23.04.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 225 / Zusatzpunkt 17

Jana SchimkeCDU/CSU - Arbeitsmarkt Ost

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden heute wieder über eines meiner Lieblingsthemen, nämlich ob das Glas halb voll oder halb leer ist im Osten.

Bedauerlicherweise geht es wieder einmal um einen Antrag der Linken, die immer noch dem Glauben folgt, dass man wirtschaftlichen Erfolg per Gesetz verordnen kann. Sie fordern, im Osten die Tarifbindung zu erhöhen, die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zu erleichtern.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kann man politisch machen!)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo soll es denn herkommen?

Natürlich ist es so, dass wir in den alten Bundesländern eine stärkere Tarifbindung haben. Doch dahinter steht eine Industrie, die sehr finanzstark ist, sodass man sich das auch leisten kann, diese Löhne und Gehälter, sodass man sich das auch leisten kann, diese arbeitsrechtlichen Bestimmungen, diese Urlaubsbestimmungen, alle Regelungen, die so ein Tarifvertrag heute auch noch abzudecken hat.

Und da wundern Sie sich, dass immer mehr Betriebe in diesem Land, gerade aus dem Bereich kleiner und mittelständischer Unternehmer, sagen: „Das tue ich mir nicht an; das kann ich mir nicht leisten; das funktioniert nicht“, und dass sogar große Unternehmen aus dem industriellen Bereich sagen: Das machen wir nicht. Das nimmt uns Flexibilität.

Ich glaube, Sie sollten sich einmal darüber Gedanken machen, wie Sie als Gewerkschaftsvertreter in den Verhandlungen auftreten, wie Sie als Sozialpartner in den Verhandlungen auftreten. Was tun Sie eigentlich dafür, dass die Tarifbindung gestärkt wird, außer sich hierhinzustellen und Gesetze zu fordern und Bestimmungen zu fordern und Verpflichtungen zu fordern? So funktioniert doch keine soziale Marktwirtschaft. Aber in der leben wir heutzutage nun einmal.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, Sie fordern einen Mindestlohn von 12 Euro. Haben Sie einmal aus dem Fenster geschaut? Wir leben in einer Coronakrise. Die Wirtschaft, unser Land stehen seit über einem Jahr nahezu still. Als wir 2015 den gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland eingeführt haben, war das eine völlig andere Zeit; da haben wir in einem wirtschaftlichen Aufschwung gelebt. Wir brauchen ganz andere Antworten in dieser Zeit.

Kollegin Schimke, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Klaus Ernst?

Sehr gerne.

Danke, dass Sie die Frage zulassen, Frau Schimke. – Also, ich habe ehrlich den Eindruck, Sie sind noch nicht im Westen angekommen. Denn das Modell Deutschland, von dem jetzt auch der Osten profitiert, bedeutet ja, dass wir über Tarifverträge bestimmte Dinge aus der Konkurrenz der Betriebe untereinander herausgenommen haben, zum Beispiel den Lohn. Wir haben gesagt: Über Tarifverträge machen wir einen Mindestlohn, und wenn Unternehmen erfolgreich sein wollen, müssen sie dies durch Innovation, durch Technik machen, aber nicht durch Lohnsenkungen.

Dasselbe mit der Arbeitszeit, die in Tarifverträgen geregelt ist. Da haben wir gesagt: Wir nehmen Arbeitszeit aus der Konkurrenz der Betriebe untereinander heraus. Nicht der ist erfolgreicher, der länger arbeiten lässt, sondern erfolgreicher ist der mit den besten Beschäftigten, der gut zahlt – vielleicht sogar über den Tarif hinaus –, und der innovativ ist. Das, Frau Schimke, das war ein Erfolg, den wir damals im Westen über Tarifvertragssysteme hatten. Da hatten Sie im Osten tatsächlich einen Nachteil.

Wenn Sie jetzt aber nicht mit dazu beitragen, dass wir durch mehr Tarifbindung die Konkurrenz über Lohn- und Arbeitszeitdumping verringern, wenn Sie nicht dazu beitragen, dass wir das auch im Osten hinkriegen, dann tragen Sie die Verantwortung dafür, dass sich der Osten eben nicht dem Modell Deutschland angleicht, sondern weiter unter diesen schlechteren Bedingungen arbeitet und damit eher zu einem Modell für niedrige Löhne und schlechte Arbeitszeiten wird, so wie wir es jetzt noch im Osten haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lieber Herr Kollege Ernst, meine Damen und Herren von der Linken, anders als Sie sehe ich im Unternehmer nicht den Feind, sondern den Partner.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)

Das sind Menschen in unserem Land, die schaffen Arbeitsplätze, die sorgen für unseren Wohlstand.

Sie haben keine Ahnung von Wirtschaft; das darf ich an der Stelle auch einmal sagen. Sie schaffen nur eine gesunde Wirtschaft, wenn Sie diese Menschen mit ins Boot holen, wenn Sie ihnen die Möglichkeiten, wenn Sie ihnen den Freiraum schaffen, zu arbeiten und zu leben. – Sie tun nichts anderes, als sich auf dem Erfolg anderer auszuruhen. So funktioniert das nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall der Abg. Melanie Bernstein [CDU/CSU])

Aber es geht ja leider noch weiter – ich bin ja leider noch nicht am Ende –: Jetzt soll auch die Vergabepolitik, jetzt soll auch die Förderpolitik an das Konzert des „Wünsch dir was“ angeglichen werden. Unternehmen sollen nach Auffassung der Linken nur noch Förderung bekommen, wenn sie sich an bestimmte Standards halten.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen einmal was: Träger der Wirtschaftsstruktur in den neuen Ländern sind kleine und mittelständische Unternehmen. Die haben nicht viel Kapazität, die haben nicht viel Spielraum. Was Sie machen, ist, die Möglichkeit, Förderung in Anspruch zu nehmen, deutlich zu erschweren, deutlich zu bürokratisieren, und vor allen Dingen machen Sie es unattraktiv. Das ist nicht das, was wir wollen. Wir wollen, dass Staatsgelder, dass Steuergelder allen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, und zwar möglichst leicht und möglichst niedrigschwellig, sodass jeder davon profitieren kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will vielleicht auch noch einmal etwas Positives zu dieser Debatte beitragen.

(Niema Movassat [DIE LINKE]: Na endlich!)

Ich frage mich ja manchmal bei Ihnen, ob Sie eigentlich noch fröhlich durchs Leben gehen können. Denn die Situation in den neuen Bundesländern ist doch eine ganz andere: Wir haben im Osten seit der Wende eine Abwanderung von 3,7 Millionen Menschen verzeichnet. Wir haben einen Einbruch der Geburtenrate gehabt. Wir haben einen Niedergang der Industrie erlebt; natürlich haben wir das. Aber das können wir heute nicht einfach per Gesetz rückgängig machen, das funktioniert nicht. Nein, wir brauchen kluge Entscheidungen.

Die Trendwende, meine Damen und Herren, die erleben wir bereits seit 2014. Wir haben allein im Bundesland Brandenburg, in meiner Heimat, eine Nettozuwanderung von 15 000 Menschen jährlich. Wir haben 600 000 neue Industriearbeitsplätze in den neuen Bundesländern geschaffen.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wo?)

Wir haben eine Angleichung bei den Arbeitslosenzahlen, mehr und mehr, zwischen Ost und West erreicht. Wir haben einen massiven Abbau von Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern bewerkstelligen können, durch die gute Arbeit unserer Bundesagenturen vor Ort, Herr Minister Heil. Das machen die wunderbar, unsere Jobcenter: Sie holen die Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit.

Worauf kommt es an, liebe Kolleginnen und Kollegen? Es kommt darauf an, die Steuerung gut und richtig vorzunehmen. Es reicht natürlich nicht, Bundesbehörden in den neuen Bundesländern anzusiedeln. Nein, wir brauchen natürlich auch eine kluge Ansiedlungspolitik durch Gewerbesteuerförderung, durch allgemeine Bundesförderung.

Wir müssen ein besonderes Augenmerk auf Existenzgründungen in den neuen Bundesländern legen. Lassen Sie uns etwas dafür tun, dass Menschen sich wieder selbstständig machen wollen! Lassen Sie uns etwas dafür tun, damit Menschen ins unternehmerische Risiko gehen und bereit sind, persönlich zu haften! Lassen Sie uns einen guten Umgang pflegen mit unserem Handwerk, mit unseren kleinen und mittelständischen Unternehmen, die eine besondere Betreuung brauchen, die besonders viel Verständnis brauchen, die besonders viel Unterstützung brauchen! Lassen Sie uns die Digitalisierung, den Ausbau unserer sozialen und unserer wirtschaftlichen Infrastruktur in den neuen Bundesländern weiter vorantreiben! Da sind wir nämlich richtig stark. Wir haben Rückholprogramme, wir haben Menschen, die aus den alten Bundesländern zurückkehren in die neuen Bundesländer, in ihre Heimat, die dort leben wollen, die dort eine Familie gründen wollen, die da ein Unternehmen gründen wollen.

Mit diesem Gedanken, mit dieser Einstellung, mit diesem Geist, wenn Sie so wollen, würde ich hier in diesem Hause gerne weiter Politik machen – aber ganz gewiss nicht mit Ihnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Wort hat der Abgeordnete Jürgen Pohl für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD – Zuruf von der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7517153
Wahlperiode 19
Sitzung 225
Tagesordnungspunkt Arbeitsmarkt Ost
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