Dagmar SchmidtSPD - Hongkong - Ein Land, zwei Systeme
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Geschehnisse in Hongkong haben viele von uns sehr berührt. Millionen Menschen, darunter viele junge Menschen, die friedlich demonstrieren, die ihre Freiheiten behalten wollen, haben unsere Sympathien. Die Hoffnung, dass die Formel „Ein Land, zwei Systeme“ ernst genommen würde, dass Hongkong für China weiterhin eine Brücke in die freie und demokratische Welt sein könnte, dass die Erfahrungen aus Hongkong sich auch positiv auf den Rest Chinas auswirken könnten, diese Hoffnung hat sich spätestens mit dem nationalen Sicherheitsgesetz erledigt.
Mit diesem Gesetz hat sich Peking seine Durchgriffsrechte gesichert. Anders als angekündigt, ist nicht eine kleine, radikale Minderheit adressiert worden; nein, alle politischen Entscheidungsträger, der öffentliche Dienst, alle sollen sogenannte Patrioten sein, und jeder Hongkonger und jede Hongkongerin soll sich mit der Volksrepublik identifizieren und die KP unterstützen. Pekings Vision eines sogenannten Sozialismus chinesischer Prägung soll auch alle Hongkonger Gesellschaftsbereiche durchdringen – mit einem parallelen Rechtssystem durch das Sicherheitsgesetz, mit einem neuen Wahlsystem, mit einem De-facto-Vetorecht Pekings bei der Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten, mit Loyalitätsbekundungen von Beamtinnen und Beamten und mit ideologischen Schulungen, mit einem neuen Curriculum, das die Gewaltenteilung aus den Lehrbüchern löscht und stattdessen die Vermittlung des nationalen Sicherheitsgesetzes auf den Lehrplan setzt, und mit dem Umbau des öffentlichen Rundfunks und vielem anderen mehr.
Die Beendigung des vertraglich bis 2047 zugesicherten hohen Grads an Autonomie ist ein weiteres Zeichen dafür, welche Richtung China eingeschlagen hat. China bleibt zwar unser Partner, wenn es um die globalen Herausforderungen geht wie die Bekämpfung des Klimawandels, die Bekämpfung der Folgen der Pandemie, die globale Friedenssicherung und auch, wenn es um die gerechte Entwicklung ärmerer Länder geht. China bleibt aber unser Wettbewerber, wenn es um wirtschaftliche Dynamik, Märkte und Produkte geht. Aber vor allem wird China so für uns immer mehr ein systemischer Rivale, der unserer freien und demokratischen Gesellschaft eine zensierte und autoritäre Alternative entgegenstellt, ein Rivale, der sein Entwicklungsmodell deutlich gegen die freie und demokratische Welt positioniert.
Aber die Richtung, die China in Fragen Freiheitsrechte, in Fragen Menschenrechte insgesamt einschlägt, zeigt sich nicht allein in Hongkong. Reporter ohne Grenzen sieht China im Ranking der Pressefreiheit unverändert auf Platz 177 – von 180. Auch Amnesty International berichtet in seinem neusten Menschenrechtsreport von erheblichen Verschlechterungen bei den Menschenrechten insgesamt, die durch die Pandemie noch deutlich verschärft wurden. Betroffen sind insbesondere Menschenrechtsverteidiger, ethnische und religiöse Minderheiten und Journalistinnen und Journalisten.
Der große Erfolg Chinas in der Armutsbekämpfung, die rasante wirtschaftliche Entwicklung, die den Menschen bessere Lebensbedingungen und eine Perspektive ermöglicht, wird durch die Einschränkungen der persönlichen Freiheit so leider wieder relativiert. Denken wir auch an die Situation in Tibet, denken wir an die Innere Mongolei. Die Menschen in China insgesamt sind durch Überwachung, Kontrolle und das Sozialkreditsystem unter Druck.
Die Beziehungen zu Deutschland, die Beziehungen zu Europa werden zunehmend stärker von Wertefragen, von Systemfragen dominiert. Die Menschenrechtslage in Xinjiang ist ein globales Thema und hat weltweit zu entsprechenden Reaktionen geführt. Die gemeinsamen, die von der EU initiierten und von den USA, Kanada und Großbritannien unterstützten kalibrierten, zielgenauen Sanktionen gegen drei Personen und eine Einrichtung in Xinjiang sind dafür ein wichtiges Signal gewesen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sorgen macht mir zunehmend auch das aggressivere Auftreten nach außen und die zunehmende Militarisierung des Indopazifiks. Wie gehen wir also damit um? Zunächst ist die Antwort: Gemeinsam mit unseren Partnern. Das alles führt dazu, dass wir als Europa zusammen mit den USA und Kanada und darüber hinaus mit den freien und demokratischen Staaten in Asien enger zusammenstehen und uns besprechen. Zu unseren Partnern gehören Japan, Indien, Australien, Südkorea. Sie alle haben ihre eigenen Erfahrungen, die für eine gemeinsame Strategie von Bedeutung sind. Das wird nicht leicht – und wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen –, aber das wird gelingen. Und wir müssen die Balance halten und Eskalationsszenarien verhindern, ohne aber Entwicklungen, die internationales Recht infrage stellen oder das Recht des Stärkeren international etablieren wollen, unbeantwortet zu lassen. Deswegen hoffe ich, dass die EU es schafft, sich auf gemeinsame Maßnahmen in Reaktion auf die verschärfte Kontrolle Hongkongs durch Peking zu einigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ziel ist und bleibt es aber auch, mit China weiter zusammenzuarbeiten, dort, wo wir gemeinsame Ziele verfolgen, aber dabei eben auch Klarheit über unsere Interessen zu schaffen. Und die finden sich wieder im Gedanken des Multilateralismus, einer regelbasierten Weltordnung und der Universalität der Menschenrechte.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank, Frau Kollegin Schmidt. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Roland Hartwig, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7519826 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 227 |
Tagesordnungspunkt | Hongkong - Ein Land, zwei Systeme |