Rainer SpieringSPD - Seefischereigesetz, Saisonarbeitskräfte
Herr Präsident, herzlichen Dank für die lakonische Ankündigung! Man kann gut räsonieren über das schlechte Verhalten von Abgeordneten beim Tragen einer Maske, weil man selbst nie eine tragen muss. Aber gut, das muss ich jetzt demütig zur Kenntnis nehmen.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Uwe Schmidt von hier aus zu grüßen, der diese Rede eigentlich hätte halten sollen. Er liegt in Bremen krank darnieder. Von hier aus herzliche Genesungsgrüße: Uwe, möge es dir bald besser gehen!
(Beifall)
Es geht hier um die Kopplung von zwei Gesetzesvorhaben; das hat der Kollege Abercron schon dargestellt. Ob ich darüber so glücklich bin wie er, lasse ich mal dahingestellt sein. Vielleicht werde ich das gleich noch deutlich machen können.
Das Seefischereigesetz muss aktualisiert werden. Europarechtliche Vorgaben sind von uns umzusetzen; das unterstützen wir nachdrücklich. Insbesondere soll die Fischereiaufsicht seewärts der Bundespolizei und dem Zoll übertragen werden. Meiner Ansicht nach, unserer Ansicht nach ist das der absolut richtige Weg. Außerdem ist eine Anpassung der Datenschutzvorschriften in diesem Bereich notwendig; auch das halten wir für richtig und notwendig. Wir bitten alle, diesem Gesetz zuzustimmen.
Wie von meinen Vorrednern hervorgehoben worden ist, beschäftigt sich der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zudem mit den Regelungen für Saisonarbeitskräfte. Lassen Sie mich dazu in Abwandlung eines Wortes von Leonidas sagen: Wanderer, kommst du nach Spa, berichte, du hättest uns hier stehen sehen, dem Gesetz folgend. – Ich bin mit diesem Gesetzentwurf nicht glücklich, und ich möchte Ihnen auch sagen, warum. Klar ist, dass wir zustimmen werden; aber ich möchte zumindest ein paar Gedanken hierzu vorbringen.
Der Kollege Albert Stegemann hat in der letzten Ausschusssitzung Saisonarbeitskräfte mit Ferienarbeitern verglichen. Nun bin ich selbst ein solcher gewesen; aber ich war selbstverständlich über meine Eltern sozial- und krankenversichert.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)
Wenn ich an meine Jugendzeit zurückdenke, an die großen Fabriken, in denen ich gearbeitet habe, und an die Kolleginnen und Kollegen aus Portugal, Spanien, Italien, die dort gearbeitet haben, dann erinnere ich mich, dass sie einen ordentlichen Lohn bekommen haben und selbstverständlich auch sozialversichert waren. Aufgrund deren Beiträge zur Sozialversicherung ist ein erheblicher Teil unseres sozialen Wohlstandes überhaupt erst entstanden.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Jetzt geht es um die zentrale Frage: Was machen wir hier? Die letzte Zählung des Statistischen Bundesamtes hat ergeben, dass wir 286 000 Saisonarbeitskräfte haben. Vor Einführung des Mindestlohns hat man übrigens auch behauptet, er sei nicht gangbar. Interessanterweise war er gangbar.
(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])
Jetzt macht man Folgendes: Man nimmt einen Bestandteil des Mindestlohns, nämlich den Sozialversicherungsanteil, aus dieser Regelung heraus. Das kann man machen; das ist auch beschlossen. Aber ich wage doch, darauf hinzuweisen, welche Folgen das hat: Der deutschen Sozialversicherungskasse, die im Moment sowieso angeschlagen ist, fehlt ein erheblicher Beitrag. Das Geld wird uns bitter fehlen. Ich kann nur dringend davor warnen, so etwas gesetzgeberisch festzuschreiben bzw. als allgemeinverbindlich zu erklären. Ich stelle mir gerade vor, alle Handwerksmeisterinnen und Handwerksmeister in diesem Land würden diesem Beispiel folgen. Das würde bedeuten, dass die Sozialversicherungskasse massiv an Ertrag verlieren würde. Wer von uns wollte das verantworten?
Zum nächsten Punkt. Woran liegt das eigentlich? Wir beugen uns einem Preisdiktat. Wie lange wollen wir uns diesem Preisdiktat noch beugen? Wie lange wollen wir es zulassen, dass der Preis für wertvolle Lebensmittel, die wir dringend brauchen – Obst und Gemüse gehören zu unserem Alltag –, so gestaltet wird, dass er nicht ausreicht, um von den Erträgen Sozialversicherungsbeiträge für die Beschäftigten zu entrichten? Ich halte das für unser System für hochgradig gefährlich.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Warum macht ihr das dann?)
Es ist darauf hingewiesen worden, das sei der Pandemie geschuldet. Gut. Ich habe für uns gesagt: Wir werden zustimmen. – Dann wird die nächste Saison zeigen, ob es wirklich der Pandemie geschuldet war oder ob es System ist. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat heute dazu eine sehr klare Stellungnahme veröffentlicht, die das sehr genau beschreibt.
Im Gesetzentwurf steht übrigens auch, dass die Regelung erst ab dem 1. Januar 2022 gilt. Das heißt im Klartext: Der Versicherungsschutz, den die Ministerin hier angezeigt hat, kommt dieses Jahr noch nicht zum Tragen. Ich finde das bedauerlich; ich finde das schade.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man dagegenstimmen!)
– Natürlich werde ich als Sozialdemokrat, der dieses Gesetz mit zu verantworten hat, nicht dagegenstimmen. Ich möchte nur aufzeigen, was es mit uns macht.
(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich glaube, dass es absolut Zeit wird, alle Menschen, die in dieses Land kommen, ordnungsgemäß sozialversicherungspflichtig zu entlohnen, mit allem Schutz, den dieses Land bietet.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn ich kann nicht glauben, dass ein Kollege aus Rumänien oder Bulgarien oder die 5 000 Kollegen, die jetzt kommen, beim Schutz von Leib und Leben weniger wert sind als unsere Kolleginnen und Kollegen. Ich mag das nicht glauben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Um es noch mal klarzumachen: Selbstverständlich werden wir zustimmen. Aber dieses Haus wird es ertragen müssen, dass ein Altmoraliker seine Meinung dazu hat. Die habe ich hier vertreten, die ist in meiner Bundestagsfraktion auch bekannt.
Ich glaube, es wird allerhöchste Zeit, dass wir die Spirale umdrehen: Unsere Landwirtinnen und Landwirte müssen für ihre Produkte ordnungsgemäß Geld bekommen – ordnungsgemäß! –,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
damit die Leute, die auf unseren Feldern arbeiten, eine ordentliche soziale Absicherung haben, damit sie ordentlichen Lohn haben und damit sie stolz und aufrecht durch dieses Land gehen können.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Ministerin macht meiner Ansicht nach hier einen Fehler. Denn durch den Vorschlag, den sie gemacht hat, diskreditiert sie eine komplette, ausgesprochen ehrenwerte Branche, um die ich mir sehr Sorgen mache und für die ich hoffe, dass die Menschen in dieser Branche in Zukunft endlich Geld verdienen.
Danke schön fürs Zuhören.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Herr Kollege Spiering. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gero Hocker, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7516836 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 224 |
Tagesordnungspunkt | Seefischereigesetz, Saisonarbeitskräfte |