07.05.2021 | Deutscher Bundestag / 19. WP / Sitzung 228 / Zusatzpunkt 22

Matthias MierschSPD - Klimaschutz, EEG

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hilse, wenn es noch eines Beweises bedurft hat, dass Sie vom Verfassungsschutz beobachtet gehören, dann war das Ihre Rede.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Karsten Hilse [AfD]: Den Satz kennen wir!)

Es ist unvorstellbar, mit welchen Worten Sie das oberste Gericht dieses Landes diskreditiert haben!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN – Zuruf von der SPD, an die AfD gewandt: Verfassungsfeinde!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Annalena Baerbock, zunächst hätte ich mir ein bisschen mehr Lob gewünscht.

(Beifall der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU] – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür genau?)

Aber das ist in diesen Zeiten wahrscheinlich nicht drin. Vor anderthalb Jahren, als das Klimaschutzgesetz zur Diskussion stand, haben Sie mir hier eine Zwischenfrage gestellt. Sie haben gesagt: Das ist doch eigentlich alles unverbindlich. – Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich heute festhalten: Ich glaube, das Klimaschutzgesetz ist nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz die größte energiepolitische Errungenschaft, die hier gesetzgeberisch geleistet worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Zukünftig wird keine Bundesregierung mehr der Messlatte entgehen können, ob die Ziele tatsächlich erreicht werden.

Es gehört zum Zusammenspiel zwischen den Verfassungsorganen in einem demokratischen Rechtsstaat, gerichtlich überprüft zu werden und gegebenenfalls nachschärfen zu müssen. Deswegen sage ich allen Kommentatoren, die „Klatsche für die Regierung“ gesagt haben: Wir haben hier eine Grundlage geschaffen, anhand derer jeder sieht: Können wir die Ziele erreichen, ja oder nein? – Das ist gelebte Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Das Spannende ist ja der Weg. Ich finde es vollkommen richtig, dass wir versuchen sollten, so viel wie möglich gemeinsam zu machen. Für mich ist der Schlüssel zum Erreichen der Ziele der massive Ausbau der erneuerbaren Energien. Die SPD-Bundestagsfraktion hat, obwohl wir in dieser Großen Koalition ganz unterschiedlicher Auffassung waren, ganz viel in diesem Bereich durchgesetzt: Dass wir ein Mieterstrommodell haben, ist ein Erfolg; denn so stellt die Energiewende für alle eine Möglichkeit dar.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU])

Dass wir Kommunen an Windparks beteiligen, dass wir dort steuerliche Änderungen vorgenommen haben, ist ein Riesenerfolg.

(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Genau! Von uns beiden!)

Wenn wir sehen, Frau Baerbock, wie die Situation in den von Ihnen mitregierten Ländern ist, dann erkennen wir, dass dort noch große Herausforderungen warten. Deswegen gibt es, glaube ich, keinen Grund, sich selbstgerecht zurückzulehnen. Das, was Baden-Württemberg in Bezug auf den Ausbau der erneuerbaren Energien in den letzten fünf Jahren geleistet hat, war ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal was zu Sachsen-Anhalt!)

Wir haben hier mit der CDU/CSU darüber streiten müssen, ob es bundesweite Abstandsregeln für Windräder gibt. In Hessen haben die Grünen bei solchen Abstandsregeln locker mitgemacht.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage von dem Kollegen Krischer von Bündnis 90/Die Grünen?

Selbstverständlich.

Herr Kollege Miersch, ich finde es ja immer schön, wenn die SPD hier ankommt und verkündet, was man eigentlich alles tun müsste. Ich frage mich dann die ganze Zeit, wer hier regiert. Und es ist noch nicht so ganz lange her, da hat die SPD sogar den Wirtschafts- und Energieminister gestellt. Der hieß Sigmar Gabriel. Ich weiß: Daran erinnern Sie sich nicht mehr so gerne; der Name ist in der SPD nicht mehr so ganz populär.

(Zuruf von der SPD: Ach!)

Aber er hat hier Ausschreibungen bei erneuerbaren Energien eingeführt, bei denen ganz bewusst der Süden Deutschlands benachteiligt wurde. Und Sie können an den Ausbauzahlen in Baden-Württemberg und Hessen sehen, dass genau von diesem Zeitpunkt an Schluss war mit dem Ausbau.

Dass wir bei der Windenergie so hängen, ist Ergebnis sozialdemokratischer Politik,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und es wäre ehrlich, mal zuzugeben, dass Sie da eine Verantwortung tragen. Sich hierhinzustellen und zu sagen, die SPD habe eine Menge geleistet, ein Mieterstromgesetz zu nennen, das in der Fachszene als Mieterstromverhinderungsgesetz bezeichnet wird,

(Klaus Mindrup [SPD]: Ach, lächerlich!)

das zeigt, ehrlich gesagt, Chuzpe.

(Zuruf der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU])

Es hat nichts mit der Realität draußen zu tun.

Wir erleben einen Zusammenbruch des Ausbaus der erneuerbaren Energien bei der Windenergie, und das ist das Ergebnis Ihrer Koalition, weil Sie am Ende hier nicht geliefert haben, weil Sie hier nicht die Grundlage geschaffen haben. Und deshalb haben wir die Probleme beim Klimaschutz, und deshalb werden wir in Deutschland international inzwischen abgehängt, Herr Miersch. Da würde mich mal interessieren, wie die SPD das anders machen will.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Krischer, ich weiß ja, dass das immer die Argumentation ist: Weil es bundesrechtliche Regeln gibt, gelingt es nicht. – Gucken Sie sich die Ausbauquote in Baden-Württemberg im Vergleich mit allen Ländern im Süden an. Sie werden feststellen: Es ist nicht geliefert worden von der grün geführten Landesregierung.

(Beifall bei der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie hier sagen: „Es darf keine bundesweit geltenden Regeln für die Windkraft-Abstände geben“ – und es hat uns viel Kraft gekostet, das mit der CDU/CSU zu diskutieren und letztlich bundesweite Abstandsregeln zu verhindern –, dann müssen Sie sich auch angucken, wie Sie einfach in Hessen einen Haken drangemacht haben. Vergleichen wir die Worte mit den Taten, dann stellen wir fest: Sie sind in Hessen unglaubwürdig.

(Beifall bei der SPD)

Und Sie könnten das sofort aufheben. Wo ist die Initiative?

Gucken Sie nach Schleswig-Holstein, wo Herr Habeck Berechnungsmodelle gemacht hat – die rechnen heute noch –, gucken Sie sich den Ausbau der Windenergie in den letzten drei Jahren und jetzt im Norden an, Sie werden feststellen: Flaute. Insofern müssen Sie sich daran messen lassen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausschreibungsmodell! Das war die Frage!)

Aber, Herr Krischer

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausschreibungsmodell!)

– jetzt müssen Sie mich auch mal antworten lassen –,

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber auf die Frage!)

Sie haben hier die Ausschreibung angesprochen. Das ist genau der Punkt, um den gerungen werden muss. Und wir haben hier eine Koalition. Deswegen sage ich Ihnen auch: So ist Politik. Und wir hatten, weil die EEG-Umlage kontinuierlich angestiegen ist, in den letzten Perioden auch eine Diskussion darüber, ob wir das Ganze begrenzen.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, jetzt doch! Sie geben es jetzt zu!)

Insofern haben wir zum Beispiel auch in dieser Periode darum gefochten, ob es weiter einen Solardeckel geben soll, der den Photovoltaikausbau verhindert. Das wollte der Bundeswirtschaftsminister.

(Martin Reichardt [AfD]: „Solardeckel“, Mietendeckel …!)

Es hat viel, viel Kraft gekostet, dass dieser Solardeckel endlich aufgehoben wurde. Dafür haben wir gekämpft.

(Beifall bei der SPD)

Und Demokratie, Herr Krischer, heißt eben nicht: Man kann es einfach so machen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Hessen auch nicht! Sie widersprechen sich! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es noch arroganter?)

Sie suggerieren, dass Sie hier alles locker mal umwandeln könnten. Zur Demokratie gehört auch das Suchen von Mehrheiten, und das ist in einer Koalition, wie Sie es überall da sehen, wo Sie mitregieren, eben nicht einfach. Deswegen sage ich Ihnen: Ich bin froh über das, was uns gelungen ist. Und der entsprechende Verband hat zum Mieterstrommodell gesagt: Es ist eine kleine Sensation, die uns da gelungen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insofern haben wir da meines Erachtens etwas geschaffen.

Aber ich bin bei Ihnen, wenn Sie sagen: Das reicht alles nicht.

(Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)

– Das ist noch meine Antwort.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das können Sie jetzt nicht ertragen, oder?

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann er!)

Dass es eine große Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen braucht, um tatsächlich zu verbindlichen Ausbauzielen zu kommen, das steht fest.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Kommen Sie bitte zum Ende der Beantwortung der Frage von Herrn Krischer.

Ja. Einen Satz brauche ich noch. – Deswegen werden wir am Sonntag auch in unser Programm aufnehmen, dass wir in diesem Land einen Zukunftspakt brauchen, der aus verbindlichen Ausbauzielen besteht. Jedes Bundesland – und Sie könnten in den von Ihnen regierten Bundesländern damit anfangen –

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir gerade im letzten Jahr gemacht!)

braucht mindestens 2 Prozent der Fläche für den Windkraftausbau.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Baerbock, wir ringen weiter um den besten Weg. Aber einige Sachen in Ihrem Antrag – das will ich Ihnen sagen – gehen eben nicht, wenn Sie den großen Versöhner geben wollen:

Erstens. Wir hatten im Dezember 2019 einen fraktionsübergreifenden Konsens bei der CO

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was habt ihr mit dem Kohlekompromiss gemacht?)

Zweitens. Dass Ihr Parteivorsitzender noch im Dezember sagt: „Wir brauchen aufgrund der EU-Entscheidung ein Klimaschutzziel von 65 Prozent bis 2030“ und Sie diesen Wert in Ihrem Antrag mal kurz auf 70 Prozent erhöhen, spricht, wie ich finde, auch eine deutliche Sprache, wenn es um Redlichkeit geht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Drittens. Das Letzte, was ich Ihnen sagen will, ist: Wenn Sie dann den Kohleausstieg mal kurz so wegstreichen, dann ist das genau die Gefährdung des Kompromisses, die wir nicht wollten. Denn dieser Kompromiss ist mit den Regionen, mit der Industrie,

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bloß nicht mit eurer Kommission!)

mit den Gewerkschaften zusammen geschmiedet worden. Der Ausstieg kann aufgrund der Gegebenheiten früher stattfinden; aber der SPD ist es wichtig, nicht nur einfach eine Zahl zu setzen, sondern auch die Beschäftigten mitzunehmen, den Regionen eine Chance zu geben. Das unterscheidet uns.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen die gesamte Gesellschaft. Wir brauchen keine Spaltung, sondern Solidarität. Und dafür haben sich Leute bei uns vor 150 Jahren in der SPD zusammengetan. Eine Zukunft beim Klima geht eben nur mit Empathie für diejenigen, die Angst vor dem Wandel haben. Insofern bitte ich Sie wirklich, diesen Kompromiss jetzt nicht infrage zu stellen. Das schließt nicht aus, dass es deutlich schneller gehen kann;

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn nun? Daran festhalten oder nicht daran festhalten? – Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

aber es schließt aus, dass man die Vereinbarungen, die in Sachen Strukturhilfen, Anpassungsgeld etc. getroffen sind, infrage stellt.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU])

Vielen Dank, Kollege Miersch. – Bevor ich das Wort an Dr. Lukas Köhler gebe, möchte ich dem Abgeordneten Hilse von der AfD-Fraktion die Möglichkeit geben, eine Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung abzugeben.

(Zuruf: Um Gottes willen! Noch mehr Redezeit! – Weiterer Zuruf, an den Abg. Karsten Hilse [AfD] gewandt: Nee, Sie sind nur falsch verstanden worden!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7520142
Wahlperiode 19
Sitzung 228
Tagesordnungspunkt Klimaschutz, EEG
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