Benjamin StrasserFDP - Antisemitismus, jüdische Vielfalt in Deutschland
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angst – das ist ein Gefühl, das Jüdinnen und Juden in Deutschland seit vielen Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, zu einem Alltagsbegleiter geworden ist. Nicht nur, aber besonders in Zeiten, in denen der Nahostkonflikt eskaliert, wie 2014 mit dem Gazakrieg oder heute, bricht sich antisemitischer Hass in einem Ausmaß eine Bahn, die wohl kaum einer hier in diesem Raum wirklich nachspüren und nachvollziehen kann.
Fotos auf Facebook, auf Instagram, die mit harmlosen hebräischen Grußformeln wie „Shabbat Shalom!“ oder „Shavua Tov!“ beschrieben sind, werden zum Ziel von antisemitischen Hasstiraden. In Gelsenkirchen haben wir erlebt, dass vor Synagogen nicht nur „Scheiß Juden!“ geschrien wird, es fliegen Steine und teilweise auch Molotowcocktails. Während in manchen deutschen Feuilletons noch diskutiert wird, ob es so was wie israelbezogenen Antisemitismus überhaupt gibt, findet er auf deutschen Straßen und im Netz in aggressivster Form statt.
(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: So ist es! Exakt!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen ist mir wichtig: Das, was in Deutschland passiert, das ist kein Angriff gegen uns alle, das ist ein Angriff gegen jüdische Menschen in Deutschland einzig und allein, weil sie jüdisch sind. Das müssen wir auch so sagen.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Spätestens seit dem Terroranschlag in Halle ist es eigentlich fast allen Fraktionen hier in diesem Hause bewusst, welche immense Gefahr Rechtsterrorismus und Rechtsextremismus für jüdisches Leben in Deutschland bedeuten. Aber zu einer ehrlichen Debatte gehört auch, zu analysieren, dass wir bei der Benennung von Antisemitismus in Deutschland blinde Flecken haben. Zu oft war in der Vergangenheit die Debatte über den Antisemitismusvorwurf größer als über den Antisemitismus selbst. Lassen Sie mich deswegen von dieser Stelle aus ganz klar sagen: Wer systematisch das Existenzrecht Israels leugnet und bekämpft, der übt keine legitime Kritik an der israelischen Regierung, sondern der ist ein Antisemit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Genauso wenig sind diejenigen, die aus ehrlichen Motiven ohne rassistische Konnotation anmahnen, dass es in muslimischen Communitys verfestigten Antisemitismus gibt, dass es radikale Moscheen gibt, islamophob, sondern sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Debatte. Wir brauchen einen 360-Grad-Blick bei der Benennung von Antisemitismus.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])
Lieber Herr Kollege Klein, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie diese Woche einen neuen Anlauf zu einer nationalen Strategie genommen haben; denn die Jüdinnen und Juden in diesem Land dürfen sich nicht nur unserer Solidarität versichert sein, sondern sie können und sollten sich darauf verlassen können, dass den Worten dieser Wochen auch Taten folgen werden.
Wir als FDP-Fraktion haben uns erlaubt, einige Vorschläge zu machen. Wir glauben, die IHRA-Arbeitsdefinition muss konsequent Grundlage staatlichen Handelns werden, um Antisemitismus besser zu erkennen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Wir brauchen eine Finanzierung der Meldestellen für antisemitische Vorfälle. Wir müssen muslimische Communitys mit in die Pflicht nehmen beim Kampf gegen Antisemitismus. Es darf nie wieder vorkommen, dass wir eine so lange Hängepartie bei Vereinsverboten haben wie bei der Hisbollah. Wir müssen die Themen Graue Wölfe, PFLP und andere Organisationen angehen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich wollten wir in diesem Jahr 1 700 Jahre dokumentiertes jüdisches Leben in Deutschland feiern. Umso beschämender ist es, dass diejenigen, die wir feiern wollten und mit denen wir feiern wollten, mehr denn je Angst haben, offen ihre jüdische Identität zu zeigen. Dieser Umstand sollte für uns ein Auftrag sein, den Worten weitere konkrete Taten folgen zu lassen.
Am Israel Chai!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Benjamin Strasser. – Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Petra Pau.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7522422 |
Wahlperiode | 19 |
Sitzung | 229 |
Tagesordnungspunkt | Antisemitismus, jüdische Vielfalt in Deutschland |