22.04.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 224 / Tagesordnungspunkt 26

Albrecht GlaserAfD - Reform des Wahlrechts und der Parlamentsarbeit

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Ich kann Sie hören und verstehen. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Überraschung haben wir den Antrag der Koalition von vor zwei Tagen zur Kenntnis genommen, wonach kurz vor Ende der 19. Legislaturperiode eine Wahlrechtsreform konstituiert werden soll. Für die kommende Bundestagswahl kann sie keine Schadensminderung mehr bewirken. Nach neuesten, nicht unkomplizierten Berechnungen, denen unter anderem auch Wahlprognosen zugrunde liegen, laufen wir auf einen Mammutbundestag zu, der zwischen 750 und über 900 Abgeordnete haben wird.

Dies ist allerdings keine Überraschung. Denn im Rahmen der über die vergangenen drei Jahre sich hinziehenden Scheindebatten in diesem Haus zu einer überfälligen Wahlrechtsreform wurde von Sachverständigen für den Fall der ausbleibenden Reform genau dieses Szenario vorausgesagt. Der Ansehensverlust für die Demokratie und diesen Bundestag, auf den der Bundestagspräsident mehrfach hingewiesen hatte und den wir nun angesichts solcher Zahlen kurz vor der Bundestagswahl zu spüren bekommen werden, wurde bewusst von der Koalition herbeigeführt.

Gut 100 Staatsrechtslehrer haben im Herbst vergangenen Jahres öffentlich gemahnt, man werde im Hinblick auf die zentrale Frage der Größe des Bundestages sehen, ob den Abgeordneten das eigene Hemd oder der Rock des Gemeinwohls wichtiger sei. Das Ergebnis, meine Damen und Herren, ist eindeutig.

(Beifall bei der AfD)

Vor diesem Hintergrund muss man wohl die Initiative der Koalition verstehen. Wenn jetzt öffentlich bekannt wird, dass viele Hundert Büros für Abgeordnete und deren Mitarbeiter organisiert werden, dass viele neue Fahrer eingestellt werden und dass jeder zusätzliche Abgeordnete über die gesetzgeberisch vorgesehenen 598 hinaus etwa 500 000 Euro im Jahr an direkten Kosten für den Bundeshaushalt verursacht, dann wird der Volkszorn sich Luft machen. Es geht – ganz nebenbei – bei nur 200 überzähligen Abgeordneten um einen Betrag von 100 Millionen Euro jährlich

(Zuruf des Abg. Friedrich Straetmanns [DIE LINKE])

und 400 Millionen Euro über die Legislaturperiode, und das in den Zeiten des Staatsnotstandes.

Die Antragsteller berufen sich auf die im September eingebrachte, kuriose Vorschrift des § 55 Bundeswahlgesetz, nach der „unverzüglich“ beim Bundestag eine „Reformkommission“ gebildet werden soll, die sich „mit Fragen des Wahlrechts befasst und Empfehlungen erarbeitet“. Als Einzelthemen werden der Reihenfolge nach im Gesetz genannt: das Wahlalter von 16 Jahren, die „Dauer der Legislaturperiode“ und die „Modernisierung der Parlamentsarbeit“. Die Größe des Bundestages, die alle Fachleute für das herausragende Problem halten, kommt als Untersuchungsgegenstand überhaupt nicht vor.

(Zuruf von der AfD: Unglaublich!)

Das ist pure Arroganz der Macht und Mandatsschinderei, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Im Nachgang kommt noch die Idee vor, zu prüfen, ob der Staat den Parteien vorschreiben solle, wie sie unter Geschlechtergesichtspunkten ihre Kandidatenlisten aufzustellen hätten,

(Beifall der Abg. Leni Breymaier [SPD])

also ein Quotenparlament statt gleicher Chancen für jeden Bürger und jede Bürgerin, Abgeordnete zu werden. Das ist das Ansinnen auf einen Verfassungsbruch, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Bis zum Einsetzungsbeschluss mit seiner Unverzüglichkeit hat es sieben Monate gedauert. Die vorgegebene Zeit für einen Zwischenbericht der Kommission soll etwa drei bis vier Monate betragen, sich über den Vorwahlsommer erstrecken und wenige Tage nach der Bundestagswahl enden. Wenigstens kommt im Untersuchungsauftrag die – ich zitiere – „wirksame Begrenzung der Vergrößerung des Bundestages“ vor, jedoch keineswegs eine Zurückführung auf die bisher gesetzlich vorgesehene Größe. Da der Vorgang auch noch unter dem Gesetz der Diskontinuität steht, ist das beabsichtigte Vorgehen eine Farce.

(Zuruf der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Es wird geradezu illustriert – ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident –, warum der jetzige Bundestag keine Reform zustande gebracht hat, und dies, obwohl der paraphierte Entwurf der AfD zur Abstimmung gestellt war, der das Größenproblem perfekt löst.

(Beifall bei der AfD)

Herr Kollege, jetzt müssen Sie bitte zum Schluss kommen.

Einer Farce, meine sehr verehrten Damen und Herren, leihen wir unsere Stimme nicht. Wir lehnen daher dieses Gesetz ab.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Glaser.

(Abg. Konstantin Kuhle [FDP] erhebt sich und wartet auf die Worterteilung)

– Herr Kollege Kuhle, in der Geschäftsordnung steht, dass der Präsident aufruft.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Ich bin ja noch hier! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] an den Abg. Konstantin Kuhle [FDP] gewandt: Geh doch noch mal zurück, Konstantin!)

– Alles gut. Wunderbar.

Nächster Redner ist der Kollege Konstantin Kuhle, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7516851
Wahlperiode 19
Sitzung 224
Tagesordnungspunkt Reform des Wahlrechts und der Parlamentsarbeit
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta