Konstantin KuhleFDP - Aktuelle Stunde – Schutz der Meinungsfreiheit
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Coronakrise hat zu massiven Grundrechtseinschränkungen geführt, und sie hat massive und hitzige Diskussionen in unserer Gesellschaft verursacht. Eine dieser hitzigen Diskussionen drehte sich in den letzten Tagen und Wochen um die Aktion #allesdichtmachen, bei der Künstlerinnen und Künstler auf die Situation von Kunst und Kultur aufmerksam machen und gleichzeitig Coronamaßnahmen ironisch begleiten wollten.
Nun kann man sich darüber streiten, ob das in jedem Fall gelungen ist. Es ist sicherlich Geschmackssache, ob man diese Videos gut findet oder nicht. Aber eines ist klar: Wenn man sich an die Seite der sogenannten Querdenker-Bewegung stellt, dann leistet man den Grundrechten in Deutschland einen Bärendienst;
(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
denn man muss sich nur mal anschauen, wie die Wertschätzung für die Grundrechte und insbesondere für die Meinungsfreiheit am Rande dieser Querdenker-Veranstaltungen aussieht.
Versuchen Sie mal als Journalist, bei einer Querdenker-Veranstaltung ein Interview zu machen! Das ist nicht möglich und artet unmittelbar in Gewalt aus.
(Jürgen Braun [AfD]: „1984“! Orwell!)
Schauen Sie sich die Bilder an! Schauen Sie sich die Videos an,
(Lachen bei der AfD)
wie Polizisten dort bespuckt, bepöbelt und geschubst werden! Schauen Sie sich an, was die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim gestern gesagt hat. Bei „Zeit Online“ hat sie gesagt, dass sie sich ohne Personenschutz im Grunde nicht mehr aus dem Haus traut.
Das alles sind massive Beeinträchtigungen der Grundrechte. Deswegen ist klar: Wer sich die Meinungsfreiheit zunutze macht, wer sich die Versammlungsfreiheit zunutze macht, um Angriffe auf die Polizei, auf die Wissenschaft, auf Institutionen der Demokratie oder auf andere Bürgerinnen und Bürger zu unternehmen, der hat mit dem Widerstand aller Demokratinnen und Demokraten zu rechnen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es ist ja spannend, zu beobachten, wie die AfD versucht, die Grundrechte in unterschiedliche Gruppen einzuteilen. Auf der einen Seite sind die schlechten Grundrechte – die Rundfunkfreiheit, die Pressefreiheit, die Wissenschaftsfreiheit –, auch die Aktivitäten der Parlamente und der Parteien. Das ist alles schlecht; das sind alles Feinde des Volkes. Und das Einzige, was gut ist, das ist die Meinungsfreiheit in der Lesart der AfD.
(Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])
Der Punkt ist aber, dass man in einer freiheitlichen Demokratie die Meinungsfreiheit gar nicht von der Pressefreiheit trennen kann, von der Versammlungsfreiheit, übrigens auch nicht von der Religionsfreiheit, vom Eigentum, von der Gesamtdarstellung der freiheitlichen Meinungen in Deutschland.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Dass man seine Meinung äußern kann, das ist unser Punkt!)
Wer in dieser Situation versucht, die alte populistische Erzählung, dass es gute und schlechte Freiheiten, dass es Feinde des Volkes und die einzig wahren Vertreter des Volkes gebe, zu verbreiten, der versündigt sich an der Demokratie, statt sie zu unterstützen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen ist es ganz klar, dass das, was Sie hier heute vorhaben, eben keine Verteidigung der Meinungsfreiheit ist.
Übrigens, weil wir ja eben gerade schon – auch Kollege Amthor – über klassische staatliche Eingriffe gegen die Meinungsfreiheit gesprochen haben: Sie finden doch Viktor Orban super, oder? Viktor Orban ist doch gut?
(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
– Sagen Sie doch mal! Viktor Orban ist doch Ihr großer Held, der das christliche Abendland gegen muslimische Einwanderer verteidigt.
(Abg. Dr. Götz Frömming [AfD] schüttelt den Kopf)
Sagen Sie doch mal: Viktor Orban ist doch gut? Cooler Typ.
Jetzt habe ich mal eine Frage: Können Sie mir sagen, auf welchem Platz bei der Pressefreiheit, beim World Press Freedom Index, Ungarn 2006 gewesen ist? Wissen Sie es, 2006, Ungarn? – Es war auf Platz zehn, vor Deutschland. Noch im Jahr 2006 war Ungarn bei der Pressefreiheit vor Deutschland.
Wissen Sie, wo Ungarn bei der Pressefreiheit heute gelandet ist? Auf Platz 92 – durch staatliche, klassische Eingriffe gegen Medien, gegen die freien Medien, gegen die Opposition, gegen die Wissenschaft.
(Zurufe von der AfD – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die AfD gewandt: Das sind Ihre Freunde! – Helin Evrim Sommer [DIE LINKE], an die AfD gewandt: Das sind Ihre Freunde!)
Das ist das, was in Europa heute passiert. Das sind die Angriffe, die heute auf die freiheitliche Demokratie auf unserem Kontinent passieren, und dagegen müssen wir uns verteidigen, an der Seite von liberalen Demokratinnen und Demokraten in Europa und in Deutschland.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich will aber auch sagen, dass ich mich über die Vehemenz der Reaktion auf die Aktion #allesdichtmachen gewundert habe. Denn seit wann ist es eigentlich die Funktion und die Aufgabe von Kunst und Kultur, für den öffentlichen Diskurs in Deutschland besonders bequem zu sein? Die Meinungsfreiheit ist kein bequemes Grundrecht. Wenn die Meinungsfreiheit dazu führt, dass Menschen sich wundern, dass Coronamaßnahmen der Regierung hinterfragt werden, dann ist das gerade ein Gebrauch der Meinungsfreiheit, und indem man Berufsverbote für Schauspieler fordert, die eine Meinung vertreten, mit der man nicht einverstanden ist,
(Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])
versündigt man sich auch an der Meinungsfreiheit. Das hätte nicht passieren dürfen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Ich werbe im Umgang mit solchen Aktionen für mehr Entspannung, für mehr Respekt für die Kontroverse
(Lachen bei der AfD)
und für mehr Lust an den Diskussionen, übrigens, meine Damen und Herren, auch hier im Parlament.
Deswegen möchte ich abschließend dafür werben, dass auch wir im Deutschen Bundestag unseren Beitrag dazu leisten, dass es hier mal ein bisschen mehr zur Sache geht und dass die Diskussionen draußen in der Bevölkerung wahrgenommen und wertgeschätzt werden.
Wir könnten mal damit aufhören, dass hier mittwochs die Parlamentarischen Staatssekretäre, die ich natürlich sehr schätze, stundenlang irgendwelche Zettel vorlesen,
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer noch dieselben!)
wozu man die Fragen eine Woche vorher einreichen muss. Was hat das mit einer lebhaften Diskussionskultur zu tun?
Wir könnten mal aufhören, so zu tun, als wäre es ein einmaliges Ereignis, wenn die Bundeskanzlerin sich mal bequemt, zu einer Regierungsbefragung hier in den Bundestag zu kommen. Das sollte eigentlich jede Woche der Fall sein, wie das in anderen Parlamenten in Europa der Fall ist.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Kollege Kuhle, all diese Reformvorschläge müssen Sie jetzt an anderer Stelle einbringen. Bitte kommen Sie zum Schluss.
Das würde dazu beitragen, dass wir die Diskussionskultur auch in Deutschland stärken und auch etwas für die Meinungsfreiheit tun.
In diesem Sinne: Schönes Wochenende! Und bleiben Sie gesund!
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Das Wort hat Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD – Marianne Schieder [SPD]: Guter Mann! Sehr guter Mann! Bayer!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7520189 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 228 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde – Schutz der Meinungsfreiheit |