22.04.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 224 / Tagesordnungspunkt 31

Helge LindhSPD - Staatsangehörigkeitsgesetz

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde die Redezeit, die ich hier gerade angezeigt bekomme, nicht ausschöpfen, zum ersten Mal in meinem Leben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir mal sehen!)

– Ich werde trotzdem nicht Mitglied der FDP-Fraktion, trotz großer Sympathie für einzelne Mitglieder derselbigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Gesetzgebung sollten wir, denke ich, insbesondere bestimmten Menschen widmen: Das sind die Opfer des NS,

(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

die ihre Staatsangehörigkeit aus unterschiedlichen Gründen verloren haben; das sind deren Nachkommen, um die es geht; und das sind ganz besonders diejenigen, die – zum Beispiel in der Initiative „Article 116 Exclusions Group“, aber auch Nick Courtman und andere – mit großer Sorgfalt, Sachlichkeit, aber auch Intensität dafür gesorgt haben, dass es zu dieser Gesetzgebung kommen wird. Das ist nicht primär unsere Leistung, sondern das ist ihre Leistung, und dafür verdienen sie höchsten Respekt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE])

Sie haben das auch damals, vor gut anderthalb Jahren, in einer Anhörung sehr beeindruckend demonstriert, nicht mit Schaum vorm Mund, sondern mit einer erstaunlichen Weise von Demut.

Das ist auch eines der Stichworte, auf die ich mich konzentrieren möchte. Die Stichworte lauten Scham, Stolz – aber nicht auf uns, sondern auf diese Personen –, Demut und Konsequenz.

Scham ist deswegen angebracht, weil es so lange gebraucht hat, bis wir diesen Weg jetzt einschlagen werden.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Es ist nicht nachvollziehbar, dass es über viele Jahrzehnte aufgrund administrativer Beschränkungen, aber auch aufgrund fehlender gesetzlicher Möglichkeiten so vielen nicht möglich war, die Staatsangehörigkeit, die sie wünschten, wiederzuerlangen. Es geht, wie man es so gerne bezeichnet, um einen Akt der Wiedergutmachung. Aber auch dieses Wort ist schönfärberisch; denn nichts kann das, was diesen Personen, ihren Eltern, ihren Großeltern widerfahren ist, wiedergutmachen – es ist höchstens die Annäherung an so etwas wie Versöhnung.

Es gibt den Artikel 116 Absatz 2 Grundgesetz, der insbesondere diejenigen erfasst, die die Nachkommen sind von denjenigen, denen die Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Aber ganz viele waren über Jahrzehnte nicht erfasst: diejenigen, die die Staatsangehörigkeit verloren haben, zum Beispiel durch Zwangsmigration, durch Heirat; diejenigen, die sie durch den Unrechtsstaat gar nicht erlangen konnten; diejenigen, die als jüdische Bürgerinnen und Bürger in den annektierten Gebieten lebten; und zum Beispiel diejenigen, die Benachteiligte einer jahrzehntelang anhaltenden geschlechterdiskriminierenden Staatsangehörigkeitspraxis hier in Deutschland waren. All diejenigen haben auf diesen Moment jetzt gewartet.

Seit einiger Zeit haben zwei Erlasse für Besserung gesorgt – auch für diese Personengruppe –, aber sie haben immer noch nicht alle erfasst, und sie haben auch nicht Rechtssicherheit geschaffen. Deshalb ist jetzt tatsächlich der Moment, Scham auszudrücken, für die Taten, auch dafür, dass wir so lange gebraucht haben.

Wir wollen aber auch unseren Stolz ausdrücken, mit welcher Haltung die Nachkommen sich jetzt zeigen und auftreten. Es ist ein Moment, stolz zu sein auf diese Menschen, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden wollen. Das muss man sich einmal vorstellen: Nach dem, was ihren Eltern und Großeltern und Urgroßeltern angetan wurde, wollen sie sich für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden. – Ich glaube, wir haben alles zu tun, um das zu ermöglichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

– Ja, das verdient Applaus.

Wir strengen uns oft an, restriktiv zu sein und zu beschränken, allzu sehr, finde ich. In diesem Moment ist es aber geboten, das Gegenteil zu praktizieren und wirklich alle Wege zu suchen, um all denjenigen, allen möglichen Einzelfällen in diesem Zusammenhang, die deutsche Staatsangehörigkeit zu ermöglichen.

Daher ist es auch ein Moment der Demut; denn wir können zutiefst dankbar sein, dass diese Geste der Versöhnung von Nick Courtman und anderen ausgeht. Das ist nicht etwas, was wir uns verdient haben, sondern das ist ein Entgegenkommen derer, die gelitten haben unter dem NS-Staat, unter dem, was in deutschem Namen getan wurde, sowie ihrer Nachkommen.

Als Letztes das Stichwort „Konsequenz“. Konsequent wäre es gewesen, nach dem Dritten Reich direkt im Staatsangehörigkeitsrecht dafür zu sorgen, dass all diese Verletzungen zumindest annähernd geheilt werden. Das ist uns nicht gelungen. Viele, über die wir jetzt sprechen, mussten erleben, wie sie dann wieder, in Behörden, denjenigen begegneten, die ihre Eltern oder Großeltern misshandelt, gequält und verfolgt hatten; auch das ist ein Teil der Geschichte. Konsequenz bedeutet jetzt, dass wir endlich konsequent sind und die Schlussfolgerungen aus den Erlassen ziehen und das, was wir damals ankündigten, zur Wirklichkeit machen, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren im Sinne der Betroffenen umfassend und erfolgreich beenden.

Wir verneigen uns vor all denjenigen, die um die deutsche Staatsangehörigkeit so lange gekämpft haben und uns auf diesen Weg brachten. Vielen Dank, Nick Courtman, vielen Dank für euer Engagement!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Lindh.

(Zuruf von der FDP: Hat jemand die Zeit gestoppt?)

- 1 Minute und 40 Sekunden hat er uns geschenkt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das Wort geht an die AfD-Fraktion, mit Dr. Gottfried Curio.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7517062
Wahlperiode 19
Sitzung 224
Tagesordnungspunkt Staatsangehörigkeitsgesetz
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