Helge LindhSPD - Bevölkerungsschutzgesetz - Normenkontrolle
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich höre schon wieder die AfD-Groupies. Schön – – Nein, nicht schön, dass ihr da seid.
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie hätten sich allmählich daran gewöhnen können, Herr Lindh!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Mitgefühl ist stärker als Hass, nur kann man Hass leichter grölen, und das hat die AfD heute auch wieder vorgeführt in Bezug auf die abstrakte Normenkontrolle. Ihr Business Case läuft nicht mehr in Bezug auf Flüchtlinge. Klimaschutz und auch Antifa waren eher Rohrkrepierer. Antiislam bringen Sie immer, reicht aber nicht; ist ja auch etwas schwierig geworden nach Hanau. Deshalb haben Sie jetzt Corona und Freiheit für sich entdeckt. Ich nenne das ein parasitäres Politikkonzept. Nichts anderes ist das, was Sie da betreiben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Wenig Applaus bei der SPD!)
Ja, es ist ja ziemlich durchschaubar, was für ein Manöver Sie hier eingeschlagen haben. Ich finde es auch erstaunlich, dass Frau Weidel bei „Markus Lanz“ klar erklärt hat, die AfD habe nichts mit den Querdenkern zu tun. Denn ich erinnere mich an Herrn Hilse, der hier ein Querdenker-Shirt trug. Ich erinnere mich an den Abgeordneten Müller, der auf einer Demo von „Unrechtsregime“ und „Ermächtigungsgesetz“ gesprochen hat. Und ich erinnere an die AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker, die ausdrücklich sagt, die AfD sei der parlamentarische Arm der Anticoronaproteste. Wie passt das zusammen? Wir haben im Bereich des Ausländerrechts für das, was Frau Weidel gemacht hat, einen wunderbaren Namen: Das ist „hartnäckige Identitätsverweigerung“ oder „hartnäckige Identitätstäuschung“, die Sie betreiben.
Es wird aber noch interessanter.
(Leif-Erik Holm [AfD]: Nee!)
Sie tragen das ja vor als Defizit der Demokratie. Nur: Sie können es vortragen. Alle können klagen. Draußen kann demonstriert werden. Das heißt, Sie erbringen hier gerade selbst den Beweis, dass das, was Sie tun, völlig widersprüchlich ist, dass Meinungsfreiheit funktioniert und dass das Grundgesetz funktioniert.
(Lachen bei der AfD)
Sie haben sich selbst widerlegt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dann kommen wir zum nächsten Punkt. Man muss im Kontext der Pandemie ernsthaft über Angst reden. Sie klagen ein Regime der Angst an. Aber was machen Sie denn? Sie stiften Angst vor Impfungen, Sie machen Angst vorm Unrechtsstaat, vor der angeblich zusammenbrechenden Demokratie.
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
Sie sind diejenigen, die Angst schüren.
Und da kommen wir zu einem weiteren Punkt. Sie erklären ja, die Demokratie bricht zusammen, Grundrechte werden abgeschafft. Sie wären doch die Ersten – wenn Sie an der Macht wären –, die die Grundrechte abschaffen würden. Sie wären die Ersten, die das täten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der AfD)
Sie führen es ja schon vor:
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Wo Sie in den Stadtparlamenten sind, greifen Sie die Kultur an, greifen Sie antifaschistische Gruppen an.
Sie selber halten sich den Spiegel vor – das ist der nächste Punkt –: Das alles, was Sie da behaupten, das sind Projektionen Ihrer selbst.
(Beatrix von Storch [AfD]: Das ist Regierungspolitik!)
Sie sprechen letztlich über niemanden sonst als über sich selbst. Frau von Storch, da können Sie noch so schreien: Sie bestätigen sich nur selbst darin.
(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
Kurzum – fassen wir das alles erst mal zusammen –: Sie haben hier mustergültig den Selbstwiderspruch praktiziert.
Kommen wir zu den anderen. Die AfD hat das ja hier auf diese Weise gemacht. Die Mitglieder der FDP-Fraktion haben als Abgeordnete Verfassungsbeschwerde eingereicht. Das ist völlig legitim und auch zutiefst demokratisch; was für andere Kalküle eine Rolle spielen, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Meine persönliche Meinung zu den Grünen: In einer solchen existenziellen Lage schaffen es Politikerinnen und Politiker nicht, Menschen Halt zu geben und die Gesellschaft zusammenzuhalten, indem sie sich enthalten. Meine Meinung dazu.
(Beifall bei der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Das ist ganz billige Polemik! Das wissen Sie!)
Kommen wir jetzt aber zu weiteren Fragen, den eigentlichen Fragen; denn das sind nicht die, die die AfD stellt. Es gibt diesen Satz, dass wir uns alle viel zu verzeihen haben werden. Ich glaube, der stimmt nicht. Es gibt keinen Anspruch auf Verzeihen. Wir können um Verzeihung bitten.
(Beifall bei der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Ja, machen Sie das mal!)
Und diejenigen, die wir um Verzeihung bitten müssen, sollten im Mittelpunkt der Debatte stehen – zum Beispiel die jungen Generationen, die von Beginn an Verzicht geübt haben, die als Erste Solidarität zeigten und die jetzt wahrscheinlich als Letzte geimpft werden, die zum Beispiel als Studierende ein drittes Onlinesemester erfahren, die nicht zur Schule gehen können, all das. Deshalb ist dieses Aufholpaket auch so wichtig und ein erster Schritt. Sie, nicht Ihre antidemokratische Schwurbeleien, gehören in den Mittelpunkt der Debatte.
(Beifall bei der SPD)
Das gilt auch für die Seniorinnen und Senioren, die so lange Isolation erlebten. Deshalb hat Olaf Scholz völlig zu Recht einen Plan für Öffnungsstrategien gefordert. Auch das ist nicht nur Ornament und Add-on, sondern es ist zentral für den Prozess des Verzeihens und des Versöhnens, den wir brauchen.
Wir brauchen, glaube ich, noch mehr. Wir brauchen eine neue Form des Gesellschaftsvertrages. Es ist nicht zu spät dafür, zusammen mit der Bevölkerung die Pandemie zu bekämpfen und auch den Weg aus der Pandemie zu gestalten. Wie ärmlich ist es doch, wie Sie immer von Annahmen wie „Jeder ist sich selbst der Nächste“ und „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ ausgehen, wie Sie auf Neid und Missgunst setzen. Viel klüger ist es doch, auf Empathie zu setzen und auf Mitgefühl. Das ist unsere verdammte Aufgabe: dass wir die wirtschaftlichen und organisatorischen Voraussetzungen für Mitgefühl schaffen.
Deshalb fasse ich zusammen. Wir brauchen in diesem Land deutlich mehr Jacinda Ardern, wir brauchen deutlich mehr Krisenentschlossenheit eines Winston Churchill, wir brauchen auch das Demokratiewagnis eines Willy Brandt statt parteipolitischer Taktierereien, statt solcher Demokratie- oder Antidemokratieschwurbeleien, statt auch mancher Enthaltung, statt eines einfachen Weiter-so, –
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reicht es aber damit, das in einen Topf zu werfen! Das ist reiner Wahlkampf, was Sie hier machen!)
– das müssen Sie ertragen, auch bei den Grünen –
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
– statt vieler „Bockeleien“ profilneurotischer Ministerpräsidenten. Vor allem brauchen wir es statt dessen, was heute die AfD vorgeführt hat:
(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])
nämlich sich selbst zu profilieren, –
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
– indem sie die Ängste, die Sorgen und die Verzweiflung von Menschen ausbeutet.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Herr Kollege Lindh. – Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Wirth, mir ist vom Sitzungsdienst mitgeteilt worden, dass Sie auf einen Zwischenruf wie folgt reagiert haben sollen: „Ihr Tourettesyndrom in allen Ehren.“ Ich halte das für eine massive Entgleisung, eine Missachtung der Menschen mit Behinderungen. Wenn das Protokoll das bestätigt – ich habe es jetzt nicht wahrgenommen –, werde ich Sie mit einem Ordnungsruf belegen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae, FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7519651 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 227 |
Tagesordnungspunkt | Bevölkerungsschutzgesetz - Normenkontrolle |