Angelika GlöcknerSPD - Teilhabe und Inklusion
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, ein wichtiger Aktionstag, um für die Menschen gesetzliche Grundlagen für mehr Selbstbestimmtheit und Barrierefreiheit zu schaffen. Es geht hier insgesamt und immerhin um 10,5 Millionen Menschen in unserem Land, und so vielfältig die Bedürfnisse und Bedarfe dieser Gruppe sind, so vielfältig müssen auch die gesetzgeberischen Grundlagen sein, die wir schaffen.
Wir haben vor wenigen Wochen das Teilhabestärkungsgesetz auf den Weg gebracht, mit vielen Verbesserungen. Ich will an der Stelle exemplarisch auf das ausgeweitete Budget für Ausbildung hinweisen, das just in meinem Wahlkreis direkt dazu geführt hat, dass eine junge Frau mit einer Behinderung eine Perspektive erhält.
(Beifall bei der SPD)
Es ist immer wieder schön, zu sehen, wenn unsere Gesetze wirken.
Es geht aber auch darum, dass wir weitere Gesetze auf den Weg bringen wollen. Wir haben ja heute wieder viele Anträge von der FDP-Fraktion vorliegen, über die wir auch beraten. Wir sollen darauf aufmerksam gemacht werden, dass wir mehr tun müssen. Und hier, Kolleginnen und Kollegen, will ich Ihnen aber auch mal entgegenhalten: Wir haben viel getan, und wir tun nach wie vor sehr viel.
Ich habe eben vom Teilhabestärkungsgesetz gesprochen, und ich will in diesem Zusammenhang auch noch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das wir jetzt im parlamentarischen Verfahren haben, aufzählen, das dazu führen wird, dass wir viele europaweite Standards schaffen, um Barrieren für bestimmte Produkte und Dienstleistungen abzubauen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Konkret – das will ich in diesem Zusammenhang erwähnen – geht es um Ticket‑, Kassen‑, Bankautomaten. Es geht um Personenbeförderung, die barrierefreier gestaltet werden soll. Es geht im Zeitalter der Digitalisierung natürlich auch um Apps, die ohne fremde Hilfe angewandt werden müssen. Und es geht auch um den Computer oder um die Fernbedienung zu Hause am Fernseher. All das muss barrierefrei werden,
(Sören Pellmann [DIE LINKE]: Aber nicht erst 2040!)
und damit werden wir in diesem Fall einen weiteren Schritt nach vorne kommen.
Liebe Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage von der Kollegin Rüffer von Bündnis 90/Die Grünen?
Ja, bitte.
Dafür bedanke ich mich sehr, dass ich die Möglichkeit habe, die Zwischenfrage zu stellen. – Ich würde gerne zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz etwas sagen und Ihnen eine Frage stellen. Auch Sie wissen ja: Es geht da um die Umsetzung einer europäischen Richtlinie. Da kommen wir gar nicht drumherum; das ist jetzt keine Wohltat der Großen Koalition, sondern das müssen wir tun. Und wir hätten ja die Möglichkeit gehabt, diese Richtlinie nicht nur so umzusetzen, dass eins zu eins das übernommen wird, was vorgeschrieben ist, sondern mal richtig was für die Barrierefreiheit in diesem Land zu machen. Was jetzt dabei rauskommt, ist, dass bei Geldautomaten die Übergangsfrist erst 2040 endet und die Treppenstufen vor dem Geldautomaten trotzdem weiter da sein werden. Vielleicht haben wir zu diesem Zeitpunkt in diesem Sinne gar keine Geldautomaten mehr, vielleicht gibt es auch gar kein Bargeld mehr – das weiß ich nicht so genau. Aber finden Sie, dass man sich auf die Schulter klopfen kann, wenn dies das Ergebnis eines Gesetzes ist, das Sie als Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bezeichnen?
Ich habe Sie heute am Brandenburger Tor nicht gesehen; aber die Leute, die da waren, um zu protestieren, waren nicht begeistert. Das will ich Ihnen ausrichten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Sören Pellmann [DIE LINKE])
Frau Rüffer, Sie zielen darauf ab, dass zwar der Bankautomat ausgetauscht und barrierefrei ist, aber die Stufen davor weiter existieren. Es gibt ja Bilder, die zeigen – und ich stehe natürlich auch mit den Menschen in engem Kontakt –, dass Menschen davorstehen und die Stufen nicht hinaufkommen. Das ist in der Tat ein Problem. Aber Sie sind ja auch schon ein paar Tage länger hier im Parlament, und Sie wissen sehr wohl, dass das Bauordnungsrecht nun mal nicht in der Hand des Bundes liegt, sondern Aufgabe der Länder ist. Ich will gleichwohl darauf hinweisen, dass wir die Hebel, die wir auf Bundesebene bewegen können, tatsächlich nutzen müssen. Sie werden auch genutzt.
Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel nennen: Das Kommunalinvestitionsförderungsgesetz sieht vor, dass finanzschwache Kommunen gefördert werden können.
(Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] will wieder Platz nehmen)
– Ich würde gerne noch ausführen.
(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber das ist doch nicht mehr meine Frage!)
Die Schaffung von Barrierefreiheit ist hier eine wichtige Voraussetzung.
Ich will Ihnen einen weiteren Aspekt nennen, der in fast all Ihren Anträgen und Vorträgen aus meiner Sicht definitiv zu kurz kommt: Es geht bei allen Veränderungen, die wir wirksam umsetzen wollen, auch immer darum, dass wir die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit mitnehmen.
(Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich betrachte das im Gegensatz zu vielen anderen als einen wichtigen Prozess, den wir nicht in einer Hauruckaktion umsetzen können. Vielmehr müssen wir – um noch mal das Beispiel des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes zu nehmen – einfach darauf hinwirken, dass wir die Menschen mit Behinderungen mitnehmen, dass wir die Verbraucherinnen und Verbraucher mitnehmen, dass wir die Betriebe mitnehmen, die umstellen müssen. Und wer in Regierungsverantwortung ist und darauf hinwirken will, dass ein Gesetz auch wirkt, der kann nicht eine so enge Sichtweise haben, wie Sie sie immer hier vortragen.
(Beifall der Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD] und Wilfried Oellers [CDU/CSU])
Wir haben die Gesellschaft als Ganze im Blick, und das ist erfolgversprechend.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sören Pellmann [DIE LINKE]: Aber 20 Jahre sich dafür Zeit nehmen? 20 Jahre! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]: 19 Jahre! – Gegenruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich will auch sagen: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist auch deswegen ein Erfolg, weil es einfach europäische Standards setzt. Es wirkt darauf hin, dass Menschen in Europa Produkte kaufen und Dienstleistungen in Anspruch nehmen können, die nach gleichen Maßstäben produziert bzw. erbracht werden. Sie haben ein größeres Angebot, auf das sie zugreifen können, und sind eben nicht auf teure Einzelprodukte angewiesen.
Und ja, wir schaffen mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auch eine Kontrollinstanz, damit Barrierefreiheit Stück um Stück umgesetzt wird. Es gibt ein Beschwerderecht. Wir werden Verbraucher auch dadurch stärken, dass sie Rechtsmittel einlegen können, sogar in Form eines Verbandsklagerechts. Und es gibt auch ein Schlichtungsverfahren für all diejenigen, die den Gerichtsweg nicht gehen wollen.
Ich will einfach noch mal festhalten: Das sind wichtige Punkte.
Was die FDP-Anträge, über die wir heute hier beraten und in denen Sie teilweise Vorschläge zu Inklusion und Barrierefreiheit gemacht haben, betrifft, will ich Ihnen zum einen sagen: Wir waren bei der Umsetzung der Ideen einfach schneller. Und zum anderen lassen Ihre Anträge auch Fragen offen. Was bringt es beispielsweise mit Blick auf Barrierefreiheit, wenn jemand einen Chip in einer Gesundheitskarte austauscht oder ein Schwerbehindertenausweis nun Teilhabeausweis genannt wird? Ihre Anträge werden wir daher ablehnen.
Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben. Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Kollegin Glöckner. – Das Wort geht an Uwe Witt von der AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7519034 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 226 |
Tagesordnungspunkt | Teilhabe und Inklusion |