23.04.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 225 / Zusatzpunkt 17

Hagen ReinholdFDP - Arbeitsmarkt Ost

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Meine sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bartsch, was mich am meisten an solchen Debatten ankotzt: Statt über die größte Chipfabrik Europas in Dresden zu reden, die Produktion von Elektroautos in Leipzig, bald in Brandenburg, statt mal den Vergleich anzustellen, wer tatsächlich zweitklassig ist, Leipzig oder Gelsenkirchen, kommen immer wieder Reden, die den Osten nur schlechtmachen, die Arbeitsverhältnisse im Osten nur schlechtmachen.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nö!)

Sie wähnen sich ja in guter Gesellschaft: Die Ministerpräsidentin der SPD in Mecklenburg-Vorpommern macht seit Jahren nichts anderes, als den Leuten zu erklären, dass wir im Osten Niedriglohn und prekäre Arbeitsverhältnisse haben. Das ist zum Kotzen!

(Widerspruch bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und ich sage Ihnen, warum: Ich bin Unternehmer in Ostdeutschland. Ich zahle anständige Löhne, wie viele meiner Kollegen. Ich schaffe es gar nicht, mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu mir ins Bundesland zu kriegen, weil die den völlig falschen Eindruck von meinem Bundesland haben. Das ist die Wahrheit!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)

Wer die ganze Zeit erzählt: „Da werden keine guten Löhne gezahlt“, der sollte mal in mein Bundesland gehen.

Ganz abgesehen davon: Gucken Sie sich die hundert größten Arbeitgeber in Ostdeutschland doch mal an! Alles meist öffentliche Arbeitgeber! Was für prekäre Arbeitsverhältnisse meinen Sie eigentlich? Den Schulsozialarbeiter, der sechs Wochen arbeitslos ist in den Sommerferien, weil er jedes Jahr nur projektbezogen bezahlt wird? Oder meinen Sie tatsächlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den privaten Firmen in Ostdeutschland? Die können Sie gar nicht meinen; die Firmen zahlen nämlich anständig.

Ich habe gerade wieder einen aus Rheinland-Pfalz eingestellt. Der kam zu mir und hat gesagt: Mensch, ist ja ein Ding, was Sie hier bezahlen! Habe ich gar nicht geahnt! – Der kam nur, weil er, wie viele andere auch, die Ostsee so schön findet, zu mir ins Bundesland. Und dann stellt er nach Monaten auf einmal fest: Das ist ja genial! In Mecklenburg-Vorpommern kostet das Haus nur ein Viertel so viel wie in Stuttgart, München oder Hamburg!

Wer hier offeriert, er wolle Lohnlücken in Regionen schließen, der muss die Wahrheit sagen und sagen, er wolle Mietlücken schließen zwischen Hamburg, Gelsenkirchen, Stralsund und Rostock. Ich will nicht, dass in Stralsund und Rostock die gleiche Miete wie in Hamburg, Berlin und München gezahlt wird; will ich nicht.

Es gibt Unterschiede in diesem Land, und die sind richtig und wichtig so. Deshalb gibt es ein föderales System.

(Beifall bei der FDP)

Aber wer glaubt denn noch, mit schlechten Arbeitsbedingungen könnte er Leute locken? Das ist doch völliger Blödsinn!

Bei mir haben gerade die Hoteliers und Gastronomen viele ihrer Leute verloren. Die sitzen nämlich schon ein halbes Jahr in Kurzarbeit. Die sind jetzt alle in den Lebensmitteleinzelhandel, in die Pflege abgewandert. Das gönne ich ihnen, weil sie im Übrigen nämlich Lust haben, zu arbeiten. Denen geht es gar nicht ums Geld. Die wollen sinnstiftende Arbeit haben. Die wollen einen Auftrag für sich jeden Tag haben. Und die Hoteliers und Gastronomen müssen jetzt die Leute zurückholen. Glauben Sie, das schaffen sie, indem sie denen erzählen, sie zahlen 3,80 Euro? Die zahlen nämlich anständige Löhne. Die werden Riesenprobleme haben, Leute zu finden, wenn dieses Land wieder anfährt.

Wenn solche Leute wie Sie – und dort drüben sitzen noch welche, die erzählen, im Osten ist es so – die ganze Zeit erzählen: „Hier werden nur schlechte Löhne gezahlt“, dann wird man sehen, was das mit der Dienstleistung, mit der Hotellerie und mit der Gastronomie in Ostdeutschland macht. Das ist der Todesstoß. Solche dummen Reden brauchen wir hier nicht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was wir brauchen, das sage ich Ihnen: Handlungskonzepte zur Verbesserung der Arbeitsmarktstrukturen – da bin ich bei Ihnen. Aber ob die Rezepte, die dabei rauskommen, die sind, die Sie mit mir teilen, weiß ich nicht.

Flexiblere Arbeitszeiten. Meine Leute haben Bock, sonntags eine Mail zu schreiben und mittwochs mit ihren Mädels zum Fußball zu gehen;

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: „Meine Leute“ ist ein doller Begriff!)

dürfen sie aber nicht, weil Leute wie Sie dagegen sind.

Arbeitsstättenverordnung ändern. Jahrelang wehren Sie sich gegen das Homeoffice, obwohl wir gesagt haben: Das ist eine gute Sache. – Jetzt scheuchen Sie per Pflicht die Leute auf den wackeligen Küchenstuhl in der 50‑Quadratmeter-Wohnung, in der man zu viert wohnt, statt auf einen ergonomisch guten Arbeitsstuhl im Großraumbüro, das fast leer steht.

Das sind die Schwächen, die dieser Arbeitsmarkt hat, und zwar überall in Deutschland. Das gilt es abzubauen. Es gilt nicht, solche Reden zu halten wie Sie.

Ich danke Ihnen recht herzlich.

(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Ein unparlamentarischer Ausdruck hat auch mal was!)

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Peter Aumer das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7517158
Wahlperiode 19
Sitzung 225
Tagesordnungspunkt Arbeitsmarkt Ost
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