Barbara HendricksSPD - Staatsleistungen an Religionsgesellschaften
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen in der Tat vor der Aufgabe, einen Verfassungsauftrag zu erfüllen, der seit nunmehr über hundert Jahren besteht, eine Altlast, die eine erhebliche fiskalische Anstrengung verlangt und deren Beseitigung die betroffenen Religionsgemeinschaften nicht überfordern darf.
Seit Inkrafttreten der Weimarer Verfassung ist der Gesetzgeber aufgefordert, sämtliche Staatsleistungen an die evangelischen Landeskirchen und die katholischen Bistümer durch einmalige Ablösung endgültig zu beenden. In Artikel 138 Absatz 1 der Weimarer Reichsverfassung sind drei unterschiedliche Wirkungen festgehalten: Erstens werden die Länder verpflichtet, die Staatsleistungen im Wege der Landesgesetzgebung durch Ablösung zu beenden. Zweitens enthält die Norm eine Garantie für den Fortbestand der Staatsleistungen bis zu ihrer Ablösung; da befinden wir uns jetzt immer noch. Und drittens wird die Einrichtung neuer Staatsleistungen ausgeschlossen.
Die Zahlung von Staatsleistungen an die Kirchen in Deutschland hat historische Ursachen. So entstanden sie als Ausgleich für vorangegangene Enteignungen im Zuge der Säkularisation. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803, dem letzten bedeutenden Beschluss im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, gingen wesentliche kirchliche Güter auf weltliche Herrschaften über, und die Regentschaften geistlicher Herrscher wurden beendet. Mit der Annektierung dieser Güter übernahmen die neuen weltlichen Regenten als Rechtsnachfolger auch die lebenslänglichen Unterhaltsverpflichtungen für die vorherigen geistlichen Regenten und die Baulasten für kirchliche Gebäude.
Die Rechtsnachfolger dieser weltlichen Regenten wiederum sind seit 1919 die Länder. Aber sehr häufig sind die Nachfahren dieser ehemaligen weltlichen Regenten wiederum die Nutznießer der damaligen Eigentumsübertragung. In Form von Staatsleistungen entschädigen die Bundesländer die Kirchen bis zum heutigen Tage, da der Weimarer Verfassungsauftrag, wie wir alle wissen, bislang nicht umgesetzt wurde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Länder rechtssicher in die Lage zu versetzen, die Staatsleistungen in der Zukunft abzulösen, benötigen wir also ein Rahmengesetz des Bundes, ein Grundsätzegesetz, in dem sichergestellt ist, dass eine leistungsäquivalente Ablösung der Staatsleistungen durch die Länder ermöglicht wird. Diesem Umstand werden die Gesetzentwürfe der Oppositionsfraktionen nicht gerecht. Aufgrund der geschichtlich bedingten unterschiedlichen Sachlagen und Vertragssituationen in den Ländern lehne ich daher einen konkreten Faktor, wie es im Entwurf vorgesehen ist, ab. Auch wenn die Länder mittel- und langfristig Kosten einsparen, werden sie bei Inkrafttreten eines Staatsleistungsablösegesetzes mit unterschiedlich hohen Kosten konfrontiert sein. Bislang sind die, die es betrifft, aber nicht in die Beratungen der vorliegenden Gesetzentwürfe einbezogen worden. Auch das wird der Sache nicht gerecht.
Es ist mir also ein besonderes Anliegen, zunächst eine Kommission mit allen Beteiligten zu bilden, um einen verfassungskonformen und tragbaren Konsens zu finden. Neben den Kirchen, der Wissenschaft und dem Bund sollten zuvorderst die Länder mit am Tisch sitzen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Dr. Barbara Hendricks. – Nächster und letzter Redner in dieser Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Volker Ullrich.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7519785 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 227 |
Tagesordnungspunkt | Staatsleistungen an Religionsgesellschaften |