Helge LindhSPD - Soloselbstständige in der Kultur und Medienbranche
Frau Präsidentin! Also, ich sage „Frau Präsidentin“, nicht „Präsidium“. Für mich sind Sie ein Mensch.
(Heiterkeit – Simone Barrientos [DIE LINKE]: Auch für uns!)
Vielen Dank, Herr Lindh.
So viel Zeit muss sein. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war eben noch so tiefenentspannt und müde, aber nach der letzten Rede habe ich jetzt Puls. Ich werde es jetzt nicht lang und subtil, sondern kurz und grobschlächtig machen. Ich stelle zum einen fest, Frau Schimke, dass Sie eine Rede gegen Ihre eigene kulturpolitische Sprecherin gehalten haben.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist legitim, aber ungewöhnlich.
Zum Zweiten stelle ich fest, dass wir als SPD nicht wünschen, dass die AfD weiter so viel Werbung für die Grünen macht; denn das machen Sie, wenn Sie die immer als ökosozialistisch bezeichnen. Ich wünschte mir, sie wären ökosozialistisch. Das sind sie aber nicht.
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Punkt müssen Sie uns mal in Ruhe erklären!)
Und zum Dritten muss ich doch feststellen, dass ich, ehrlich gesagt, nicht glaube, dass die Situation von Prekariat im Kulturbereich, die schon lange vor der Pandemie bestand, durch Impfen gelöst wird. Das erschließt sich mir logisch nicht.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Erhard Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich komme jetzt aber zu meinen verschiedenen Verärgerungen.
Erstens. Ich glaube, wir verzerren die Situation fundamental, wenn wir einfach nur sagen würden: Wir müssen gucken, dass der ganze Betrieb wieder ins Laufen kommt, und dann haben wir Glückseligkeit im Kulturbereich. – Das ist eine Farce, wenn man das behauptet, wie es eben suggeriert wurde. Das wird den vielen Kulturschaffenden nicht im Mindesten gerecht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Damit komme ich zu meiner zweiten Verärgerung. Die beziehe ich bewusst auf uns. Es ist ja gut, sich auch mal kritisch selbst zu beurteilen, und zwar jetzt nicht uns als Koalition, sondern insgesamt als Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker. Wir hatten in der Vergangenheit große Würfe. Zwei Sozialdemokraten – Lattmann und Ehrenberg – haben die KSK auf den Weg gebracht. Etwas in dem Umfang, solche großen Würfe, brauchen wir zukünftig wieder.
Wir verbringen viel zu viele Stunden miteinander, uns aufzuregen, dass wir nicht ernst genommen werden, zu lamentieren, über Förderprogramme zu sprechen usw. Wir betreiben unsere eigene Selbstverzwergung; deshalb ist es ein guter Ansatzpunkt, da tatsächlich fundamentale Fragen zu diskutieren. Und es ist an der Zeit, dies in Zukunft zu tun.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Da gibt es nicht die einzelnen Guten und Bösen, sondern das ist auf allen Ebenen zu tun. Alle demokratischen Parteien sind im Übrigen auch mehr oder weniger in einzelne Regierungen verwickelt. Also, wir sind alle im Boot, und wir haben es alle nicht hinreichend geschafft in der Vergangenheit.
Und jetzt zu meiner dritten Verärgerung, Stichwort: „Alles dichtmachen“. Das ist mir deshalb wichtig, weil es eben auch anders geht. Ich erinnere an Igor Levit. Der hat gesagt, und zwar in aller Drastik: In vielerlei Hinsicht wurden die Kulturschaffenden verraten. – Aber er begründet das authentisch und aus einer Dringlichkeit, und es ist ernst zu nehmen.
Er macht es aber nicht so, dass er statt in Ironie in einen blanken Zynismus verfällt. Und das, was ich lesen und hören musste in diesen Videos – ich habe sie mir angehört –, das war eben nicht Ironie. Das war blanker Zynismus. Das war politische Dummheit, und das war, mit einem Wort, das ich in Berlin gelernt habe, Selbstgeilheit.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Es war zynisch, töricht und selbstgeil. Und – das muss man auch sagen – es verrät die vielen, vielen einfachen Kulturschaffenden, die wirklich nicht privilegiert sind wie diejenigen, die sich da geäußert haben, sondern die um ihre Existenz ringen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU])
Wenn ich mich darüber aufrege – was ich ja jede Woche tue –, wie die AfD spricht, wenn ich mich über Dieter Nuhr aufrege, dann muss ich mich auch über Jan Josef Liefers aufregen, wenn er einen solchen Blödsinn verzapft
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU])
und den Eindruck erweckt, wir hätten hier eine politisch-mediale Verschwörung und ein Kartell in diesem Land. Das ist schlichtweg nicht wahr! Auch wenn Kostja Ullmann sagt, wir hätten so was wie Angst überall, oder dazu auffordert, seine Kontakte zu löschen, weil das der Wunsch der Regierung sei, dann ist das der blanke Hohn. Das ist eine Karikatur dieses Landes und mitnichten eine Antwort auf die prekäre Lage von Kulturschaffenden.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Herr Lindh.
Deshalb: Wir brauchen nicht einfach nur – das geht kritisch an die Grünen – ein Sammelsurium von einzelnen Maßnahmen, sondern ein Konzept. Dafür werden wir sorgen. Aber wir brauchen vor allem nicht Rechtspopulismus, vertreten durch privilegierte Kulturschaffende, um damit die Frage der sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler zu lösen. Dafür braucht es viel mehr und nicht „Tichys Einblick“.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7517221 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 225 |
Tagesordnungspunkt | Soloselbstständige in der Kultur und Medienbranche |