23.04.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 225 / Tagesordnungspunkt 39

Metin HakverdiSPD - Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir machen heute von unserem Recht Gebrauch, Stellung zu nehmen gemäß Artikel 23 Absatz 3 Grundgesetz. Wir fordern hier und heute die Bundesregierung auf, im Ministerrat dem Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich zuzustimmen. So kommen wir – hoffentlich – zu einem Abschluss bis Ende dieses Monats. Und damit wäre dann der – vorerst – letzte Akt des Brexits vollzogen. Das Vereinigte Königreich ist ja bereits aus der Europäischen Union ausgeschieden. Mit diesem Handels- und Kooperationsvertrag wird dann auch die Grundlage für die künftigen Beziehungen festgelegt – nach fast fünf Jahren.

Das Abkommen, das nun vorliegt, ist im Großen und Ganzen ausgewogen. Ich glaube, dass wir damit gut leben können. Wichtig für uns heute ist, dass die ausreichende Beteiligung des Deutschen Bundestages bei wichtigen Entscheidungen gesichert bleibt. Das sage ich insbesondere mit Blick auf den Partnerschaftsrat – das gemeinsame Gremium des Abkommens.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, nach fünf Jahren ist dies ein Zeitpunkt, wo wir kurz innehalten sollten und vielleicht eine Art Zwischenbilanz ziehen können – oder uns überlegen sollten, was wir in den letzten fünf Jahren gelernt haben. Ich will hier drei Punkte nennen:

Erstens. Populismus ist nicht harmlos. Populismus ist keine Folklore. Was als Rivalität zweier politischer Kontrahenten – David Cameron und Boris Johnson – begann, hat am Ende zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU geführt. Die Brexit-Kampagne hat gelogen, was das Zeug hält. Erinnert sei hier an den legendären NHS-Bus. Nach dem Austritt aus der Europäischen Union hat sich weder das britische Gesundheitswesen noch die britische Wirtschaft insgesamt in blühende Landschaften verwandelt. Ganz im Gegenteil: Das britische Pfund hat dauerhaft abgewertet. Gerade die Bezieher niedriger Einkommen mussten signifikante Kaufkraftverluste hinnehmen – ein hoher Preis für diejenigen, die es sich am allerwenigsten leisten konnten.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Als ob Sie sich um Abwertung etwas scheren würden!)

Der Traum von einem Singapur an der Themse ist ausgeträumt. Falls er je real würde, dann nur auf Kosten von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards. Für Lieferketten europäischer Unternehmen spielt es eben doch eine Rolle, ob die Zulieferung aus dem Binnenmarkt erfolgt oder von einem Drittstaat.

Populismus ist nicht harmlos, und ich mache mir große Sorgen, dass dieser Populismus, gespickt mit Nationalismus, den Nordirland-Konflikt wieder aufflammen lässt.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])

Wir haben zweitens gelernt: Der europäische Zusammenhalt ist stärker, als viele Beobachter anfangs dachten. Auch die Regierungen in London sind davon überrascht worden. Der britischen Führung ist es nicht gelungen, die Verhandlungen zu bilateralisieren. Michel Barnier und sein Team konnten sich auf den Rückhalt aller Mitgliedstaaten verlassen. Obwohl die zweitgrößte Volkswirtschaft die Union nun verlassen wird,

(Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Verlassen hat!)

ist die europäische Integration in strategischen Bereichen vorangekommen: Weil die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich gewachsen ist. Weil die Wirtschaftsunion weiter vertieft wurde. Weil wir gerade in der Coronakrise eine weltweit einmalige und beispiellose Solidarität unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erleben.

Am Mittwoch dieser Woche hat das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag gegen den Wiederaufbaufonds abgelehnt. Auch das Organstreitverfahren der AfD wird keinen Erfolg haben; das kann ich Ihnen hier jetzt schon sagen.

(Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Ach so!)

Der Wiederaufbaufonds wird kommen.

Und drittens. Europa ist keine Insel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Während wir mit dem Brexit hier die letzten fünf Jahre beschäftigt waren, ist China zu einem geostrategischen Rivalen ausgewachsen. Die Auseinandersetzung mit China – hoffentlich öfter kooperativ als konfrontativ – wird das Thema der nächsten Jahre, vielleicht der nächsten Jahrzehnte sein.

Solche intensiven Phasen der Selbstbeschäftigung wie beim Brexit sollten wir uns nicht mehr leisten.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Georg Link [FDP])

Was wir jetzt brauchen, ist eine robuste, eine autonome Europäische Union. Sie bietet den Schutz, um uns sicher durch das raue geostrategische Fahrwasser der Zukunft zu bringen.

(Norbert Kleinwächter [AfD]: Mit dem Kapitän?

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Kleinwächter für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD – Michael Georg Link [FDP]: Jetzt wird es heiß! Anschnallen!)

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Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7517166
Wahlperiode 19
Sitzung 225
Tagesordnungspunkt Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien
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