und sozialen Frieden in unserem Land gesichert. Daran halten wir fest.

Wenn wir jetzt die Vorschläge von den Grünen hören, dann merken wir, dass diese feine Balance, die sich mit den Begriffen „Koalitionsfreiheit“ und „Tarifautonomie“ verbindet, letztendlich einseitig verschoben werden soll. Diese Einseitigkeit ist nicht der richtige Weg. Deshalb lehnen wir als Union diese Vorschläge ab. Nur eine funktionsfähige Tarifautonomie sichert Lohngerechtigkeit,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das: „funktionsfähig“? Dass sie nicht eingehalten wird, oder was?)

hat letztlich eine Schutz-, Befriedungs- und Ordnungsfunktion.

Die Mehrheit der Arbeitsverhältnisse in Deutschland, Frau Müller-Gemmeke, wird immer noch durch Tarifverträge gestaltet. Ja, es ist richtig: Die direkte Tarifbindung ist rückläufig, liegt derzeit bei 52 Prozent; vor zehn Jahren lag sie noch bei 59 Prozent. Manche beschreiben das jetzt tatsächlich auch als Krise des Tarifvertragssystems. Ich würde sagen: Das sind Alarmsignale, auf die zu reagieren ist, vor allem vonseiten der Gewerkschaften und der Arbeitgeber. Da geht es vor allem darum, dass man dann auch die Tarifverträge verändern muss: Sie müssen mehr Freiheit, mehr Flexibilität

(Zuruf: Ah!)

für die Betriebe vor Ort eröffnen. Die Öffnung von Flächentarifverträgen für die Betriebsparteien zu erhalten und fortzuentwickeln, ist beispielsweise genau der richtige Weg; er sollte weiter beschritten werden. Ich kann die Sozialpartner in diesem Sinne nur ermutigen.

Wenn wir auf die Tarifbindung blicken, so ist vielleicht auch interessant, zu sehen, dass wir in Bayern beispielsweise für 28 Prozent der Beschäftigten Arbeitsbedingungen haben, die sich am Flächentarifvertrag orientieren. Das heißt, für 80 Prozent der Beschäftigten in Bayern gelten direkt oder indirekt tarifvertraglich geregelte Arbeitsbedingungen. Das zeigt sehr eindrücklich: Die Betriebe sind nach wie vor bereit, die Arbeitsverhältnisse durch tarifvertragliche Regelungen ganz oder zum Teil zu gestalten, und das ist auch gut so.

In der vergangenen Legislaturperiode hatten wir eine Reform der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen. Anstelle eines starren 50‑Prozent-Quorums hinsichtlich der Tarifbindung genügt nun das Vorliegen eines konkretisierten öffentlichen Interesses. Das liegt ja bekanntlich dann vor, wenn der Tarifvertrag in seinem Geltungsbereich für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen eine überwiegende Bedeutung hat. Genau dieses Instrument wollten wir jetzt beispielsweise auch im Bereich der Pflege ziehen. Das ist leider nicht gelungen; Kollege Rützel hat darauf hingewiesen. Das ist sehr schade; denn besonders dort, wo die Tarifbindung gering ist, im Bereich der Pflege, wäre mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung für mehr Verbindlichkeit gesorgt, gerade in diesem Bereich, wo Löhne so unterschiedlich gestaltet sind. Wenn man beispielsweise nach Ostdeutschland oder in den Norden dieser Republik blickt, dann erkennt man im Vergleich zum Süden ein erhebliches Gefälle, was die Lohnstruktur im Bereich der Pflege angeht. Das wollen wir verändern. Deswegen müssen wir darüber reden, wie wir das tatsächlich hinbekommen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie erst mal mit Jens Spahn reden!)

Handlungsbedarf, der über die Reform der Allgemeinverbindlichkeitserklärung hinausgeht, sehe ich tatsächlich nicht; sie ist ein scharfes Schwert.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Stumpfes Schwert!)

Wir müssen immer auch die Sonderrolle der Allgemeinverbindlichkeitserklärung sehen. Bei dieser Sonderrolle soll es auch bleiben.

Der Tarifausschuss hat eine wichtige Kontroll- und Gestaltungsfunktion. Es wäre falsch, diese Kontroll- und Gestaltungsfunktion auszuhöhlen, indem man beispielsweise die Mehrheiten so verschieben würde, wie man sie für eine Abschaffung des Vetorechts bräuchte. Das wollen wir in diesem Bereich nicht.

Deswegen: Die Hauptaufgabe der Sozialpartner liegt darin, für attraktive Strukturen zu sorgen. Das ist ihre vornehmste Aufgabe; darin wollen wir sie bestärken. Deswegen lehnen wir die Vorschläge aus dem Bereich der Opposition ab.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Stephan Stracke. – Letzter Redner in dieser Debatte: für die SPD-Fraktion Michael Gerdes.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7516794
Wahlperiode 19
Sitzung 224
Tagesordnungspunkt Tarifbindung
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